Von Sahra Barkini – Stuttgart. Seit drei Wochen wird in Stuttgart regelmäßig „Für das Grundgesetz“ demonstriert – so auch am Samstag, 2. Mai. Bei der vorherigen Demonstration auf dem Stuttgarter Schlossplatz wurden die Abstandsregeln nicht eingehalten (siehe „Mit dem Aluhut im Flatterbandkäfig„). Daher verlegte die Stadt Stuttgart die Kundgebung auf den Cannstatter Wasen. Laut Veranstalter Michael Ballweg wurden 2500 TeilnehmerInnen erwartet. Es kamen um die 5000 Teilnehmerinnen, und zwar nicht nur aus Baden-Württemberg. Wie zuvor auf den Schlossplatz zog es ImpfgegnerInnen wie den Impfkritiker Tolzin, VerschwörungstheoretikerInnen, Familien mit kleinen Kindern, S21-GegnerInnen und einige Rechte und Faschisten auf den Wasen. Es kamen Mitglieder der Identitären Bewegung, der AfD, des Zentrum Automobil und Ex-AfD Stadtrat Heinrich Fiechtner zur „Corona-Party“. Am Samstag, 9. Mai, wollen die „Grundgesetzschützer“ wieder auf dem Wasen aufmarschieren. Ein breites Bündnis will an diesem Tag ab 14.30 Uhr am Cannstatter Kursaal dagegenhalten.
Am Cannstatter Bahnhof hielt das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) eine Kundgebung ab, bei der auf die TeilnehmerInnen der „Querdenken711“-Versammlung eingegangen wurde. Dem Aufruf unter dem Motto: „Freiheitsrechte verteidigen – Nazis bekämpfen“ folgten etwa 100 Personen. Die KundgebungsteilnehmerInnen erhielten Hintergrundinformationen über die Personen aus dem rechten Spektrum, die sich an der „Grundgesetz-Demo“ beteiligten. Auch wurde auf die Folgen der momentanen Pandemie eingegangen. Es ist jedem klar, dass die Corona-Pandemie den Alltag aller Menschen in der Gesellschaft verändert hat, so die Rednerin das AABS. Viele wurden durch die unmittelbaren Folgen der Krise in prekäre Lebensumstände oder unsichere Arbeitsverhältnisse gedrängt.
Die momentane Krise werde auf dem Rücken der Pflegekräfte, der SupermarktkassiererInnen und anderer Beschäftigter abgeladen und dabei weiter Profit eingeheimst. Auch sei es grundsätzlich richtig, sich gegen die Einschränkungen von Freiheitsrechten einzusetzen und auch gegen die Folgen der Krise auf die Straße zu gehen. Doch gebe es diese Einschränkungen nicht erst seit Corona. Seit jeher versucht der Staat, fortschrittliche Kräfte zu kontrollieren und einzudämmen. Aber auch die Corona-Krise sei kein Grund, sich gemeinsam mit Rechten und Nazis auf die Straße zu begeben.
Keine Plattform für Neonazis!
Auf den „Querdenken711“-Demonstrationen zeigten sich Nazis und Rechte nicht offen, sondern nutzten die Bühne, die ihnen geboten wird. Es sei aber typisch, dass sie versuchten, soziale Ungerechtigkeit und Ängste aufzugreifen, aber keine Antworten böten. Die AfD stehe nicht für Freiheitsrechte, sondern versuche, einen repressiven Überwachungsstaat aufzubauen. Deshalb sei es heuchlerisch, wenn nun unter anderen der Sprecher des AfD-Kreisverbandes Stuttgart, Andreas Mürter, und der Landtagsabgeordnete Hans Peter Strauch auf diesen Grundgesetz Demos auftauchen. Oder wenn sich plötzlich Oliver Hilburger von der Pseudogewerkschaft Zentrum Automobil, Ex-Mitglied der „Blood&Honour“ Band „Noie Werte“, für Freiheitsrechte einsetzt.
Die Rednerin sagte: „Wir werden keine Veranstaltung akzeptieren, bei der Nazis oder anderen Rechten der Hof gemacht wird. Denn denjenigen, die bereits erkämpfte Freiheitsrechte sofort wieder abschaffen wollen und einen Polizeistaat begrüßen, eine Plattform zu bieten, ist sowohl gefährlich als auch inakzeptabel“.
