Stuttgart. Die Hausbesetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 im Stuttgarter Süden liegt beinahe zwei Jahre zurück. Nach mehreren Prozessen gegen Besetzerinnen sind nun die Stadträte Thomas Adler, Hannes Rockenbauch und Luigi Pantisano angeklagt. Sie hatten sich vor Ort ein Bild von der Situation gemacht. Laut Staatsanwaltschaft sollen sie damit Hausfriedensbruch begangen haben. Die Prozesstermine sind Montag, 9. März, und Montag, 23. März, jeweils um 9.15 Uhr im Amtsgericht in der Hauffstraße 5 in Stuttgart (Haltestelle Neckartor). An beiden Tagen plant das Aktionsbündnis Recht auf Wohnen eine Kundgebung um 8.30 Uhr vor dem Amtsgericht.
Die Stadträte hatten zwei Familien in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 kennengelernt, heißt es in einer Mitteilung des Aktionsbündnisses. In einer der besetzten Wohnungen wurde ein Rockpolitik-Video aufgenommen, ein Live Videoformat von Hannes Rockenbauch und Luigi Pantisano. Aus ihrer Sicht wird ihnen nun ihre Solidarität zum Vorwurf gemacht, obwohl in Stuttgart über 3000 Wohnungen in Stuttgart leer stünden, so Thomas Adler. Die Stadtverwaltung habe seit der Einführung der Satzung gegen Zweckentfremdung von Wohnraum 2016 nur 2400 Euro an Bußgeldern verhängt. Zu 2200 Euro seien dagegen allein die zwei Familien der Hausbesetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 verurteilt.
Stadträte äußern sich zur Anklage
„Wir haben einen massiven Mangel an bezahlbaren Wohnraum. Wer in so einer Situation Wohnungen unbegründet leerstehen lässt, handelt gegen das Gemeinwohl“, so Thomas Adler, wohnungspolitischer Sprecher und Fraktionsvorsitzender der „FrAKTION LINKE SÖS Piraten und Tierschutz“. Hannes Rockenbauch, ebenfalls Fraktionsvorsitzender, ergänzt: „Die Hausbesetzung war eine Reaktion auf den großen Handlungsbedarf und die Untätigkeit der Stadtspitze und die Mehrheit im Gemeinderat“. „Nicht diejenigen, die auf den Skandal von tausenden leerstehenden Wohnungen aufmerksam machen, gehören angeklagt, sondern diejenigen, die Wohnungen leerstehen und verfallen lassen“, findet Stadtrat Luigi Pantisano.
Wie kam es zur Hausbesetzung?
Das Gebäude in der Wilhelm-Raabe-Straße hat fünf Wohneinheiten. Zum Zeitpunkt der Hausbesetzung standen zwei Wohnungen leer, die drei anderen waren von Familien in regulären Mietverhältnissen bewohnt. Im Anschluss an eine Kundgebung des Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen am 28. April 2019 auf dem Erwin-Schoettle-Platz zogen hunderte Menschen zu dem Haus. Zwei Familien blieben. Die Alleinerziehende Rosevita mit Sohn zog in eine der leerstehenden Wohnungen. Die junge Familie Adriana mit Partner und Kind zog in die andere leerstehende Wohnung des Gebäudes. Rosevita hatte ihre alte Wohnung wegen Eigenbedarfs verloren und lebte vor der Besetzung mit Sohn in einem kleinen Zimmer bei ihrer Schwester. Adriana mit Partner und Kind lebten in einer viel zu kleinen Wohnung und hatten zuvor trotz langer und intensiver Suche keine größere Wohnung finden können (siehe auch Sie kamen, um zu bleiben und weitere Berichte).
Die Besetzung erfuhr in Stuttgart viel Zuspruch. Die Besetzerinnen und Besetzer forderten Mietverträge zu sozialen Konditionen, worauf sich die Eigentümerfamilie nicht einließ. Stattdessen erfolgte genau einen Monat nach der Besetzung die Zwangsräumung mit einem Großaufgebot der Polizei. Noch am selben Abend demonstrierten aus Protest 600 Menschen in Heslach (wir berichteten).
Bündnis: Die Entmietung läuft weiter
Mittlerweile ist das Haus den Angaben des Bündnisses zufolge nach ungezählten Räumungsklagen bis auf eine Familie vollständig entmietet. Vier von fünf Wohnungen stünden leer. Die letzte verbleibende Familie sei ebenfalls mit einer Räumungsklage konfrontiert. Monatelang habe ein privater Sicherheitsdienst mindestens einmal täglich im Gebäude patrouilliert. An der Hausfassade sei eine Kamera montiert worden. Ein Durchgang vom Hinterhof zum Nachbarshof sei zuerst mit einem Bretterverschlag verbarrikadiert worden, mittlerweile trenne eine Steinmauer die Höfe.
Die Zugänge zu den anderen Wohnungen seien mit Holzplatten verschraubt worden. Der Dachboden, auf dem persönliche Gegenstände der MieterInnen lagerten, sei ebenfalls zugeschraubt und die Müllcontainer seien verschlossen worden: „Seit zwei Jahren betreibt die Eigentümerfamilie Passy eine Einschüchterungs- und Entmietungsstrategie. Die damals besetzten Wohnungen stehen heute – fast zwei Jahre nach der Hausbesetzung – immer noch leer und es wurden keine großen Sanierungsmaßnahmen durchgeführt“, so das Bündnis.
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