Von Sahra Barkini – Stuttgart. Auf Initiative einer jungen Stuttgarterin gab es am Samstag, 6. Juni, im Oberen Schlossgarten in Stuttgart eine Kundgebung gegen Rassismus und Polizeigewalt. Erwartet wurden etwa 750 Menschen, doch es kamen circa 10 000, um an den Tod von George Floyd und anderer Opfer von Polizeigewalt zu erinnern. Die nächste Kundgebung gegen Rassismus findet am Samstag, 13. Juni, 12.30 Uhr, auf dem Cannstatter Wasen statt.
Nach der Kundgebung setzte die Polizei während einer Spontandemonstration Schlagstock und Pfefferspray gegen Demonstrierende ein.
Starkes Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt
Black Lives Matter – Schwarze Leben zählen oder das Kürzel „BLM“ waren überall zu lesen. Schon um 13.30 Uhr war der Platz vor dem Schauspielhaus gut gefüllt. Und noch immer strömten Menschen in Richtung Kundgebungsfläche. Überwiegend schwarz gekleidet und mit selbstgebastelten Schildern und Mund-Nasen-Schutz wollten sie ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt setzen.
Der Afroamerikaner George Floyd starb am 25. Mai in Minneapolis, nachdem ein Polizeibeamter 8 Minuten und 46 Sekunden auf seinem Hals und Genick gekniet war. Seine letzten Worte waren „I can‘ t breathe“ (Ich kann nicht atmen). Floyd wurde nur 46 Jahre alt und starb durch rassistische Polizeigewalt. Der Grund seiner Verhaftung war, dass er angeblich mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlt haben soll. Diese Lappalie reichte den beteiligten Polizisten offenbar aus, so massive Gewalt auszuüben, dass er sterben musste. Dem Polizisten, der auf seinem Hals kniete, wird „Mord zweiten Grades“ vorgeworfen. Dieser erneute Fall rassistischer Polizeigewalt führte weltweit zu Protesten.
„I can’t breathe“
In Stuttgart waren viele junge Menschen zu sehen. Sie einte eine „Enough is Enough“ (Genug ist Genug). Dies wurde ebenso gerufen wie Floyds letzte Worte „I can’t breathe“, „Black Lives Matter“ und „No justice, no Peace“.
Bei der Kundgebung gab es unter anderem von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD Stuttgart) Redebeiträge. Die Sprecher erinnerten daran, dass es auch in Deutschland rassistisch motivierte Morde gebe, über die geschwiegen werde: „Oury Jalloh 2005, in Polizeigewahrsam verbrannt, Alberto Adriano 2000 von Neonazis zu Tode geprügelt. William Mbobda 2019 auf mysteriöse Weise in einer Uniklinik ums Leben gekommen oder auch der unvollständig adressierte NSU-Komplex.“
Weiter hieß es in der Rede: „Vor dreieinhalb Monaten erst weinten und demonstrierten Menschen wegen sinnloser rassistischer Gewalt in Hanau. Davor über Halle. Davor über Chemnitz … Aber scheinbar immer nur so lange wie das Thema in den Medien ist“. Es brauche einen nachhaltigen Wandel und keine Trends. Rassistisch motivierte Gewalt höre nicht auf, nur weil sie nicht mehr in den Medien ist.„
Kraftvolle Spontandemonstration durch die Innenstadt
Es war eine kraftvolle, laute und gleichzeitig stille Kundgebung an diesem Samstag in Stuttgart. Im Anschluss an die Kundgebung formierte sich eine Spontandemonstration zum Neuen Schloss, vor dem bereits eine Hundertschaft Polizei postiert war. Dort riefen die DemonstrantInnen nochmals Parolen und knieten nieder. Außerdem hinterließen sie einige ihrer Schilder wie „We all bleed in the same Color“, „It’s not enough to be non racist, we must be antiracist“, „We stand in Solidarity“, „If you’re not angry you’re not paying attention“.
Nach ein paar Minuten zog die Demonstration weiter die Königsstraße entlang Richtung Rotebühlplatz und von dort über die Theodor-Heuss-Straße weiter zum Hauptbahnhof, um dort wieder niederzuknien.
PassantInnen und AutofahrerInnen zeigten sich auf der gesamten Strecke solidarisch. Die AutofahrerInnen hupten und signalisieren Zustimmung, obwohl sich die etwa 6000 TeilnehmerInnen starke Demo an den Fahrzeugen vorbeischlängelte. Unsere ReporterInnen berichten, dass auch zwei Demosanitäter vor Ort waren.
Bereitschaftspolizei: Uniformiert, vermummt und gewaltbereit
Nachdem die TeilnehmerInnen am Bahnhof zum Gedenken an Floyd niedergekniet waren, bog der Demonstrationszug in die Königsstraße ein. Auf Höhe des Schlossplatzes versuchten BeamtInnen des Antikonfliktteams, mit den Demonstrierenden an der Demospitze zu kommunizieren, merkten allerdings schnell, dass dies nicht von Erfolg gekrönt ist, und zogen sich zurück. Der Demonstrationszug zog weiter Richtung Rotebühlplatz, wurde aber kurz davor von behelmten PolizistInnen gestoppt.
Nach wenigen Minuten gaben die BeamtInnen ihre Blockade auf, aber es kam zum Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock. Trotzdem konnte die Demonstration ihren Weg durch die Innenstadt Stuttgarts fortsetzen. Sie liefen nochmal eine etwas größere Runde am Bahnhof vorbei, über die Kulturmeile und den Rotebühlplatz. Am Innenstadt Revier der Polizei legten sie einen Stopp ein, knieten wieder nieder und riefen „Black Lives Matter“.
Nach einigen Minuten des Verweilens zogen sie weiter die Theodor-Heuss-Straße entlang. Inzwischen hatte sich der ursprünglich etwa 6000 Menschen starke Demonstrationszug verkleinert. Es waren wohl noch immer mehr als 1000 Menschen unterwegs. Alles in allem war die Atmosphäre kraftvoll und friedlich.
Das scheint die Stuttgarter Zeitung anders wahrgenommen zu haben. Sie titelte ihre Berichte über den Demonstrationszug nach der Kundgebung am vergangenen Samstag mit „Demo-Team distanziert sich von Krawallen“, „Ausschreitungen am Rande von Anti-Rassismus-Demo“.
Keine Spur von Ausschreitungen seitens der DemonstrantInnen
Unsere ReporterInnen konnten hingegen weder Krawalle noch Ausschreitungen beobachten oder gar in Bild und Video festhalten. Die Gruppe, die sich vor dem Polizeirevier in der Theodor-Heuss-Straße formierte, bestand nach unseren Beobachtungen aus TeilnehmerInnen des Demonstrationszuges, die einen „Zwischenstopp“ vor dem Revier einlegten. Und nicht, wie suggeriert werden soll, aus der „Linken Szene Stuttgarts“. Hierbei begaben sich einige TeilnehmerInnen auf die Stufen die zum Revier führen und skandierten „Black Lives Matter“.
Hingegen berichtete auch die Polizei von Zwischenfällen rund um die Demonstration „Gegen Rassismus“. Die Stimmung bei den Aufzügen im Anschluss sei „teils sehr aggressiv“ gewesen. In Richtung der Einsatzkräfte seien mehrfach Gegenstände geworfen und Pyrotechnik gezündet worden. Die Polizei habe mehrere Personen vorläufig festgehalten und ihre Identitäten festgestellt.
Die nächste Kundgebung gegen Rassismus findet am Samstag, 13. Juni, 12.30 Uhr, auf dem Cannstatter Wasen statt.
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