Von unseren ReporterInnen – Pforzheim. Etwa 50 Neonazis versammelten sich am Sonntag, 23. Februar, dem 75. Jahrestag des Bombenabwurfs der Alliierten auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg, bei Sturm auf dem Pforzheimer Wartberg. Sie missbrauchten das Gedenken an die Opfer erneut zu einer rechtspropagandistischen „Fackelmahnwache“. Etwa 1000 NazigegnerInnen protestierten gegen den Aufmarsch. Er wurde aus Lautsprechern so laut beschallt, dass sich Neonazis beschwerten. Ein Demonstrationszug von NazigegnerInnen zum Wartberg wurde ohne ersichtlichen Grund von der Polizei mit Schlagstock und Pfefferspray massiv angegriffen.
Die Stadt hatte im Vorfeld vergeblich versucht, die „Fackelmahnwache“ des extrem rechten Freundeskreises „Ein Herz für Deutschland“ mit Hinweis auf die neue Lage nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau zu verbieten. Nach einem juristischen Tauziehen genehmigte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg den Aufmarsch in letzter Instanz (siehe Verwaltungsgerichtshof lässt Neonazis aufmarschieren).
Ein Teil der GegendemonstrantInnen wurde am Sonntag auf dem Weg vom Pforzheimer Hauptbahnhof hoch zum Wartberg unmittelbar hinter dem Hotel Hasenmayer von Polizeieinheiten mit einem massiven Pfefferspray- und Schlagstockeinsatz gestoppt. Die Gründe dafür erschlossen sich für Beobachter nicht. Vor dem Hotel hatten die Versorger wie in jedem Jahr einen Stand aufgebaut. Als die Demonstration nach einer Zwischenkundgebung weiterzog, kam es zu der Aktion der Polizei.
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Anordnung der Einsatzleiterin verpufft
Offenbar waren die eingesetzten Polizeikräfte so sehr in ihrer Absicht gefangen, die DemonstrantInnen aufzuhalten, dass sie den gegenteiligen Befehl ihrer Einsatzleiterin, nämlich die Protestierenden durchzulassen, nicht mitbekamen – oder nicht mitbekommen wollten (siehe Video unten). Die Polizei geht in ihrer Pressemitteilung nicht weiter auf die Situation ein, der Gewaltausbruch ihrer Beamten ist darin kein Thema. Thematisiert wird eine Spontandemo nach dem Protest auf dem Wartberg zurück zum Bahnhof, bei der viel Pyrotechnik gezündet worden sei und es Provokationen gegenüber den Beamten gegeben habe. PZ-news meldete: „Den Einsatz von Schlagstöcken, als Demonstranten auf die Polizisten zurannten, um zum Wartberg-Plateau vorzudringen, streitet Stäble (Pressesprecher des Polizeipräsidiums Pforzheim – Anmerkung der BN-Redaktion) tags darauf auf erneutes Nachfragen nicht mehr ab. (…) Dass auch jemand aufgrund von Verletzungen durch einen Schlagstock ins Krankenhaus gebracht werden musste, dementiert Stäble.“
Ein versuchtes Vordringen auf das Wartberg-Plateau kann unsererseits nicht bestätigt werden. Der gewaltsame Polizeiübergriff ereignete sich bereits unmittelbar nach dem Passieren des Hotels Hasenmayer – also hunderte Meter vom Wartberg-Plateau entfernt.
Die DemosanitäterInnen Südwest berichteten von 17 Patientinnen, die sie am Sonntag behandeln mussten, davon 15 „aufgrund mehrfachen Pfeffersprayeinsatzes der Polizei“. Es sei von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen, da sich viele Betroffene selbst oder gegenseitig geholfen hätten. Eine weitere Person habe nach Schlagstockeinsatz der Polizei mit mehreren Verletzungen behandelt werden müssen – zunächst vor Ort, dann im Krankenhaus.
Diensthund beißt Polizistin
Im Polizeibericht ist von zwei verletzten Beamten die Rede: Eine Diensthundeführerin wurde von ihrem Vierbeiner gebissen, ein Polizist bekam ebenfalls Pfefferspray ab (siehe Video unten). Es gab vier Festnahmen – der Polizei zufolge, weil Demonstrierende das Vermummungsverbot missachtet hätten. Insgesamt zieht die Polizei aber ein „positives Fazit“ des Tages: „Lediglich beim gegen die Mahnwache gerichteten Aufzug der ‚Antifa‘ kam es vereinzelt zum Abbrennen von Pyrotechnik und Provokationen gegen die Polizeikräfte.“
Den DemonstrantInnen gelang es trotz des Polizeieinsatzes, bis zu den Absperrungen mit Hamburger Gittern auf dem Wartberg vorzudringen. Die Polizei hatte auch in diesem Jahr schweres Gerät wie Wasserwerfer und Beleuchtungsanlagen aufgefahren. Auch auffallend viele Polizeireiter- und Diensthundestaffeln waren an den Hängen des Wartbergs im Einsatz.
Fackeln trotz stürmischer Witterung
Am frühen Abend war zunächst unklar gewesen, ob die Neonazis bei stürmischer Witterung ihre Fackeln überhaupt abbrennen dürften. Um 17 Uhr begann auf den Platz der Synagoge in der Innenstadt eine Gegenkundgebung des Bündnisses Pforzheim gegen Rechts. Ein Teil der DemonstrantInnen zog zu einer Zwischenkundgebung auf dem Marktplatz und schloss sich am Hauptbahnhof mit einer Antifa-Demonstration zusammen, um zum Wartberg zu ziehen, wobei die Züge aus Stuttgart und Karlsruhe mit einiger Verspätung eintrafen.
Bei der Kundgebung am Bahnhof sprach ein Redner der Deutschen Friedensgesellschaft DFG-VK unter anderem über den AfD-Politiker Björn Höcke, der sich per Gerichtsbeschluss als Faschist bezeichnen lassen muss. Auch wurde ein Grußwort des Motorradclubs Kuhle Wampe verlesen.
Polizisten patrouillieren am Bahnsteig
Ein anderer Teil der NazigegnerInnen beteiligte sich an der um 19.30 Uhr beginnenden zentralen Gedenkkundgebung für die Opfer des Bombenangriffs der Alliierten auf die Stadt und die Opfer des Faschismus.
Am Wartberg stellten sich rund 1000 NazigegnerInnen der „Fackelmahnwache“ jenseits der Polizeiabsperrung entgegen. Danach zogen sie in einer Spontandemonstration zurück zum Bahnhof. Dort waren auf den Bahnsteigen Polizisten mit Kameras unterwegs, um gezielt nach bestimmten DemoteilnehmerInnen zu suchen – vermutlich, weil bei der Abschlussdemonstration zum Bahnhof Pyrotechnik gezündet worden war.
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