Von Sahra Barkini – Stuttgart. „Wem gehört die Innenstadt?“ war das Thema einer Kundgebung am 11. Juli im Oberen Schlossgarten in Stuttgart. Dazu aufgerufen hatten Migrantifa Stuttgart, ISD (Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland), Aktionsbündnis NSU Komplex auflösen und andere. Es versmmelten sich an diesem Samstagnachmittag etwa 60 Menschen vor dem Schauspielhaus.
Die Ausschreitungen in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni haben das Stuttgarter Stadtbild merklich verändert. Verstärkte Polizeipräsenz und Personenkontrollen, an den Wochenenden waren auch schon Wasserwerfer bereitgestellt. Das Gebiet um den Eckensee wird nachts mit Flutlicht ausgeleuchtet, die Pferdestaffel der Polizei reitet durch die Innenstadt, und oft stehen ein oder auch mal zwei Hubschrauber über dem Stadtgebiet. Über Alkoholverbote wird nachgedacht, und laut Stuttgarter Zeitung wurden sie in der Nacht zum 12. Juli auch umgesetzt. Die Kameraüberwachung soll ausgeweitet werden. Was bedeuten Racial Profiling, Overpolicing in öffentlichen Räumen für die Jugendlichen, vorallem mit Migrationshintergrund, in dieser Stadt?
Die „Stuttgarter Krawallnacht“ wirkt wohl noch sehr lange nach. Der Stuttgarter Polizeipräsident Franz Lutz fordert, man müsse „Stammbaumforschung“ bei den Beteiligten betreiben – ob wörtlich mit diesem Begriff oder nur dem Inhalt nach. Die CDU im Stuttgarter Gemeinderat stellte einen Antrag, der stark an AfD-Anträge erinnert. So müsse nun dringendst herausgefunden werden, ob bei den Tatverdächtigen, obwohl sie einen deutschen Pass besitzen, nicht vielleicht doch ein Migrationshintergrund zu finden ist. Dies alles waren für die OrganisatorInnen genügend Gründe, um zu dieser Kundgebung aufzurufen.
Passkontrolle und Leibesvisitation
Die RednerInnen kritisierten das Verhalten der Polizei, bei Kontrollen vermehrt jugendliche Migranten ins Visier zu nehmen. Dieses sei in den letzten Jahren verstärkt zu beobachten, nicht nur im Bereich um den Eckensee. Aber man könne den Eindruck bekommen, als solle vor allem dieser Bereich von „unliebsamer Kundschaft“ gesäubert werden. Den Jugendlichen gebe man somit das Gefühl, pauschal verdächtigt zu werden. Sie werden nicht nur Passkontrollen unterzogen, sondern auch Leibesvisitationen. Es scheint, als sei das Motto, irgendwas werden sie schon angestellt haben.
„Aber wo sollen die Jugendlichen denn hin?“ fragte eine Rednerin. Diese Jugendlichen scheiterten oft an den Türstehern der Clubs. Da bleibe nur der öffentliche Raum, um sich zu treffen. Außerdem kritisierten die RednerInnen die Weigerung des Bundesinnenministers Horst Seehofer, eine Studie zum Rassismus in der Polizei anfertigen zu lassen.
Eckensee bewusst asymmetrisch
Ein Vertreter der Migrantifa Stuttgart nannte die CDU „christliche Alternative“, wohl weil die Wortwahl der Christdemokraten stark an die der Alternative für Deutschland erinnert. Ein bisschen habe es den Anschein, als wolle die Stuttgarter CDU die AfD rechts überholen. Hans D. Christ vom Württembergischen Kunstverein ging in die Geschichte zurück. Der Eckensee habe einem positiven Gerücht zufolge 1961 seine asymmetrische Form erhalten, um alles symmetrische zu vermeiden, was an die Strenge faschistischer Aufmarschplätze oder an den faschistischen Ordnungswahn erinnerte. Insofern wäre der Eckensee ein Zeichen des Antifaschismus, so Christ. Er kritisierte den Korpsgeist der Polizei, der Strafverfolgung oftmals verhindere. Beispiele dafür gebe es genug – der Verlauf der NSU Prozesse sei nur eines, wenn auch ein sehr zentrales.
Bei aller Kritik an der Polizei seien dieser Konflikt und andere zu allererst politisch verursacht. Was im Moment viel stärker zählt: Es ist die Politik, die jetzt das Law-and-Order-Prinzip für sich instrumentalisiert und strukturellen Rassismus und strukturelle Gewalt als politischen Handlungsraum favorisiert. Die jetzige Konfliktlösung bedeute eine gefährliche Fusion des Polizeilichen mit dem Politischen, die eine klare rechte Gesinnung aufweist, so Christ.
Rechtspopulistische Inszenierung
Weiter sagte er: „Dies zeigt sich nicht nur an den Massenrazzien, die jetzt unter Flutlicht Freitags- und Samstagnachts um den Eckensee durchgeführt werden, sondern vielleicht am Schärfsten in der grotesken Situation, wenn ein Innenminister Seehofer sich ein zerstörtes Polizeiauto zum Pressetermin in die Innenstadt fahren lässt, um sich davor in Pose zu werfen. Hier wird bewusst mit rechtspopulistischer Inszenierung an der Eskalationsschraube gedreht“.
Zum Abschluss der Kundgebung wurde eine Art Flashmob inszeniert. Die TeilnehmerInnen stellten sich in eine Reihe mit den Armen nach oben, als würden sie einer polizeilichen Kontrolle unterzogen. Damit wollten sie deutlich machen, was viele Menschen Tag für Tag über sich ergehen lassen müssen.
Außerdem wiesen die AktivistInnen von Migrantifa Stuttgart noch auf eine Kundgebung am 19. Juli auf dem Stuttgarter Marktplatz hin. An diesem Tag sind fünf Monate seit dem Terroranschlag von Hanau vergangen. Den AktivistInnen zufolge wurde die „Hanau Kundgebung“ für 13 Uhr angemeldet.
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