Von Sahra Barkini – Karlsruhe. Nach Veranstalterangaben waren es 1000 Menschen, die am Sonntag, 13. Oktober, in Karlsruhe auf die Straße gingen, um gegen die geplante Verschärfung des Polizeigesetzes in Baden-Württemberg (PolGBW) zu demonstrieren. Das Gesetz soll der Polizei unter anderem Bodycams in privaten Räumen und Onlinedurchsuchungen erlauben. Zu der Kundgebung mit anschließender Demonstration hatten unter anderem die Fanhilfe Karlsruhe, die Linke Baden-Württemberg, die Piratenpartei und das Offene Antifaschistische Treffen Karlsruhe (OAT KA) aufgerufen.
Bereits am Freitag wurden im Karlsruher Stadtgebiet an verschiedenen Brücken Transparente aufgehängt, um auf die Verschärfung des PolGBW und das Aktionswochenende aufmerksam zu machen. Am Samstag protestierten AktivistInnen an verschiedenen Standorten und hielten auch kleinere Kundgebungen ab.
Polizeistaat verhindern
Am Sonntag sprachen auf dem Schlossplatz ein Aktivist von Intropia, Brigitte Kiechle und ein Aktivist der Fanhilfe Karlsruhe. Sie kritisierten, dass sich die Grünen von ihrem Juniorpartner in der Regierungskoalition CDU treiben ließen. Auch liefen sie der CDU in Bezug auf die Bürgerrechte nach. Einige PolitikerInnen träumten von einem Polizeistaat. Dies müsse verhindert und die Freiheitsrechte verteidigt werden.
Der Aktivist der Fanhilfe berichtete aus dem Alltag der Fußballfans. Sie würden mit Repressionen überschüttet. Ein Fußballfan des KSC habe 1500 Euro Geldstrafe bezahlen müssen, weil sein Outfit dem eines Fans ähnelte, der Pyrotechnik zündete. Oft begleite die Polizei Fanbusse. Dann sei es auch nicht mehr möglich, eine Raststätte anzufahren, um eine Toilette aufzusuchen.
Es gebe „Gefährderansprachen“ bei den Eltern der Fans. Es genüge, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, um in SKB-Datenbank (Arbeitsdateien für sogenannte szenekundige Beamten) aufgenommen zu werden, und zwar einschließlich der Begleitpersonen. Dieser Eintrag rechtfertige dann weitere Kontrollen und ziehe häufig Meldeauflagen nach sich.
Sind Fußballfans gewaltbereite Chaoten?
Jedes Dorffest oder das Oktoberfest seien gefährlicher als Fußballspiele. Trotzdem würden BesucherInnen dieser Feste nicht in Karteien aufgenommen oder unter Generalverdacht gestellt. Der Redner kritisierte weiter, dass Polizei und Medien die Fußballfans gerne als gewaltbereite Chaoten darstellten und somit die massive Polizeipräsenz legitimiert werde.
Unter massiver Polizeibegleitung – uniformiert wie in Zivil – zogen die DemonstratInnen durch die Karlsruher Innenstadt. Da dort ein Stadtfest mit einem verkaufsoffenen Sonntag gefeiert wurde, zog die laute, kraftvolle Demonstration viele Blicke auf sich. PassantInnen zeigten Zustimmung, aber auch immer wieder Ablehnung und Unverständnis.
Während der Demo wurde Rauch in den Farben des KSC gezündet, um Solidarität mit den Ultras zu zeigen. Denn neben linken AktivistInnen sei es vor allem die organisierte Fanszene, die schon heute massiv mit Überwachung, Repression und Polizeigewalt konfrontiert werde. An ihr würden die neuen Gesetze als erstes getestet. Die Polizei stoppte daraufhin den Demozug für einige Minuten.
Als weiteren Ausdruck eines selbstbestimmten Protests hängten AktivistInnen am Rande der Demonstration Plakate auf und sprühten Parolen auf den Boden. So bleibe das Thema noch etwas länger im Stadtbild präsent. Aus der Demonstration waren immer wieder Parolen wie „Freiheit stirbt – Freiheit stirbt mit Sicherheit“, „Tout le monde déteste la police“, „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Freiheit klaut“ und „Wir demonstrieren, wie wir wollen – gegen Überwachung und Kontrollen“ zu hören.