Warnweste und Flatterband
Im Anschluss an die Kundgebung zogen die TeilnehmerInnen in einer Spontandemonstration zum Wasen, um dort Präsenz zu zeigen und die TeilnehmerInnen der „Querdenken711“-Kundgebung über die anwesenden Personen aus dem rechten Spektrum mit Hilfe eines Megafons aufzuklären. Die Anwesenheit der AntifaschistInnen passte manchen Personen aus dem rechten Spektrum offenbar nicht, und es gab vereinzelt Provokationen und Rufe wie „ihr seid Linksfaschisten“. Nach einiger Zeit zogen sich die meisten der AntifaschistInnen mit einer Spontandemonstration Richtung Bahnhof wieder zurück.
Diesen Rückzug nahm der Veranstalter zum Anlass zu behaupten, nach Verhandlungen mit ihm sei „die Antifa“ gegangen. Er dulde auf seinen Demos keine Linksradikalen. Dies brachte ihm großen Applaus ein. Sein Nachsatz, er dulde auch keine Rechtsradikale, schien aber keinen wirklich zu interessieren. Es gab nur sehr verhalten Applaus.
„Das Volk“ schwenkt Deutschlandfahnen
Wie auch schon in den Wochen zuvor wurden auch auf dem Wasen wieder die Grundrechte vorgetragen. Die Abstandsregeln wurde erneut nur am Rand eingehalten und kaum vor der Bühne. OrderInnen bekamen dieses Mal Leuchtwesten, und als diese verteilt waren, musste wieder Flatterband als OrderInnenbinde herhalten. Ballweg bat seine ZuhörerInnen, bei der nächsten Demonstration einfach eine eigene Warnweste mitzubringen.
Es wurde sich wieder umarmt, da ja die Corona-Pandemie sowieso beendet ist, zumindest ist das die Meinung so mancher TeilnehmerInnen. Es wurden Deutschlandfahnen geschwenkt, und auch das von Pegida bekannte „Wir sind das Volk“ war sowohl als Ruf zu hören, als auch auf Plakaten zu sehen. Die obligatorische Forderung „Merkel muss weg“ fehlte auch nicht.
Alukugel statt Aluhut
Auf Plakaten war unter anderem zu lesen: „Jesus rettet Leben. Bill Gates zerstört Leben“, „Gib Gates keine Chance – Widerstand 2020“, „Manipulation und Kalkulation mit der Angst – Maskenpflicht statt Schulpflicht. Virusphobie statt Demokratie“. Es gab diesesmal (fast) keine AluhutträgerInnen, der Trend scheint zur Alufolienkugel zu gehen, denn diese war mehrmals als Accessoires zu sehen.
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Für die nächste Demonstration erhofft sich Ballweg bis zu 50 000 TeilnehmerInnen. Die Stadt Stuttgart hat die TeilnehmerInnenzahl inzwischen auf 10 000 beschränkt. Seinen AnhängerInnen empfahl er außerdem, Kundgebungen in der Stuttgarter Innenstadt anzumelden, damit man auch mitten im Geschehen Präsenz zeige. Außerdem solle sich die nächste Veranstaltung mit Künstlern beschäftigen. Auch werde die Technik nochmal aufgerüstet, damit die gesamte Fläche des Wasens beschallt werden kann.
Zum Ende der etwa zwei stündigen Veranstaltung wurde ein Gedicht vorgetragen, in dem Impfen mit dem Holocaust in Verbindung gebracht wurde (im Anschluss in Auszügen nachzulesen). Zuletzt sangen die TeilnehmerInnen noch gemeinsam.
Kundgebung „Solidarität, Freiheitsrechte, klare Kante gegen Rechts“
Für Samstag, 9. Mai, rufen Stuttgarter Organisationen und Vereine – darunter Verdi, das Antifaschistische Aktionsbündnis und der Württembergische Kunstverein – zu einer Kundgebung in Cannstatt auf. Beginn ist um 14.30 Uhr am Kursaal. Das Bündnis betont: „Für alle Beteiligten gilt die Einhaltung der Abstandsregeln“.
Die Kundgebung sei wichtig, um die Sorgen über politische Krisenmaßnahmen während der Coronapandemie zum Ausdruck zu bringen, sagt ein Sprecher der InitiatorInnen. Die VeranstalterInnen wollen sich solidarisch zeigen mit den Menschen, die von der Krise am schwersten betroffen sind. Gleichzeitig geht es um die klare Abgrenzung von dem verschwörungstheoretisch gefärbten und von rechts beeinflussten Protest, der auf dem Wasen angekündigt ist.
