Von Sahra Barkini – Stuttgart. Ein Mann erschoss am 19. Februar diesen Jahres aus rassistischen Motiven neun Menschen in Hanau. Ein halbes Jahr nach der Tat versammelten sich am Mittwoch, 19. August, auf dem Stuttgarter Schlossplatz 200 Menschen, um den Opfern dieser schrecklichen Morde zu Gedenken. Aufgerufen hatten verschiedene Jugendorganisationen wie DIDF Jugend Stuttgart e.V., DGB Jugend Region Nordwürttemberg, Verdi Jugend Stuttgart, Linksjugend [’solid] Stuttgart, aber auch der Stadtjugendring Stuttgart und andere. Auf dem Platz vor der Commerzbank waren Portraits der Getöteten und Kerzen aufgestellt. Zu Beginn der Kundgebung wurden die Namen der Ermordeten verlesen und im Verlauf der Kundgebung mit einer Schweigeminute der Opfer gedacht.
Hanau sei kein Einzelfall und Rassismus sei kein Einzelfall, sondern zeige sich durch strukturelle Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung. Unter anderem bei Wohnungs- und Jobsuche oder bei den „verdachtsunabhängigen“ Polizeikontrollen, bis zu rassistischen Beleidigungen, die Tabugrenzen überschreiten. Rassismus sei ein Problem der gesamten Gesellschaft. Rechter Terror sei immer ein Angriff auf unser aller Zusammenleben, so die RednerInnen.
Die Toten von Halle und Hanau oder der Mord an Walter Lübcke, die Morddrohungen gegen PolitikerInnen und JournalistInnen, sowie die Drohungen des NSU 2.0 seien Beispiele dafür, wie notwendig ein gemeinsames Engagement gegen Rassismus sei. Die RednerInnen betonten, die Ermordeten werden nicht vergessen werden und „Wir werden nicht aufhören Aufklärung und Gerechtigkeit zu fordern.“
Rechtem Terror Einhalt gebieten
In einem Grußwort des AABS (Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region) sagte die Rednerin: „Wir alle haben bereits schmerzlich gelernt, dass wir uns bei unserem Kampf gegen Rechts nicht auf den Staat, Polizei und Justiz verlassen können“. Als Beispiele hierfür nannte sie Uniter, das KSK, oder auch die Verstrickungen von Justiz und Nazis wie in Berlin und Frankfurt. Sie betonte Rassismus, Rechtsruck und rechtem Terror müsse man auch im Alltag Einhalt gebieten. Ihr Grußwort endete mit den Worten: „Trauer zu Wut – Wut zu Widerstand“.
Der Journalist und Autor Mesut Bayraktar sagte über die Morde in Hanau: „Ich weiß nur, dass sich eine kalte Wut in mir zu einer Faust ballte, so, als würde die Natur in mir zu einem Schlag ausholen. Diese Wut drückte mein Herz ins Gehirn und bewies mir, dass das Wort »Gerechtigkeit« einen Sinn hat. Hanau, das nehme ich persönlich.“ Er kritisierte, dass sich nach der Tat PolitikerInnen zwar blicken ließen und dann mit blumigen Worten verschwanden. Geändert habe sich dadurch aber nichts. Die Zeitungen hätten jede Art von Hass verurteilt und die Bürgerlichen hätten sich als die Guten gesehen. „Die Intellektuellen betonten, sie werden sich die Normalität nicht nehmen lassen“, erklärte Bayraktar. Aber es gebe nicht die Guten und auch nicht die Bösen, es gebe Herrschaftsverhältnisse. Rassismus sei die DNA der bürgerlichen Gesellschaft und Hanau sei nicht der Anfang gewesen.
„Niemand kann uns helfen, außer wir selbst“
„Ich denke an das Schweigen der Bürgerlichen, der Behörden, der Justiz, der Künstler, der Gelehrten und der Politik, als wäre das Schweigen die Kriegsmusik aller gegen alle. Warum erhebt ihr nicht eure Stimme? Wo wart ihr, als Akten verschlossen und vernichtet wurden, in denen die Namen der Mörder stehen, und was ist die Kultur bereit zu riskieren, wenn sie einen Absatzeinbruch fürchten muss? Habt ihr Einspruch erhoben, als ein Mob in Clausnitz sich stark fühlte, weil die Polizei ihn tatenlos gewähren ließ? Als Flüchtlingsheime brannten? Manchmal macht mich euer Hass gegen Arme und arbeitende Menschen sprachlos. Bis heute wagt ihr nicht, das Offensichtliche in Chemnitz beim Namen zu nennen, die Hetzjagd auf Menschen, und der Mord in einer Polizeizelle in Dessau, an Oury Jalloh, juckt euch nicht. Noch heute denke ich an Familie Genç und den Brandanschlag in Solingen, dem Nachbarort meiner Geburtsstadt. Damals war ich drei Jahre alt. Und jetzt: Hanau.
Fast alles, was wir aber heute über rechtsradikale Anschläge und rassistische Strukturen wissen, haben wir dem unermüdlichen Einsatz und dem Druck der Betroffenen, der Unterdrückten, den Antifaschisten und der Solidarität der Leidenden zu verdanken, nämlich uns, unserer Klasse. Es ist mehr als eine Schande, wie skrupellos rassistische Vorfälle abgewickelt und die soziale Wahrheit der Getretenen liquidiert wird. Es zeigt nur einmal mehr, dass uns niemand helfen kann, außer wir selbst, ob migrantisch oder deutsch, für mich gehört beides zusammen, um jede Erniedrigung und Entwürdigung zu bekämpfen.
Auch wenn PolitikerInnen und Bürgerliche finden es sei nun genug getrauert, man müsse auch loslassen, wir werden die Namen der Ermordeten nicht vergessen und wir werden Rassismus keinen Platz geben. Wir bleiben auf den Plätzen, ob dem Marktplatz in Hanau, dem Opernplatz in Frankfurt oder dem Schlossplatz in Stuttgart.“
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