Die presserechtlich kompetente Einschätzung eines Zivilpolizisten
Mehrere Zivilbeamte der Polizei waren rund um die Demonstration im Einsatz. Einer von ihnen störte sich offenbar daran, fotografiert zu werden. Er erklärte unseren Chefredakteur Alfred Denzinger was passieren würde, wenn ein Bild von seiner Person veröffentlicht werde. Er wollte unbedingt seine „presserechtlich kompetente Einschätzung“ mitteilen, was veröffentlicht werden dürfe – und was nicht. Denzinger erklärte dem Beamten, dass er über seine Arbeit nicht zu bestimmen habe und letztendlich nur eine Person darüber entscheiden würde, was veröffentlicht werden würde. Diese Person sei aber ganz bestimmt nicht er.
- Ein Teil …
- … der Zivi-Truppe
- Amüsiert
- Komme ich jetzt im Fernsehen?
Zurück am Schlossplatz sprach ein Aktivist des OAT Karlsruhe. Er ordnete die Gesetzesverschärfung politisch ein.
- Sie „bewachten“ und …
- … überwachten die Demo …
- … ausgerechnet am Platz der Grundrechte
Die Rede des OAT Karlsruhe im Wortlaut:
„Liebe Freundinnen und Freunde, Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
es ist schön zu sehen wie viele Menschen heute hier her gekommen sind um mit der Kundgebung und der Demonstration unsere Freiheit und unsere Rechte, als Menschen und Aktivisten zu verteidigen und unseren Protest gegen die alten und neuen Polizeigesetze auf die Straße, in die Gesellschaft uns ins Land hinein zu tragen.
Die Demonstration eben war schon ein kraftvoller und starker Ausdruck dafür, dass wir in diesen Verhältnissen nicht länger die Füße still halten werden. Wenn wir die derzeitige Gesetzesverschärfung betrachten, dürfen wir den gesellschaftlichen Hintergrund allerdings nicht außer Acht lassen. Die Folgen eines maroden und von Krisen geschüttelten Systems beschränken sich schon längst nicht mehr auf den globalen Süden. Auch bei uns spüren immer mehr Menschen die Folgen eines Systems und einer Politik, die nicht den Menschen sondern den Profit in den Mittelpunkt stellt.
Schlechte Arbeitsbedingungen, unbezahlbare Mieten, Altersarmut und die Privatisierung grundlegender Versorgungseinrichtungen wie Krankenhäuser. Das sind nur Symptome einer Gesellschaft, in der Gewinnmaximierung und Funktionalisierung über das Wohl von Menschen gestellt wird. In einer Gesellschaft, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht, sind die Polizeigesetze schlicht die präventive Antwort auf kommende soziale Spannungen. Ein so massiver Angriff auf unsere Freiheitsrechte muss aber, zumindest im Moment noch, gesellschaftlich begründet und legitimiert werden.
Aktuell lässt sich diese Entwicklung gut am Rechtsruck in den Parlamenten und des öffentlichen Diskurses beobachten. Rechte Gruppierungen und Parteien wie beispielsweise die AfD, schüren gezielt die Ängste der Menschen, die in einer sich verschlimmernden Prekarisierung an ihr Existenzminimum und in die Armut gedrängt werden. Auch die Angst vor denen, die in das rechte Feindbild passen, wird immer weiter aufgebauscht. Als Sündenbock herangezogen und verantwortlich gemacht, werden hier in erster Linie MigrantInnen und eben jene, die sozial und ökonomisch schon ganz unten angekommen sind. Ihnen wird sowohl die Schuld an den Auswüchse der Krise, als auch ihre eigene Lage oft sogar als selbstverschuldet vorgeworfen. Beides spielt den Rechten direkt in die Hände.
