Ulm. Im Ulmer Prozess um einen antiziganistischen Anschlag im Mai 2019 wurde am Mittwoch, 23. September, nach 16 Verhandlungstagen das Urteil über die fünf Angeklagten verkündet. Alle fünf wurden wegen Vertreibung beziehungsweise gemeinschaftlicher Nötigung in 45 Fällen nach Jugendstrafrecht verurteilt. Alle Strafen wurden auf Bewährung ausgesetzt. Das teilte der Verband Deutscher Sinti und Roma mit.
Die Kammer habe betont, dass die Motivation der Tat Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antiziganismus gewesen sei, als in Dellmensingen eine Fackel auf einen Wohnwagen geworfen wurde (siehe „Brandanschlag auf Sinti-Familie„). Auch zum jetzigen Zeitpunkt hätten die Angeklagten diese Neigungen aufgewiesen. Für eine Verurteilung wegen versuchten Mordes und versuchter Brandstiftung hätten aber objektive Indizien gefehlt. Alle Angeklagten wurden verpflichtet, die KZ-Gedenkstätte Dachau zu besuchen und danach einen zehnseitigen, handschriftlichen Bericht anzufertigen über ihre Erfahrungen, Gefühle und Eindrücke.
Zwei der Angeklagten wurden dazu verurteilt, Geldstrafen in Höhe von 1200 Euro an die Hildegard-Lagrenne-Stiftung zu zahlen. Die Stiftung wurde 2012 von Angehörigen der nationalen Minderheit der Sinti und Roma gegründet und setzt sich für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland ein.
Antiziganistische Hassmotivation klar benannt
„Die Nebenklage kann mit dem Urteil leben, weil das Gericht die antiziganistische Hassmotivation klar benannt hat“, kommentierte Mehmet Daimagüler, Vertreter der Nebenklage, den Spruch der Kammer. Dazu Daniel Strauß, Vorstandsvorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg (VDSR-BW): „Es ist nach meiner Kenntnis die erste Verurteilung wegen gemeinschaftlicher Vertreibung aus rassistischen Motiven auf deutschem Boden nach 1945.“
Der Landesverband war an allen Verhandlungstagen als Beobachter anwesend und hat sich seit Beginn der Verhandlung auch mit politischen und religiösen Vertretern von Erbach-Dellmensingen und Erbach auseinandergesetzt, wo die Tat stattgefunden hatte. Ein Treffen für einen Runden Tisch zusammen mit dem Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg Michael Blume steht noch aus.
Gleichzeitig zum Prozess setzte sich der Landesverband auch für die Eröffnung einer Beratungsstelle für Sinti und Roma in Ulm ein. Diese wurde am 22. September zusammen mit Oberbürgermeister Gunter Czisch und Ministerialdirigentin Prof. Birgit Locher-Finke vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg eröffnet. Auch möchte der VDSR-BW weiter in der Region aktiv bleiben und sich für politische Bildungsarbeit explizit in ländlichen Regionen einsetzen.
„Dieser Fall zeigt, dass Antiziganismus in der Gesellschaft weit verbreitet ist und als Normalität wahrgenommen wird. Genau das ist das gefährliche“, sagte der Europaabgeordnete Romeo Franz.
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