Von Sahra Barkini – Stuttgart. Erneut gab es am Samstag, 25. April, in Stuttgart eine Kundgebung „für das Grundgesetz“. Abermals reichte die Mischung der TeilnehmerInnen von Impfkritikern, Verschwörungstheoretikern und „besorgten BürgerInnen“ über einen Ex-AfD-Stadtrat bis zu Oliver Hilburger (Kopf der Pseudogewerkschaft Zentrum Automobil und Ex-Bandmitglied der Neonazi Band Noie Werte) und Mitgliedern der Jungen Alternative. Auch die Dauer-Bürgermeisterkandidatin Fridi Miller sowie der Fellbacher Youtuber Michael Stecher gaben sich die Ehre. Die Stuttgarter Polizei fühlte sich offenbar weder für die Kundgebungsfläche noch für die Einhaltung der Auflagen zuständig. Die Demo am Samstag, 2. Mai, soll auf den Stuttgarter Wasen in Cannstatt verbannt werden. Das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region hat eine Informationskundgebung unter dem Motto „Protest Ja! – Schulterschluss mit Rechts Nein!“ angekündigt. Diese soll um 14 Uhr an der Rückseite des Cannstatter Bahnhofs beginnen.
Noch immer hat Covid-19 Deutschland und die Welt fest im Griff, noch immer gelten Kontaktbeschränkungen, Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen. Allerdings bot sich am vergangenen Samstag in der Stuttgarter Innenstadt ein ganz anderes Bild. Bereits zum dritten Mal nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde auf dem Schlossplatz demonstriert (siehe auch „Wirr ist das Volk„).
Impfgegner und Aluhutträger
Aufgerufen hatte „Querdenken 711“. Gefolgt sind diesem Aufruf circa 800 Menschen. Die „Querdenken“-Initiative wurde von Michael Ballweg gegründet. Er ist gleichzeitig der Anmelder der Stuttgarter Demonstrationen und erstritt das Recht, diese Kundgebungen durchzuführen. Mit seiner Initiative will er Neuwahlen im Oktober 2020 erreichen.
Angeblich sei ihm nicht bewusst gewesen, wer sich alles auf seinen Kundgebungen tummelt. Dennoch findet er, jeder sollte mitdemonstrieren dürfen. Dies gilt auch für den bekannten und umstrittenen Impfkritiker Hans Tolzin. Nach eigenen Angaben lehnt Ballweg aber eine Unterwanderung von Linken und der AfD ab. Er habe bei der ersten Demo ein ehemaliges AfD-Mitglied darum gebeten, „parteiliches Kapern“ zu unterlassen. Zumindest ist das in einem Interview zu lesen. Allerdings war besagter Ex-AfD-Mann auch dieses Mal wieder mittendrin. In einer Rede rief Ballweg den Anwesenden zu: „Bei dieser Demo kursiert ein Virus, das Freiheitsvirus“. Dies wurde mit lautem Applaus quittiert.
Auflagen spielten offenbar keine Rolle
Während bei der Kundgebung vor einer Woche Flatterband noch als improvisierte Ordnerbinde fungierte, erfüllte es nun wieder seinen eigentlichen Zweck und teilte den Schlossplatz und einen Teil der Königsstraße in zwei Teile. Von Beginn der Treppen bis zum Pavillon wurde die Königsstraße halbiert. Ob es dieses Mal OrdnerInnenbinden gab, ist schwer zu sagen. Es gab Plakate auf denen „Ordner“ stand. Angemeldet war eine Demonstration mit bis zu hundert Personen. Gekommen waren ein Vielfaches mehr.
Auf der Kundgebungsfläche wurden die zuvor vorgelesenen Auflagen absolut nicht eingehalten. Offenbar schaffte es der Versammlungsleiter nicht, die Anwesenden dazu zu bewegen, den Mindestabstand einzuhalten. Auch die Stuttgarter Polizei fühlte sich nicht dafür zuständig. Die BeamtInnen liefen den abgesperrten Bereich zwar ab und wiesen außerhalb Stehende auf die Einhaltung des Mindestabstands hin, nicht jedoch die TeilnehmerInnen der Kundgebung.
