Von Sahra Barkini – Tübingen. Unter dem Motto „Wir stehen zusammen“ gab es am Freitagnachmittag, 14. Februar, am Tübinger Sternplatz eine Kundgebung mit anschließender Demonstration durch die Tübinger Innenstadt. Das alternative Wohnprojekt „Lu15“ hatte nach einer Hausdurchsuchung am 4. Februar in der „Lu15“ (Ludwigstraße 15) dazu aufgerufen. Bei der Durchsuchung wurden zwei HausbewohnerInnen wegen vermuteter Sachbeschädigung am Vortag in Gewahrsam genommen. Den VeranstalterInnen zufolge beteiligten sich bis zu 350 Menschen an der Demonstration gegen Polizeigewalt und Repression, erwartet waren nur etwa 100.
Bei der Auftaktkundgebung am Sternplatz in der Tübinger Südstadt sprachen mehrere Bewohnerinnen. Es gab außerdem Solidaritätsbekundungen der Nachbarschaft und verschiedener Projekte wie des Zentrums Lilo Herrmann in Stuttgart, der Gartensia Tübingen oder der VVN-BdA, die verlesen wurden. Außerdem bekamen die KundgebungsteilnehmerInnen eine Kurzvorstellung der „Lu15“ (siehe Videos unten).
Das Projekt hat sich bereits seit 40 Jahren in der Südstadt etabliert. Neben einem Umsonstladen und Foodsharing werden Vorträge und Konzerte organisiert. Man habe immer politisch Stellung bezogen und die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisiert. Die RednerIn sagte: „Für uns ein Grundpfeiler für eine funktionierende Demokratie. Schade, wenn dieser Mut mit so einem kriminalisierenden Einsatz belohnt wird.“
Zwei BewohnerInnen schilderten, wie sie das Auftreten der vermummten PolizistInnen im Haus und Garten am Tag der Hausdurchsuchung erlebten. Sie berichteten, dass im Keller die Feuerschutztüre aufgebrochen wurde, obwohl der dazugehörige Schlüssel den BeamtInnen ausgehändigt worden war. Einer der zum Zeitpunkt der Durchsuchung Anwesenden berichtet, dass BewohnerInnen die Beamten nach einem Durchsuchungsbeschluss fragten. Die Antwort habe gelautet „haben wir, sehen Sie später“.
Polizeieinsatz löst Angst aus
Auch das Zimmer des Bewohners wurde durchsucht. Er berichtet: „Kurz danach sagt mir ein Polizist, dass der Durchsuchungsbeschluss sich auf die Gemeinschaftsräume der WG bezieht, und ich verstehe, dass das Durchsuchen meines Zimmers nicht legal ist. Ich weise die Polizei darauf hin, einer der Beamten verlässt mein Zimmer.“ Der Bewohner berichtete von der Angst, die ihm das Auftreten der Polizei machte, und dass er so schnell wie möglich seine Wohnung verließ. Die Bewohnerin erzählte, dass ihr dieser Tag wie ein Film vorkam. Sie habe das Treiben in Haus und Garten wie hinter einem Schleier wahrgenommen. Weiter sagte sie: „Das ganze geht zwei bis drei Stunden und lässt dich verwirrt, gestresst und geschlaucht zurück. Und dann wird erwartet, dass der nächste Tag ganz normal weiter geht.“
In allen Beiträgen und den Solidaritätsbekundungen wurde deutlich, dass die RednerInnen und VerfasserInnen auch weiter einstehen werden für ein gutes Leben für Alle und sich durch Repressionen von ihrem Engagement nicht abbringen lassen wollen. Sie wollten weiter kämpfen für eine freie und offene Gesellschaft auf antifaschistischer Basis.
Gebühren bedrohen Versammlungsfreiheit
Gegen 19 Uhr setzte sich die Demonstration, begleitet von Polizeifahrzeugen und einem Polizeispalier am Kopf der Demo, in Bewegung. Am Landgericht stand auch eine Reiterstaffel bereit. Die lautstarke und von Musik begleitete Demo lief über die Hechingerstraße und über die Blaue Brücke zur Karlstraße. Dort sprach ein Vertreter des Offenen Treffens gegen Faschismus und Rassismus (OTFR). Er brachte die neue Gebührenordnung zur Sprache. Nach dieser soll für jede Polizeimaßnahme extra bezahlt werden. Und dies unabhängig davon, ob sich diese „Dienstleistungen“ im Nachhinein als Unrecht erweisen.
Im Einzelfall kommen so mehrere hundert Euro zusammen (siehe „Vorverurteilt per Gebührenordnung„). Und dies betrifft ebenso wie die Verschärfung des baden-württembergischen Polizeigesetzes Fussballfans, Linke DemonstrantInnen und Geflüchtete. Damit würden Menschen in ihren grundgesetzlich verankerten Freiheitsrechten in der Praxis beschnitten und auch von der politischen Willensäußerung abgeschreckt, so der Redner. Er schloss mit den Worten: „Unsere Solidarität gegen ihre Repression.“
„Übergriffe sind kein Einzelfall“
Dann zog die Demonstration weiter über die Neckarbrücke und die Mühlstraße, immer wieder gab es Zustimmung von PassantInnen und AnwohnerInnen, einige von ihnen reihten sich in die Demonstration ein. In Parolen wie „§129 kennen wir schon – Feuer und Flamme der Repression“ wurde der Staat und die Polizei kritisiert. Bei einer weiteren Zwischenkundgebung wurde über schwere rechte Verfehlungen der Polizei in den letzten Jahren gesprochen und die Strukturen der Polizei kritisiert. So wurden die Drohbriefe gegen die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız zu einem Frankfurter Polizeirevier zurückverfolgt. Ein Beamter im Einsatz nutze den Namen eines NSU-Terroristen als Deckname, und in einem polizeilichen Chat wurde der Weihnachtsgruß „Ho-Ho-Holocaust“ nebst Hakenkreuzgirlande gepostet.
Der Demozug ging weiter über den Holzmarkt zum Marktplatz. Dort ab es eine Abschlusskundgebung. In einem sehr emotionalen Redebeitrag, der stellvertretend für die „zwei vom Landgericht“ verlesen wurde, wurde auf die erlebte, gefühlte Machtlosigkeit und die Verhältnisse im Polizeigewahrsam eingegangen. Die Rednerin betonte, dass polizeiliche Übergriffe keine Einzelfälle seien. Dieses Agieren der Polizei dürfe nicht weiter akzeptiert und stillschweigend unter den Teppich gekehrt werden.
Solidarität spendet Kraft
Genau deshalb werde in dieser Situation die Idee der Solidarität wichtig und sei Kraft spendend. Solidarität bedeute, miteinander, füreinander einzustehen. „Irgendwie zieht Repression ja doch, denn ich habe jetzt mehr Angst, aber irgendwo zieht Repression auch nicht, weil mir so deutlich vor Augen geführt wurde, dass ich nicht alleine bin. In einem Ausmaß, das ich nie erwartet hätte.“
Es wurde noch ein Redebeitrag eines Mitarbeiters des Epplehauses verlesen, der sehr massiv den Polizeieinsatz am 4. Februar kritisierte.
In ihrer Pressemitteilung schrieben die VeranstalterInnen: „Wir als Lu15 waren mehr als zufrieden mit der lauten und kraftvollen Demonstration und bedanken uns sehr bei Allen, die uns geholfen haben und Allen, die mit uns auf die Straße gegangen sind. Gemeinsam haben wir gezeigt, dass wir trotz Repression und Machtdemonstration des Staates zusammenstehen.“
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