Kommentar von Alfred Denzinger – Wer kennt das nicht? Du gehst auf eine Demo gegen die Nazibrut. Die Polizei ermöglicht den Faschisten, ihre Hassbotschaften zu verbreiten. Sagst oder machst Du etwas dagegen, handelst du dir ruck zuck ein Problem oder Schlimmeres ein. Das ist jetzt anders. Geh einfach zum Einsatzleiter und erkläre ihm: „Sei froh, dass ich Dich nicht wegklatsche!“ Was wird dann wohl passieren? Bisher hätte ich gesagt: „Junge, jetzt hast Du was an der Backe!“ Aber das ist jetzt alles ganz anders. Kannste ruhig machen. Passiert überhaupt nix. Alles ganz okay. Rechtlich völlig einwandfrei. Das meint zumindest die Staatsanwaltschaft Stuttgart. Was für ein Glück, dass hier jetzt Klarheit herrscht.
Zugegeben, ich würde mich das wohl eher nicht trauen. Denn was weiß der Einsatzleiter der Polizei denn schon von der aktuellen RECHTSsprechung?! Wenn Du Pech hast, klatscht er Dich einfach weg und Du bekommst eine Strafanzeige als Beigabe. Und auch der Staatsanwalt wird das vermutlich dann alles ganz anders sehen. Ist ja auch ein Unterschied, wer was zu wem sagt. Vor dem Gesetz sind zwar angeblich alle gleich, aber manche sind nun mal eben gleicher. Also größte Vorsicht ist angesagt.
Wie komme ich denn nur auf solche seltsame Ideen, so einen Müll hier zu schreiben? Ganz einfach: Es entspricht einer aktuellen Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Aber mal der Reihe nach.
Die rechtsradikale Identitäre Bewegung (IB) versammelte sich am Samstag, 18. August 2018, auf dem Stuttgarter Schlossplatz (siehe „Journalist von IB-Anhänger bedroht„). Sie verteilten ihre rassistische Propaganda an PassantInnen. Gegen diesen rechten Aufmarsch formierte sich Protest. Die Rechtsradikalen erhielten für ihr Treiben Polizeischutz. Ein ganz mutiger Rechter fühlte sich durch meine journalistische Tätigkeit gestört und meinte, mir ins Gesicht brüllen zu müssen: „Sei froh, dass ich Dich nicht wegklatsche!“ Soweit, so schlecht.
Mehrere Menschen sahen und hörten das Neonazi-Geplärre. Auch zumindest ein Polizeibeamter bekam es mit. Zunächst weigerte sich die Polizei, eine Strafanzeige gegen den Krakeeler aufzunehmen. Ich bestand aber hartnäckig auf der Aufnahme. Ein Jahr später erhalte ich nun Post von der Staatsanwaltschaft – und staune nicht schlecht.
Das Strafverfahren gegen den IBler wurde eingestellt. Die Begründung: „Die getätigte Äußerung erfüllt keinen Straftatbestand. Der Tatbestand der Bedrohung nach § 241 StGB erfordert das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt. Ein solches Inaussichtstellen liegt gerade nicht vor, da der Beschuldigte äußert, dass es nicht zu einem ‚Wegklatschen‘ kommen wird. Eine solche Drohung für die Zukunft kann auch nicht in die Äußerung hineininterpretiert werden. (…) Andere Straftatbestände werden durch die Äußerung nicht erfüllt. Insbesondere stellt die Äußerung keine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB dar.“ Also ist die Duzerei rechtlich auch absolut kein Problem. Gut zu wissen!
Im Übrigen bin ich mir sicher, dass es auch keine Anklage gegeben hätte, wenn die Staatsanwaltschaft zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Das wurde bereits in ähnlich gelagerten Fällen praktiziert. Da heißt es dann lapidar: „Das Ermittlungsverfahren wird eingestellt, da an einer Strafverfolgung kein öffentliches Interesse besteht.“
Nun ja, was soll man dazu noch sagen?
Nur eins: Man sieht sich… auf der Straße! 😉
Anmerkung:
Die zweite Anzeige von diesem Tag ging offenbar auf dem Dienstweg verloren. Zumindest habe ich bis zum heutigen Tag nichts über sie vernommen. Keine Zeugenvernehmung, kein Aktenzeichen, keine Einstellungsverfügung. Es könnte leicht der Eindruck entstehen, dass man in diesem Land politisch nur weit genug rechts stehen muss, um sich (fast) alles herausnehmen zu können. Böse Zungen würden jetzt vielleicht gar von einer „Strafvereitelung im Amt“ reden. Das würde ich natürlich nie tun.
Auszug aus unserem Beitrag über die damaligen Ereignisse: „Von BeamtInnen umzingelt, hielten sich die IB-Anhänger zunächst zurück. Als sich einige BürgerInnen und AktivistInnen bedrängt fühlten und bei PolizistInnen über das wilde Filmen und Fotografieren der IBler beschwerten, antwortete ein Beamter zunächst: ‚Das machen doch alle hier.‘ Erst als Journalisten die BeamtInnen auf die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes hinwiesen, nahm die Polizei die Personalien eines IB-Filmers auf. Ein Journalist erstattete Strafanzeige. Das Foto- und/oder Filmmaterial des IBlers wurde allerdings nicht sichergestellt, und die Polizei unterband auch nicht weitere Filmaufnahmen des Mannes. Der Angezeigte filmte noch bis zum Abmarsch unter den Augen der Polizei weiter.“
Was wohl Dr. Stefan Brink Landesbeauftragter für den Datenschutz in Baden-Württemberg dazu sagen würde?
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