Von Wolfgang Weichert – Stuttgart. Die Stadt Stuttgart hat noch am 14. April die Kritik der Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig (Die Linke) zurückgewiesen, dass auf der S21-Baustelle die Corona-Abstandsregeln nicht eingehalten werden. Laut SWR hatte Leidig dies kürzlich bei einer Montagsdemo der S21-Gegener moniert. Die S-21-Baustelle werde in Sachen Infektionsschutz regelmäßig vom Gewerbeaufsichtsamt überprüft, so das Amt für Umweltschutz. Drei Tage nach dem Persilschein der Stadt kam die Meldung: „Corona auf den S-21-Baustellen ausgebrochen.“
Ausgehend von den Vorgaben des Wirtschaftsministeriums seien keine Verstöße bei Stichprobenkontrollen festgestellt worden, hatte das Amt für Umweltschutz erklärt. Auch mit den Verantwortlichen der Baufirma Züblin und der Deutschen Bahn sei man im Gespräch. Das Infektionsrisiko auf der Baustelle werde fortlaufend neu bewertet und Schutzmaßnahmen würden angepasst.
100 Arbeiter in Quarantäne
Nun war zunächst von drei infizierten Arbeitern die Rede. Inzwischen – Stand Freitagabend – sind es schon sechs türkische S-21-Arbeiter, die infiziert wurden. Zwei wurden bereits ins Krankenhaus überführt. Etliche Kontaktpersonen der Erkrankten aus den Containerwohnungen am Nordbahnhof wurden unter Quarantäne gestellt – die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet von 100 Arbeitern.
Türkische Kollegen waren im Cannstatter Tunnel und im Bahnhofstrog eingesetzt. Stadtrat Tom Adler (Vorsitzender des Linksbündnisses Fraktion) hat den Skandal, der zunächst wohl unter der Decke gehalten werden sollte, aufgedeckt und öffentlich gemacht, nachdem ihm entsprechende Informationen zugespielt worden waren.
Warnungen in den Wind geschlagen
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hatte bereits am 26. März vor den Ansteckungsrisiken auf den S21-Baustellen gewarnt und einen Baustopp gefordert: Wo Fabriken, Geschäfte und Büros mit Rücksicht auf das Ansteckungsrisiko dicht machen und nur noch „systemrelevante“ Arbeiten verrichtet werden, sei völlig unverständlich, dass auf den S21-Baustellen weiter gearbeitet werde. Dort könnten oft die Distanzregeln nicht eingehalten werden. Gerade weil viele TunnelarbeiterInnen aus Osteuropa und vor allem Österreich kommen, bestehe zudem das Risiko grenzüberschreitender Infektionen.
Die Pressemitteilung des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 im Wortlaut:
„Während in Österreich die maßgeblich bei S21 beteiligten Baukonzerne Strabag (mit seiner Tochter Züblin) und Porr auf Druck von Auftraggebern und Politik ihre Baustellen schon vor Wochen fast vollständig geschlossen haben, stehen dieselben Firmen bei Stuttgart 21 offensichtlich unter besonderem Schutz der politisch Verantwortlichen in Stadt und Land. Aus dem vormals postulierten ‚Kritischen Begleiten‘ ist inzwischen ein unkritisches Begleiten von Stuttgart 21 geworden. Die zuständigen Gewerbeaufsichtsämter werden offenbar rausgehalten. Die S-21-Baustellen würden nur stichprobenartig geprüft, um die Mitarbeiter des Amts vor Ansteckung zu schützen. Damit kaschieren die Verantwortlichen nur mühsam ihre fehlende Bereitschaft, bei S 21 ähnlich konsequent durchzugreifen, wie sie es bei Kontrollen in der Königstraße oder am Bärenschlösschen machen, wenn Sicherheitsvorschriften nicht beachtet werden.
Niemand klopft der türkischen Firma Enfa auf die Finger, die auf ihrer Website dafür wirbt, in Deutschland ‚Arbeit in einem besonders gesunden und sicheren Arbeitsumfeld‘ zu bieten. Niemand schert sich darum, dass die Sub-Unternehmen der S-21-Firmen Hochtief und Züblin nach Aussagen der türkischen Arbeiter 7 Euro, also weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn, die Stunde zahlen, dass sie offensichtlich keine Krankenversicherung für Deutschland besitzen, in engen Containern zusammengepfercht wohnen, dass ihnen kein angemessenes Schutzmaterial zur Verfügung gestellt wurde, dass ihre Arbeitsverträge seit dem 14. April ausgelaufen sind, viele über keine Geldreserven verfügen und dass sie ohne Deutschkenntnisse bei alledem kaum wissen, wie ihnen geschieht.
‚In vielen Bereichen müssen jetzt oft schmerzhafte Risiken für Beschäftigten in systemrelevanten Bereichen eingegangen werden. Dass jedoch Gesundheit und Leben von Bauarbeitern für ein sinnloses Projekt aufs Spiel gesetzt werden, kann man nur noch als Skandal bezeichnen‘, so Bündnissprecher Martin Poguntke. Inzwischen dürfte es wohl eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Bauarbeiten auf den S-21-Baustellen umgehend eingestellt werden müssen. Das Bündnis fordert ein Ende der Geheimniskrämerei bei S 21, das heißt volle Transparenz über das Geschehen auf allen S-21-Baustellen und eine Untersuchung der Verantwortlichkeiten für den Ausbruch des Virus, insoweit dieser vermeidbar gewesen wäre.“
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