„Die Coronapandemie ist die Krise vor der Krise. Zu erwarten ist der größte Wirtschaftseinbruch seit Jahrzehnten. Viele Menschen blicken in eine ungewisse Zukunft und sind jetzt aus Sorge um ihre Existenz bereit, ihre Gesundheit und die ihrer Nächsten zu riskieren, um ihren Beitrag zur Wiederherstellung einer boomenden Wirtschaft zu leisten“, so eine Sprecherin. Die Coronapandemie und gerade der Blick auf den Gesundheitssektor machten sichtbar, wie gefährlich Wirtschaften allein nach Profitinteressen für die Menschen sei.
Seit der Pandemie wurden Freiheitsrechte eingeschränkt. Viele Menschen leiden verständlicherweise darunter, dass Kinder nicht auf Spielplätze oder alte und kranke Menschen nicht besucht werden können. „Es ist aber wichtig, darüber auf der Basis wissenschaftlicher Fakten zu diskutieren“, so die InitiatorInnen. „Allerdings herrscht viel mehr Unmut über die Pflicht, mit Maske im Supermarkt Spargel zu kaufen, als darüber, dass der Spargel von schlecht geschützten ErntehelfeInnen gestochen und bei KassiererInnen bezahlt wird, die mit mangelnder Schutzausrüstung Überstunden machen müssen.“
Freiheit bedeute nicht allein die Freiheit der Wirtschaft, Profite auf Kosten von Menschen zu machen. Auch müsse beobachtet werden, auf wessen Rücken die Krise ausgetragen werde. Es könne nicht sein, dass zurzeit Millionen Euro aus der Staatskasse in Konzerne fließen, während das Arbeitszeitgesetz gelockert und Dividenden an AktionärInnen ausgeschüttet würden.
„Wut ist verständlich und Protest notwendig. Doch niemals gemeinsam mit Rechten und Verschwörungstheoretikern“, heißt es im Aufruf der Veranstaltenden. An den „Wir für das Grundgesetz“-Demos seien organisierte Rechte aller Schattierungen beteiligt, darunter Hardliner von AfD und Co., die seit jeher für eine Politik des Spaltens und des Neoliberalismus stünden – und nicht für Freiheitsrechte in unserer Gesellschaft.
„Deshalb wollen wir unter dem Motto Solidarität – Freiheitsrechte – klare Kante gegen Rechts die Aspekte der Krise darstellen und gemeinsam auf der Straße sein. Protest im Internet reicht nicht aus“, so eine Sprecherin. Selbstverständlich stehe bei der Kundgebung die Gesundheit aller Teilnehmenden im Vordergrund. Die InitiatorInnen fordern alle auf, Abstand zu halten und Mund-Nasen-Schutz zu tragen.
Programm:
Es sprechen: Hanna Binder (stellv. Landesbezirksleiterin ver.di BaWü), Joe Bauer (Flaneur und Journalist), Rex Osa (Aktivist von Refugees4Refugees) und eine Vertreterin/ein Vertreter des Antifaschistischen Aktionsbündnisses. Musikalische Begleitung von und mit Stefan Hiss (Polka’n’Roll aus Stuttgart)
Dieses Gedicht wurde auf der Querdenken711 Demonstration vorgetragen. Der Interpret stellte sich nicht vor. Hier transkribierte Auszüge.
[…]
„Verschwörungstheorie“ dieses Wort wurde geprägt von der CIA
Nach dem Kennedy-Mord in the USA
Wer glaubt noch wirklich wir sind frei
Wir werden als Verschwörungstheoretiker denunziert,
wie Xavier Naidoo oder Reinhard Mey (Publikum klatscht)
Und als Gesellschaft in den Abgrund geführt
Und ich bete, es schützt uns die Polizei (Publikum klatscht)
Denn es geht uns alle an
Vielleicht geht’s ums Deutsche Reich
Um die Rettung von kleinen Betrieben
Um Einigkeit und Recht und Freiheit
Wer ist dabei? (Publikum jubelt)
[Yeaaahhh, Wuuuuuu („Merkel muss weg“-Rufe)]
Oder wie will ein Polizeibeamter seinen Kindern einmal erklären,
dass er in dieser Zeit dabei war? Hey, das wird schwer.
[…]
die Menschheit steht am Scheideweg
ein Jahr, das die Zukunft prägt
ein Jahr, das in die Geschichtsbücher eingeht
so wie 1933 (verhaltenes Klatschen)
als Hitler an die Macht kam, veränderte es die Gesellschaft
Wir dulden keinen neuen Holocaust, diesen ungetesteten Impfwahn.
Für deren Weltherrschaft (Publikum jubelt)
Eine neue Erde, Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit
Liebe, die Weltmacht (Publikum klatscht)
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