Von Sahra Barkini – Stuttgart. Das neu gegründete „Krisenbündnis Stuttgart“ hielt am Samstag, 30. Mai, seine erste Kundgebung ab. Unter dem Motto „Ihre Krise … Nicht auf unserem Rücken“ versammelten sich etwa 400 Menschen im oberen Schlossgarten. Neben Redebeiträgen gab es auch Musik von der Ska Band „No sports“. Nach der Kundgebung solidarisierten sich die TeilnehmerInnen mit dem DGB Stuttgart. Am Samstagvormittag hatten AktivistInnen der Identitären Bewegung (IB) ein Transparent am Balkon des Gewerkschaftshauses aufgehängt, Kunstblut versprüht und Bengalos gezündetet (siehe auch „DGB verurteilt Anschlag auf Willi-Bleicher-Haus„). Am Freitag, 5. Juni, gab es aus diesem Grund eine Solidaritätskundgebung vor dem DGB-Haus auf dem Clara-Zetkin-Platz (Bericht folgt).
Bei der Kundgebung des Krisenbündnisses sprachen Yvonne Wolz (Feministische Aktivistin und Geschäftsführerin der Wildwasser-Beratungsstelle für Frauen), Alexander Münchow (Landesbezirkssekretär der Gewerkschaft „Nahrung, Genuss, Gaststätten“ NGG) und der Kolumnist Joe Bauer.
Trittbrettfahrer fordern Sozialabbau
Zwei RednerInnen des Bündnisses machten mit Zitaten aus den vergangenen Wochen darauf aufmerksam, wem die momentane Krise nütze und auf wessen Rücken sie ausgetragen werde. So forderte die AG Wirtschaft der CDU die 48-Stunden Woche und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga, dass die Erhöhung des Mindestlohns im kommenden Jahr ausgesetzt wird. Der Arbeitgeberverband Südwestmetall erklärte in einer Pressemitteilung, es dürfe „keine sozialen Wohltaten“ mehr geben, und die Grundrente müsse „auf den Prüfstand. Mühsam erstrittene Errungenschaften der Gewerkschaften sollten also wieder abgebaut werden.
In Baden-Württemberg sind zwei Drittel der Betriebe in Kurzarbeit. Der baden-württembergische Arbeitsmarkt ist von allen Bundesländern am stärksten betroffen. Schon jetzt haben Daimler und Eberspächer Stellenabbau angekündigt. Diese Krise dürfe aber nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, so die RednerInnen. Bei Voith in Sonthofen gab es trotz der Pandemie Streiks. Diese müsse man unterstützen. Der Redner sagte: „Es ist unser Job, Seite an Seite mit den Beschäftigten zu stehen. Heute, morgen und in der kommenden Wirtschaftskrise.“ Die Bundesregierung mache einen guten Job, zumindest aus Arbeitgebersicht, denn sie tue das, was sie am besten kann, sie mache „Krisenpolitik fürs Kapital“.
Rechte wittern ihre Chance
In diesem Staat bestimme die Wirtschaft die Politik. Das zeige sich an den Rettungsschirmen für die Autoindustrie oder Lufthansa, während Beschäftigte im Gesundheitssektor ein paar „Brotkrümmel“ bekämen, so die RednerInnen. Krisen riefen immer auch andere Akteure auf den Plan. Rechte witterten in dieser Zeit ihre Chance, den Unmut der Bevölkerung zu kanalisieren und auf Stimmenfang zu gehen, so die Rednerin. Dies habe sich auch vergangenes Wochenende auf dem Schillerplatz gezeigt, als die AfD auf den Querdenken-Zug aufsprang (siehe „Möglicher Protest vereitelt großen AfD-Aufmarsch„). Die AfD gebe sich als Kämpferin für Freiheit und Grundrechte aus, dabei heize sie die Stimmung an und versuche zu spalten.
Die Grenzen würden nicht zwischen Oben und unten, sondern zwischen deutsch und nicht-deutsch, zwischen nützlich und unwert, zwischen Männern und Frauen gezogen. Der Rechtsruck mache auch in Corona Zeiten keine Pause. Deshalb gelte auch in diesen Zeiten, dass man mit Rechten niemals auf die Straße gehe.
Die RednerInnen stellten auch das Krisenbündnis vor. Bisher gehörten ihm 40 Organisationen an. Mit dieser Kundgebung wollten sie nicht nur die Botschaft senden, dass die Krise „nicht auf unserem Rücken“ ausgetragen werden darf, sondern auch Widerstand anstoßen und in Bewegung kommen.