Man umarmte sich und drückte sich …
Unsere ReporterInnen berichteten, dass eine Passantin bei den PolizistInnen nachgefragt habe, warum kein Abstand eingehalten werde. Sie habe zur Antwort bekommen, dass außerhalb des abgesperrten Bereichs die Corona-Verordnung gelte, und innerhalb gelte das Versammlungsrecht.
Da keine Regeln zur Eindämmung der Pandemie zu gelten schienen, wurde fröhlich umarmt, und die TeilnehmerInnen standen eng zusammen. Eine Frau trug ein selbstgestaltetes T-Shirt auf dem stand, dass sie Umarmungen, Lächeln, Gemeinschaft und Lebensfreude brauche, um gesund zu bleiben. Darum ließen sich mehrere KundgebungsteilnehmerInnen nicht zweimal bitten, und es wurde nach Herzenslust gedrückt und in den Arm genommen.
Die ImpfgegnerInnen betonten wie schon in der Vorwoche, dass sie keine Zwangsimpfungen wollten. Es gab „Wir sind das Volk“ Plakate und solche mit Bezug zu Artikel 20 des Grundgesetzes, der sich mit dem Widerstandsrecht in einer Diktatur befasst.
Corona-Party mitten in der Stadt
Ein Teilnehmer erklärte auf einem Schild die Pandemie für beendet. Die ARD belüge ihr Publikum. Man sah T-Shirts mit Werbung für das rechtsoffene Portal von Ken Jebsen (KenFM). Der Mundschutz wurde zum Maulkorb erklärt, der die Freiheit einschränke. Außerdem sahen die TeilnehmerInnen die Grundrechte durch den Staat genommen oder in Zusammenhang mit Corona sterben – die BRD habe fertig. Und sie erklärten Bill Gates zum Feind. Soros und die Juden beherrschten alles, hieß es weiter. Auch die Behauptung, die BRD sei nur eine GmbH, fehlte nicht.
Für Oliver Hilburger von „Zentrum Automobil“ führt Covid-19 zu Zuständen, die an Orwells 1984 erinnern. Auch waren AluhutträgerInnen, Menschen mit Krone und ein Ritterhelmträger zu sehen. Die PassantInnen schüttelten die Köpfe und äußerten Unverständnis über diese Corona-Party mitten in der Stadt.
Immer wieder mittwochs und samstags
Angemeldet war die Kundgebung von 15.30 bis 17 Uhr. Die ersten Teilnehmer waren allerdings bereits vor 13.30 Uhr auf dem Platz. Erst gegen 17.45 Uhr wurde die Versammlung für beendet erklärt – für die Polizei augenscheinlich kein Problem. Zuvor sangen die Anwesenden noch gemeinsam die Nationalhymne. Weitere Termine sind geplant. So soll es eine Kundgebung am Mittwoch und dann wieder am Samstag geben.
AntifaschistInnen kündigen Info-Kundgebung an:
„Protest Ja! – Schulterschluss mit Rechts Nein!“
Nach dieser Demonstration war von der Stadt Stuttgart zu hören, die Auflagen für Demonstrationen sollten verschärft werden. Auch suche man einen anderen Kundgebungsort. Inzwischen hat der Veranstalter angekündigt, er rechne mit bis zu 2000 TeilnehmerInnen an der nächsten Demonstration am 2. Mai. Dafür wäre der von Ordungsbürgermeister Martin Schairer ins Gespräch gebrachte Marktplatz zu klein. Da die Mittwochsdemo eher kleiner ausfällt, könne diese laut Stadtverwaltung auf dem Schlossplatz stattfinden. Die Demo am Samstag, 2. Mai, soll auf den Stuttgarter Wasen in Cannstatt verbannt werden. Das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) hat eine Informationskundgebung angekündigt. Diese soll um 14 Uhr an der Rückseite des Cannstatter Bahnhofs stattfinden.
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