Von Sahra Barkini – Stuttgart. Das von über 30 Organisationen, Initiativen, Parteien und Gewerkschaften unterstützte Krisenbündnis Stuttgart rief am Samstag, 18. Juli, zu einer Kundgebung mit anschließendem Demonstrationszug auf den Marienplatz. In etwa 15 weiteren Städten Deutschlands gab es an diesem Samstagnachmittag ebenfalls Kundgebungen gegen Entlassungen, Lohnkürzungen und den Abbau sozialer Rechte. Circa 500 Menschen folgten dem Aufruf. Die Stuttgarter Polizei wurde von einer Einheit des Unterstützungskommandos (USK) Bayern unterstützt. Außerdem begleiteten eine Reiterstaffel und eine Motorradstaffel der Polizei die Demonstration.
„Ihre Krise – nicht auf unserem Rücken“ war das Motto der zweiten Kundgebung des Krisenbündnisses. Zu ihm gehören neben Parteien wie die Linke oder die DKP auch Verdi, der DGB Stadtverband Stuttgart, Fridays for Future Stuttgart (FFF), das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) und viele weitere.
Der Aktionstag startete mit einer Kundgebung auf dem Marienplatz. Reden hielten Ariane Raad, Gewerkschaftssekretärin des Verdi-Bezirks Stuttgart, zwei FFF AktivistInnen und eine Aktivistin der Initiative „Solidarität und Klassenkampf“. Durch die verschiedenen Redebeiträge wurde die Krise von unterschiedlichen Gesichtspunkten beleuchtet.
„Die Besitzenden sollen bezahlen“
Zu Beginn der Kundgebung sagten die ModeratorInnen, man müsse die Krise nun nutzen, damit es nicht so weitergehe und die Taschen der Reichen durch Konjunkturpakete weiter gefüllt werden. Das Gesundheitssystem müsse noch vor allen anderen von der Profitlogik entkoppelt werden. Man brauche eine gerechtere Vermögensverteilung. Das Geld, um diese Krise zu bewältigen, dürfe nicht von Lohnkürzungen bei Beschäftigten oder dem Streichen von Sozialprogrammen und Kulturförderung kommen. Die Reichen und Besitzenden müssten dafür bezahlen, denn sie profitierten auch seit Jahren.
Während der Corona-Krise müsse man sich immer gegen rechte Stimmungsmache wehren. Zum Abschluss sagte der Moderator: „Wir alle, die wir hier hergekommen sind, sind aus unterschiedlichen Bereichen und Branchen, und doch haben wir ein gemeinsames Interesse. Wir wollen den Karren nicht aus dem Dreck ziehen, den andere reingefahren haben. Wir machen uns Stark für eine gerechte Zukunft, und, liebe Freundinnen und Freunde – den bestehenden Laden müssen wir dafür gewaltig umkrempeln“.
Ariane Raad von Verdi sagte, man stehe vor der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Die Krise wurde nicht durch Corona ausgelöst aber beschleunigt. Es stünden in fast allen Branchen Entlassungen und Betriebsschließungen an. Dafür nannte sie einige Beispiele. So sollen bei Karstadt/Kaufhof 6000 Stellen gestrichen und bis zu 60 Filialen geschlossen werden, weil sie angeblich „zu Corona-Zeiten nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können“. Das bedeutet so Raad zufolge, dass sie für den österreichischen Eigentümer und mehrfachen Millionär René Benko, der auch ein Großspender der rechten FPÖ ist, nicht mehr genug Gewinn abwerfen.
Rückschritt für Frauen
Die Interessen der Angestellten zählten dabei nicht. Nicht nur Karstadt/Kaufhof kündigte Stellenabbau und Filialschließungen an, viele weitere würden folgen. So habe Esprit bereits angekündigt, ebenfalls Filialen zu schließen. Auch in der Metall- und Elektroindustrie stehe ein Stellenabbau bevor. Dazu kämen sieben Millionen Menschen in Kurzarbeit, das seien zehnmal soviele wie bei der Finanzkrise 2009. Während die Angestellten mit Kurzarbeitergeld über die Runden kommen müssten, würden bei Daimler und BMW Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet.
