Von Wolfgang Weichert – Stuttgart. Rund 100 Teilnehmer versammelten sich am frühen Montagabend, 15. Juni, auf dem Stuttgarter Schlossplatz, um gegen die türkischen Angriffe auf die kurdischen Regionen Sengal und Rojava, das Kandil-Gebirge und das UN-Flüchtlingscamp Maxmur in der Nacht zuvor zu protestieren.
Eine Aktivistin verlas einen Appell der Föderation des kurdischen Volkes in Deutschland an die Bundesregierung, „den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei im Bundestag zu diskutieren“. Alle Parteien sollten ein Schreiben aufzusetzen, dass die Überfälle durch die türkische Regierung beendet werden müssten.
„Wir können nicht tatenlos zusehen, wie ein NATO-Staat jedes Jahr auf ein Neues Völkermord und Kriegsverbrechen begeht. Wir können nicht tolerieren, dass die Bundesregierung den völkerrechtswidrigen Krieg und die türkische Besatzung durch ihr Schweigen und Waffenexporte unterstützt“, hießt es weiter: „Wir können nicht passiv zusehen, wie Grundrechte sowie internationale Vereinbarungen und Abkommen für nichtig erklärt werden. Es ist zutiefst unmoralisch, wie sich die türkische Regierung an keine einzige internationale Regel hält, jedoch vereinbarte Hilfsgelder oder Milliarden Euro aus dem Flüchtlingsabkommen in Anspruch nimmt.“
Auch sei nicht ersichtlich, wie die EU einem Staat, der völkerrechtswidrige Kriege führe, Massenmorde an Menschen begehe, in seinem Land die komplette Rechtssprechung ad absurdum führe und verhöhne, über 480 Millionen Gelder zusichern könne. Auch sei nicht zu verstehen, weshalb es keinen Einwand der Bundesregierung gebe und sie ein solches Vorgehen dulde.
Der Appell der Versammelten richtete sich auch an die PassantInnen: „Jedes Mal, wenn Sie sich überlegen, den Urlaub in der Türkei zu machen, oder beim Einkaufen von türkischen Lebensmitteln sollte sich ein Jeder Gedanken auch darüber machen, was und wer mit diesem Geld unterstützt wird.“ Ebenso sei es mit dem Waffenexport und Geschäften zwischen Regierungen. Die Bundesregierung müsse sofort jede Zusammenarbeit und geschäftlicher Beziehungen mit der türkischen AKP/MHP-Regierung aufkündigen.
Flächenbrand um das Flüchtlingscamp
Eine weitere Rede ging auf die Folgen der Luftschläge gegen Krankenhäuser und Flüchtlingscamps ein. Sie seien eine Kriegserklärung gegen alle demokratischen Kräfte. Nach den Bombardierungen sei ein Flächenbrand um das Flüchtlingscamp herum entstanden. Angaben über die Anzahl der Verletzten und Toten lägen noch nicht vor.
In Maxmur lebten über 12 000 Kurdinnen und Kurden, die Anfang der 90er Jahre vor dem Staatsterror der Türkei geflohen seien. Damals seien mehr als 3000 kurdische Dörfer niedergebrannt und die kurdischen BewohnerInnen verschleppt und hingerichtet worden. Das selbstorganisierte Flüchtlingscamp Maxmur steht unter dem Schutz der UN.
In der Region Shengal lebten Überlebende des Genozids und Feminizids des sogenannten Islamischen Staats (IS). Trotz der Entvölkerungspolitik seien hunderte von ezidischen Familien wieder nach Shengal zurückgekehrt und hätten begonnen, ihre zerstörten Häuser und Infrastruktur wieder aufzubauen. Ezidische Frauen hätten beschlossen, sich nicht länger auf den Schutz der staatlichen und internationalen Kräfte zu verlassen, die sie während der Angriffe des IS schutzlos zurückgelassen hatten, und ihre Selbstverteidigung organisiert.
„Menschen, die so viel Würde besitzen, dass sie allen Angriffen trotzen und an ihrer Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens festhalten, werden ein Mal mehr von völkerrechtswidrigen Angriffen heimgesucht“, hieß es in der Rede weiter: „Luftschläge gegen Krankenhäuser und Flüchtlingscamps, offenbar unter Billigung internationaler Kräfte – das ist eine Kriegserklärung gegen alle demokratischen Kräfte.“
Die Kundgebung verlief ohne Zwischenfälle.
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