Genau diese Angst vor sozialem Abstieg dient AfD, Neonazis und Befürworter eines hochgerüsteten Überwachungsstaates wie den Strobls und Seehofers als Motor für Hetze und Argumentation gegen politisch Unliebsame, Kriminalisierungen und zur Spaltung unserer Gesellschaft. Daher rührt von ihnen auch der Ruf nach mehr Sicherheit und Ausbau des Sicherheitsapparats. Was mit den Polizeigesetzen kommt, ist aber ganz bestimmt nicht die Sicherung unserer Arbeits- und Lebensverhältnisse, die Sicherung von gutem und bezahlbaren Wohnraum für alle, die Sicherung des Schutzes unseres Planeten oder die Garantie einer zuverlässigen Gesundheitsversorgung aller Menschen unabhängig ihres Geldbeutel. Nein. Was mit den neuen Handlungsspielräumen, Maßnahmen und Waffen gesichert wird, ist der Reichtum und die Macht derjenigen, die sich schon lange auf die Kosten von uns allen ein schönes Leben machen.
Denn auch sie merken, dass sich die Probleme und Folgen des Kapitalismus nicht mehr so einfach unter den Tisch kehren lassen. Dass die Widersprüche immer deutlicher zum Vorschein kommen und sich die betroffenen Menschen nicht mehr durch ein paar reformistische Veränderungen zufrieden stellen lassen. Auch dass sich Repression dabei gegen linke Demonstrationen und Projekte sowie die Fußballszene richtet ist nicht verwunderlich. Beide sind auf ihre Weise auf dem Weg, eine gemeinsame Stärke zu finden und zu entwickeln, welche dem staatlichen Gewaltmonopol ein Dorn im Auge ist und was um jeden Preis unterbunden werden soll. Die Bekämpfung der progressiven und revolutionären Kräfte im Land sind daher ebenfalls Teil der Unterdrückung und der Machtsicherung.
Was schon heute auf linken Demonstrationen, Fußballspielen und in Flüchtlingsunterkünften hinter verschlossenen Türen an Polizeigerät und Strategie erprobt wird, richtet sich schon morgen gegen unliebsame Kundgebungen, KollegInnen der Gewerkschaften beim Streik, Schülerinnen und Schüler beim Protest für die Zukunft unseres Planeten und vielleicht auch bald gegen die Zivilbevölkerung wenn sie nicht kuscht und nach der Pfeife tanzt. Doch wir müssen uns der Macht unserer Ohnmacht bewusst werden und die Lügen durchschauen die uns weiter spalten, unterdrücken und kontrollieren sollen.
Das herrschende Recht ist nun mal auch das Recht der Herrschenden und so werden Gesetze auch immer zu deren Gunsten ausgelegt. Aber Unsere Solidarität wird ihr Kontrollverlust sein.Der Staat will uns nicht gegen angeblich zunehmende Verbrechen schützen, sondern baut sich eine Festung gegen uns, in Furcht wir könnten uns unserer Stärke endlich bewusst werden und gemeinsam und organisiert handeln, denken und agieren. Nur zusammen können wir es schaffen dem Rechtsruck und der zunehmenden Militarisierung und Überwachung dieser Gesellschaft etwas entgegen zu setzen. Was wir endlich brauchen sind Aufklärung, Bewusstsein, Solidarität mit allen Menschen, Mut und den unbedingten Willen zur Veränderung. Eine Veränderung der Verhältnisse und der Gesellschaft.Und egal wohin wir schauen, der Widerstand regt sich in den sozialen und politischen Bewegungen.
Immer mehr Menschen gehen auf die Straße und protestieren für eine lebenswerte Zukunft. Denn nur wir sind es, die Werktätigen, die diesem System, den herrschenden Verhältnissen, der Krise und dem Krieg in dieser Welt endlich Einhalt gebieten können. Lasst uns gemeinsam und konsequent für eine befreite Gesellschaft kämpfen!
Gegen die alten und neuen Polizeigesetze. Gegen die herrschenden Verhältnisse.
Gemeinsam solidarische Strukturen aufbauen. Und Kapitalismus endlich restlos abschaffen.“
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