Weiter habe die Krise nicht nur die Gewalt gegen Frauen verschärft, sondern auch die ökonomische Unterdrückung. So übernähmen Frauen häufiger die unbezahlte Kinderbetreuung und Pflege von Familienmitgliedern. Frauen waren auch überdurchschnittlich oft von den Entlassungswellen im Einzelhandel und der Gastronomie betroffen, so Raad. Das eigentliche Problem seien weder ein Virus noch ein paar falsche Entscheidungen in der Politik, sondern das Problem sei ein ökonomisches und politisches System, das immer wieder solche Krisen hervorruft. Die Beschäftigten brauchten Solidarität für die bevorstehenden Arbeitskämpfe. Löhne, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze könnten nur erhalten werden, wenn man kämpfe.
Alle zehn Jahre ein Crash
Zwei VertreterInnen von FFF sprachen über das zu späte Abschalten der Kohlekraftwerke in Deutschland und den zeitgleichen Neubau in anderen Ländern. Dies sei kein Klimaschutz. Außerdem sei zu befürchten, dass es nach der Corona-Krise heißt „sorry, aber für Klimaschutz ist nun kein Geld mehr da“.
Eine weitere Rednerin berichtete über die Situation in der Metall- und Elektroindustrie. Sie sagte: „Unsere Solidarität gilt allen, auf deren Rücken die Krise konkret ausgetragen wird“. Bosch, Daimler, Eberspächer setzten die Schere an und es würden Stellen gestrichen. Dies werde nur der Anfang sein. Alle zehn Jahre erlebe der Kapitalismus einen Crash. Zwischen diesen Crashs gebe es Wachstum, nur leider führe dieses Wachstum nur zu neuen Crashs, so die Rednerin.
Aktionen in der Innenstadt
Der anschließende Demonstrationszug führte über die Tübinger Straße zur Eberhardstraße Richtung Oberer Schlossgarten. Dort wurde die Abschlusskundgebung abgehalten.
Während der Demonstration gab es mehrere kurze Aktionen in der Innenstadt. So war an der Paulinenbrücke eine Transparentaktion des „Arbeitskreises Kritischer SozialarbeiterInnen“ gegen Armut durch Kapitalismus zu sehen. Vor der Filiale der Galeria Kaufhof gab es eine kurze Zwischenkundgebung, dort sprach eine Betriebsratsvorsitzende der Kaufhauskette über die Situation der Beschäftigten in Stuttgart. Währenddessen klebten AktivistInnen Plakate an die Schaufenster und zogen durch die Filiale, um sich mit den Angestellten zu solidarisieren. Außerdem entrollten AktivistInnen von der Dachterrasse ein Banner: „Jobs erhalten! René Benko enteignen! Kapitalismus schließen!“
Nach diesem kurzen Zwischenstopp zogen die DemonstrantInnen weiter Richtung Karlsplatz, auch dort gab es eine kurze Zwischenaktion. Das Reiterdenkmal wurde mit einem aus vielen Einzelteilen zusammengesetzten Plakat für den Frauenstreik 2021 verziert. Die Statue zeigt Wilhelm I., das Oberhaupt der Hohenzollern. Erst vor ein paar Tagen gab das in Familienbesitz befindliche Unternehmen Zollern GmbH & Co. bekannt, künftig nicht mehr nach IG Metall-Tarif zahlen zu wollen.
Für Pflegekräfte nur gute Worte
Danach zog die Demonstration weiter in Richtung Oberer Schlossgarten, wo es nochmals zwei Redebeiträge gab und anschließend der Aktionstag mit Musik ausklang.
Eine Rednerin sprach über die Situation der Beschäftigten in den Kliniken. Dem Pflegepersonal sei außer gut gemeinter Worte und Applaus zu Beginn der Corona-Krise nichts geblieben. Das Thema scheine aus Politik und Öffentlichkeit wieder verschwunden zu sein. Es sei wichtig, den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen sowohl in den Einrichtungen selbst als auch in der Öffentlichkeit zu führen.
Ein Vertreter von Refugees4Refugees sprach über die besondere Situation von geflüchteten Menschen und MigrantInnen während der aktuellen Krise. Selbstorganisierter Kampf gegen staatlichen Rassismus und für die Interessen der Geflüchteten und MigrantInnen sei dabei wichtig.
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