Stuttgart. Die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg plant eine erneute Verschärfung des Polizeigesetzes. Überraschend kündigte die Landesregierung an, das Gesetz noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschieden zu wollen. Die erste Lesung des Gesetzes ist für den 25. Juni, die zweite Lesung am 15. Juli geplant. Da die zweite und dritte Lesung häufig zusammengefasst werden, könnte das Gesetz damit bereits verabschiedet sein. Die Kampagne #NoPolGBW gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes in Baden-Württemberg kritisiert die geplanten Änderungen.
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem den Einsatz von Bodycams in Wohnungen, erleichterte Vorkontrollen bei Veranstaltungen und Demonstrationen, eine Ausweitung der öffentlichen Videoüberwachung und die erleichterte Überwachung von Personen vor, die in der Zukunft möglicherweise eine Straftat begehen könnten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert das Gesetzesvorhaben und hält es für „verfassungsrechtlich bedenklich“.
Unabhängige Ermittlungsstellen gefordert
Auch Tobias Pflüger, Bundestagsabgeordneter der Linken aus dem Wahlkreis Freiburg und stellvertretender Parteivorsitzender, zeigt sich entsetzt über die Planungen, das baden-württembergische Polizeigesetz erneut zu verschärfen. „Weltweit wird nach dem Tod von George Floyd über Polizeigewalt diskutiert. Doch anstatt unabhängige Ermittlungsstellen zur Aufklärung von polizeilichem Fehlverhalten einzuführen, plant die Landesregierung eine Ausweitung der Rechte der Polizei“, so Pflüger. Angesichts der geplanten neuerlichen Verschärfungen stelle sich die Frage, ob die Grenze der Verfassungsmäßigkeit nun nicht überschritten sei.
Das baden-württembergische Polizeigesetz wurde im November 2017 das letzte Mal verschärft. Damals sei die Polizei mit Granaten und Sprengstoff aufgerüstet und die Möglichkeit zur Verhängung von Aufenthaltsanordnungen, Hausarrest sowie Kontaktverboten zwischen sogenannten „Gefährdern“ geschaffen worden. Auch die Einführung von „intelligenter Videoüberwachung“ im öffentlichen Raum und erweiterte Überwachungsmöglichkeiten durch den Einsatz eines Staatstrojaners zur Überwachung der laufenden Kommunikation habe für Kritik gesorgt.
Grundlegende Freiheits- und Grundrechte in Gefahr
Die Kampagne #NoPolGBW gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes in Baden-Württemberg kritisiert, dass die geplanten Änderungen grundlegende Freiheits- und Grundrechte einschränken würden: „Während die öffentliche Debatte durch die Pandemie bestimmt wird, will die Landesregierung still und heimlich das Polizeigesetz erneut verschärfen. Allein dies zeigt den autoritären Charakter des Vorhabens.“
Die Freiheitsrechte in der jetzigen Situation weiter und vor allem dauerhaft einzuschränken, sei zudem Wasser auf die Mühlen der rechtsoffenen Verschwörungstheoretiker, die derzeit wöchentlich in Stuttgart demonstrieren. Von diesen distanziert sich die Kampagne.
Wo bleibt die Kennzeichnungspflicht für die Polizei
„Wir lehnen weitere Verschärfungen ab und fordern stattdessen die Rücknahme der letzten Verschärfung. Außerdem sollte Ministerpräsident Winfried Kretschmann endlich die seit Jahren versprochene Kennzeichnungspflicht für die Polizei umsetzen und unabhängige Ermittlungsstellen einführen, um polizeiliches Fehlverhalten zukünftig besser aufklären zu können“, so Maja Kirsch, Pressesprecherin der Kampagne.
Die Kampagne #NoPolGBW kündigt weitere Demonstrationen und Aktionen an, falls die Landesregierung nicht Abstand von ihren Plänen nehme. Bereits 2019 hatte das Bündnis Demonstrationen in mehreren Städten organisiert.
Die Piratenpartei wendet sich gegen „staatliches Hacken“. Der Verfassungsschutz soll ihr zufolge weitere Befugnisse erhalten. Es gehe wie bei den Polizeigesetzen um das Mitschneiden von Nachrichten auf Mobiltelefonen. Damit stehe die Integrität technischer Infrastruktur steht auf dem Spiel.
Unverhältnismäßiger Eingriff auf Kommunikationsdaten
„Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, also letztlich das Hacken von Geräten um die laufende Kommunikation mitzulesen, ist ein eklatanter Eingriff in die Privatsphäre“, so Borys Sobieski, Landesvorsitzender der Piraten. „Das Umgehen von Sicherheitsmechanismen der Geräte ermöglicht letztlich den Zugriff auf den gesamten Speicher und nicht nur die Kommunikationsdaten. Egal ob der Chatverlauf mit der Mutter oder den Kinderbildern auf dem Handy, der Zugriff ist auf alles möglich. Selbst wenn er, wie eigentlich auch nur erlaubt, auf die Kommunikationsdaten erfolgt, werden zig Kontakte, die auf diesem Gerät gespeichert sind, abgehört. Ein unverhältnismäßiger Eingriff.“
Weitere Informationen:
https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/mitmachen/lp-16/anpassung-polizeigesetz/
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