Frauen gehören zu den Verlierern
Wolz legte ihr Augenmerk auf die besondere Situation von Frauen in der Krise. Corona fordere vor allem einen höheren Betreuungsaufwand. Dieser bleibe häufig an Frauen hängen. Care-Arbeit gelte nicht als systemrelevant. Auch sei seit Beginn der Corona-Krise kein einziger Platz in den Frauenhäusern in Baden-Württemberg mehr frei. Oft könnten Frauen nicht mal mit Beratungsstellen telefonieren, da der gewalttätige Partner 24 Stunden anwesend sei.
Auch diese Menschen seien unsichtbar. Dabei gelte, so Wolz: „Besonders in Krisenzeiten geht es nicht um mich oder dich, es geht um uns, um eine solidarische, lebenswerte Gesellschaft ohne Angst, und diese Solidarität muss global sein.“ Ihre Rede schloss sie mit Worten von Bini Adamczak, einer politischen Autorin über Themen wie Kommunismus und queere Sexualität: „Eine Solidarität, die in die Grenzen und den Dienst der Nation gezwungen werden soll, ist keine.“
Krise zeigt Missstände in der Fleischindustrie
Münchow sprach über die Lebensmittelindustrie und die unwürdigen Bedingungen für Beschäftigte der Fleischindustrie. Bereits jetzt haben sich 1000 Beschäftigte mit Covid-19 infiziert. Die NGG habe seit Jahren die Verhältnisse in deutschen Schlachthöfen skandalisiert und die Politik gedrängt, endlich zu handeln. Man wollte aber nicht hören, sondern hörte lieber auf die „Fleischmafia“, so Münchow. Erst musste die Fleischindustrie zu Corona-Hotspots werden, bis sich jemand für die Bedingungen der dort Beschäftigten überhaupt interessiert.
„Die jetzige Krise führt dazu, dass es einem so vorkommt, als ob von der Gesellschaft eine riesige schwarze Plane runtergezogen wurde, und darunter erblicken wir auf einmal das ganze Elend, die Armut, die miesen Arbeitsbedingungen – sei es in der Fleischindustrie, in der Pflege, im Hotel-und Gaststättengewerbe (…), und wir sehn in geballter Form und noch ungeschminkter als sonst, welche sozialen Ungleichheiten sie täglich produziert“.
Das Falscheste wäre, zu einem Zustand wie vor der Krise zurückzukehren, als gäbe es keine Klimakrise, keine Ausbeutung und kein Auseinanderklaffen von Arm und Reich und keinen Mangel an bezahlbaren Wohnraum, so Münchow. Es brauche eine Richtungsänderung hin zu sozialer Gerechtigkeit: „Es wird endlich Zeit, dass die zur Finanzierung der Krise herangezogen werden, die die letzten Jahrzehnte unermesslichen Reichtum aus der Arbeit anderer angehäuft haben. Das mag jetzt radikal klingen, sollte allerdings eine Selbstverständlichkeit sein. Wir sollten nicht soviel Mitleid mit Kapitalisten haben, sondern sie zur Kasse bitten und endlich die Profiteure der Verhältnisse für die Krise bezahlen lassen“. Seine Rede beendete er mit den Worten: „Wir müssen den Mut haben, eine Welt jenseits des Kapitalismus zu erstreiten, Hoch die Internationale Solidarität“.
Solidarität ist nicht nur ein Wort
Solidarität sei nicht nur ein Wort, so Bauer. Solidarität bedeute, dass man gemeinsam gegen die Machenschaften in den Schlachthöfen demonstriere – ebenso wie gegen die Unzumutbarkeiten in Kitas und Schulen und auch gegen die Geringschätzung der Kulturschaffenden. Bauer weiter: „In Wirklichkeit ist Kulturarbeit für uns so wichtig wie die Bildungsarbeit oder die medizinische Versorgung. Und die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur wird ausgerechnet von den neoliberalen Wirtschaftsgläubigen überheblich ignoriert.“
Zum Abschluss der Kundgebung spielte noch einmal „No Sports“, und es formierte sich eine Spontandemonstration zum neuen Schloss, die sich am Ziel rasch auflöste. Dort waren ein Transparent und mehrere Plakate aufgehängt. Die Polizei begutachtete und dokumentierte den (augenscheinlich nicht vorhandenen) „Schaden“ und zog wieder ab.
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