Von Sahra Barkini – Schorndorf. Thomas Wüppesahl, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten, war auf Einladung des DGB Rems-Murr in der Schorndorfer Manufaktur zu Gast. Circa 50 Interessierte folgten der Einladung. Das Thema war: „Rechte Netzwerke in Polizei und Staatsapparat“, veranstaltet wurde der Vortrag am 7. November mit anschließender Diskussion vom „Forum für Politik in der Manufaktur“. Wüppesahl sprach von „schwarzen Schafherden“ innerhalb der Polizei und von „Exekutivtrottel“ (siehe Video unten). Es gebe nichts Perfekteres als einen Staat, der sich dazu entschließe „organisierte Kriminalität zu begehen. Der kann auf alle Ressourcen zurückgreifen“.
Morddrohungen aus einem Frankfurter Polizeipräsidium für eine engagierte Anwältin, unterschrieben mit NSU 2.0 – Chat-Gruppen von Polizisten, die Hitler-Bilder, Hakenkreuze und rassistische Parolen austauschen – SEKler, die sich Uwe Böhnhardt als Decknamen aussuchen – Polizisten im Ku Klux Klan – Reichsbürger in Uniform …. Dies alles sind keine Einzelfälle, sondern haben laut Wüppesahl Methode.
Braune Polizisten und Lehrer
Zu Beginn seines Vortrages sprach Thomas Wüppesahl über die Anfänge der Polizei, als die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegründet wurde. Damals wurden Nazis mit den Aufgaben der Polizei betraut. Dies hatte Auswirkungen bis weit in die 1960er Jahre. Auch im Schulbetrieb waren „braun besetzte“ Lehrer tätig. Wüppesahl selbst hat während seiner Ausbildung bei der Polizei Hamburg solche Lehrer erlebt. Deshalb sei es kein Wunder, dass die Polizei nicht als weißes Blatt in die BRD hinein entwickelt werden konnte.
In der heutigen Zeit wurden Vorfälle beim BKA (Bundeskriminalamt) bekannt. Man solle aber davon ausgehen, dass solche Vorfälle ständig vorkamen, nur wurden sie unter den Teppich gekehrt. Laut Wüppesahl kann man nicht gleichsetzen, was im dritten Reich oder der Weimarer Republik stattfand und jetzt in der BRD, aber die methodische Ähnlichkeit sei wichtig. Es sei ein Wesensmerkmal der Polizei, effizient zu sein, man spreche auch von Professionalität – und diese dann eben auch unter Verlust der ethischen und moralischen Grundsätze.
„Polizei hat zu parieren“
„Polizei hat zu parieren“, sagte Wüppesahl, sie müsse das vorhandene Wertesystem durchsetzen. Wenn das Primat der Politik funktionieren soll, müsse die Polizei Instrumenten-Charakter haben, und das habe sie auch.
Durch die 68er Unruhen habe es starke Reformen bei der Polizei gegeben. Die Innenminister hätten erkannt, dass ihre „Büttel“ in den Unruhen der aufbegehrenden StudentInnen oftmals nicht in der Lage waren, die einfachsten Begründungen zu liefern, warum sie einen Einsatz machten, geschweige denn, warum sie verfuhren wie sie es taten. Daraus entwickelte sich dann auch das SEK. Es wurde eigentlich nur für wenige „Speziallagen“ eingeführt, und nun werde es bei Polizeilagen eingesetzt, die früher von ein paar Streifenwagenbesatzungen bewältigt werden konnten.
Es wurde stets aufgerüstet, so auch bei der Bewaffnung. Wüppesahl: „Sie kennen die Bilder, wenn solche ‚Robotics‘ durch die Straßen laufen, dann hat man eher den Gedanken an Flucht, als dass man sich gesichert fühlt oder dass Gefahrenabwehr stattfindet.“
„Managed by Jeans – an jeder entscheidenden Stelle sitzt eine Niete“
Laut Wüppesahl laufe bei der Ausbildung der PolizistInnen auch schon sehr viel schief, denn „Polizei is managed by Jeans – an jeder entscheidenden Stelle sitzt eine Niete“. Viele BeamtInnen wüssten nicht mal mehr, was das Streikrecht ist. Und heutzutage gebe es eine Flut von präventiven Ermächtigungsbefugnissen, die waren früher nicht vorstellbar. Das Motto laute „Prävention, Prävention, Prävention“. Früher sollten die BürgerInnen nicht mit negativen Verwaltungsakten belastet werden. Heute gebe es am besten Vollkontrolle, anlasslose Vorratsdatenspeicherung und Ähnliches.
