Tübingen. Es war ein großes polizeiliches Aufgebot, das am Donnerstag, 2. Juli, Durchsuchungen an neun Standorten in Baden-Württemberg vornahm (siehe Bewohner protestieren gegen „Willkür-Razzia“, Abgeordneter will beschlagnahmte Unterlagen zurück und Solidarität nach Lu15-Razzia). Betroffen war auch das Tübinger Wohnprojekt Lu15, in dem ein Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten der Linken Tobias Pflüger wohnt. Er wurde vorübergehend festgenommen. Ihm wurden DNA und Fingerabdrücke abgenommen, und es wurden Unterlagen und technische Geräte beschlagnahmt. Nun, fast zwei Wochen später, ruderte die Staatsanwaltschaft zurück: Es trifft zu, dass der beschuldigte Tübinger nicht am Tatort war. Das hatte er schon am Tag der Durchsuchung vorgebracht.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ließ am 2. Juli neun Wohnungen in Baden-Württemberg durchsuchen. Einer der Betroffenen sitzt seither in Untersuchungshaft. Ihm wird nach einem Überfall auf Mitglieder der rechten Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“ am 16. Mai in Bad Cannstatt, bei dem drei Männer verletzt wurden, versuchter Totschlag vorgeworfen. Acht weiteren Verdächtigen warf die Staatsanwaltschaft Landfriedensbruch vor – zumindest zum Teil zu Unrecht, wie sie jetzt einräumt.
Er sei am fraglichen Tag bei einer Demonstration in Sindelfingen gewesen und könne das auch mit Fotos belegen, hatte der beschuldigte Tübinger noch am Tag der Durchsuchung erklärt. „Die sogleich veranlasste Überprüfung dieses Vorbringens hat am 13.7.2020 ergeben, dass sich der Beschuldigte zur Tatzeit nicht am Tatort befand“, heißt es in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart von Dienstag, 14. Juli. Die bei dem Durchsuchten sichergestellten Asservate würden „ungesichtet an ihn zurückgegeben“.
Der Freiburger Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Parteivorsitzende der Linken hatte nach der Durchsuchung von der Staatsanwaltschaft gefordert, die bei seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter in Tübingen beschlagnahmten, mandatsrelevanten Unterlagen und Technik „unmittelbar und unangetastet“ herauszugeben.
Pflüger ist verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion und beschäftigt sich unter anderem mit den Themen Rechtsextremismus und den Entwicklungen des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Calw. „Offensichtlich hat sich die durchführende Polizei bei der Razzia insbesondere für Datenträger und Unterlagen interessiert“, monierte er. Nach einem Bericht des „Schwäbischen Tagblatts“ fordert er nun von den Ermittlungsbehörden eine Entschuldigung. Auch wolle er wissen, wer dafür verantwortlich ist, dass der Durchsuchungsbefehl in Tübingen beantragt wurde.
Die Staatsanwaltschaft machte keine Angaben darüber, wie es zu der falschen Beschuldigung kam und weshalb die Ermittlungsbehörden vom 2. bis zum 13. Juli brauchten, um festzustellen, dass die Angaben des Beschuldigten zutreffen und er nicht am Tatort war.
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