NSU 2.0 aus einem Polizeirevier und Polizisten als Ku-Klux-Klan-Gründer
Zum aktuellen Fall, in dem die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yildiz bedroht wird und diese Drohungen mit NSU 2.0 unterschrieben wurden und pikanterweise aus einem Frankfurter Polizeirevier kamen, wäre es an der Zeit, dass PolizistInnen aufhörten, die Verstöße ihrer KollegInnen zu decken. Bei der Polizei gibt es laut Wüppesahl kein Schwarzes-Schaf-Problem, es gibt eine ganze schwarze Schafherde: „Wer nichts tut, macht mit.“
In Baden-Württemberg gründeten zwei Polizisten den Ku-Klux-Klan mit. Diese sind nach wie vor im aktiven Polizeidienst. Aber es bleibe nicht bei den zweien, es seien dutzende, die in diesem Bereich unterwegs waren und die zwischenzeitlich in der Hierarchie noch aufgestiegen sind. Zum Teil haben sie auch Führungsverantwortung.
„Klein Adolf“ vom Verfassungsschutz
Dies gelte nicht nur für die Polizei. Bei den Verfassungsschutzämtern sehe es noch schlimmer aus, dort sei alles „rechtsgedreht“. Deshalb sei es in Bezug auf den NSU auch nicht verwunderlich, dass der Verfassungsschützer Temme zuhause in seinem Heimatdorf „als klein Adolf“ bezeichnet wurde. Laut Wüppesahl ist „Hessen fast so krass neben der Spur wie Baden-Württemberg“. Bouffier, der damalige Innenminister Hessens, hatte seine schützende Hand über Temme gehalten. Bei einer Kollision zwischen Verfassungsschutz und Polizei schlügen bei den Innenministern immer zwei Herzen in einer Brust, und sie entschieden sich immer für den Verfassungsschutz.
Wüppesahl sagte den ZuhörerInnen auch: „Es muss davon ausgegangen werden, dass es noch mehr Fälle wie Lübcke geben wird“.
Zu auf G20 in Hamburg und die damalige Aussage von Olaf Scholz, zu der Zeit erster Bürgermeister von Hamburg, es hätte keine Polizeigewalt gegeben, sagte Wüppesahl: „Scholz gehört auf die Couch für diese Aussage.“
Über 90 Prozent der Fälle möglicher Polizeigewalt werden eingestellt
In der Diskussion wollte ein Zuhörer wissen, was man tun könne, um die Situation zu verbessern. Darauf antwortete Wüppesahl, dass es nachdenkliche PolizeibeamtInnen und kritikfähige InnenministerInnen brauche. Außerdem auch den politischen Willen. Er nannte noch einen Fall aus Berlin. Der dortige Innenminister stellte Strafanzeige gegen zwei Polizeibeamte, diese hatten Akten vernichtet. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte aber das Verfahren ein. Erschreckend sei auch, dass die SPD dies alles mittrage. Aber Kritik an der Polizei bedeute nunmal Anstrengung. Über 90 Prozent der Fälle möglicher Polizeigewalt werden eingestellt. Eine Ausnahme: Nach dem Schwarzen Donnerstag in Stuttgart wurden zwei Polizeibeamte verurteilt.
Ein weiterer Zuhörer wollte wissen, was das politische Kalkül bei G20 gewesen sei. Wüppesahl nannte Machterhalt von Scholz und Merkel. Der Polizeipräsident und der Innensenator hätten eigentlich gehen müssen. Beim G20-Gipfel waren drei Einzellagen gravierender als der Hamburger Kessel von 1986. Nach diesem gründeten sich die „Kritischen Polizisten“.
Wüppesahl war über 30 Jahre bei der Hamburger Polizei. Vom normalen Streifendienst bis zum LKA hat er Einblick in den Polizeiapparat gewonnen und besitzt nach wie vor ausgezeichnete Verbindungen in Polizei und Nachrichtendienste. Seit 1998 ist er Bundessprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen (Hamburger Signal).
Video
Die Langfassung des Vortrags gibt es unter https://youtu.be/rzqxBiM5QXg
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