Von Alfred Denzinger – Stuttgart. Vor dem Stuttgarter Amtsgericht wurde am Montag, 5. Oktober, der Prozess gegen einen jungen Antifaschisten fortgesetzt. Der dritte Verhandlungstag in dieser Sache war geprägt von Aussagen von vier Polizeizeugen. Dabei ging es um Vorfälle rund um die Proteste gegen den Naziaufmarsch der Partei „Die Rechte“ am 11. Mai 2019 in Pforzheim (siehe hierzu „Roter Teppich für Neonazis„). Rechtsanwalt Spindler beantragte für seinen Mandantenn die Einstellung des Verfahrens, was diese Anklagepunkte angeht. Die Kumpanei zwischen Justizangestellten und „Leibwächtern“ eines AfD-Stadtrats, der als Zeuge beim letzten Verhandlungstag geladen war (siehe „Eine eifrige Staatsanwältin, ein eingeschüchterter Einzelkämpfer und merkwürdige Kumpaneien„), wurde nochmals thematisiert. Sie dürfte weitere Folgen nach sich ziehen.
Die beiden „Leibwächter“ des AfD-Stadtrats waren im Gegensatz zu allen anderen Besuchern offensichtlich vor Betreten des Gerichtssaals nicht durchsucht worden. Erst auf Intervention eines Anwalts mussten sie ihre Handys abgeben. Beim Verlassen des Gerichtssaals war zu sehen, dass sie noch weitere Gegenstände bei sich trugen. So zum Beispiel eine seitlich am Hosenbund angebrachte Metallkette und eine Gürteltasche, deren Inhalt nicht sichtbar war. Dazu erklärte Richterin Susanne Böckeler eingangs: „Der Vorfall letztes Mal tut allen Beteiligten leid. Das hätte nicht passieren dürfen.“ Inzwischen war von der Anwaltskanzlei Oswald & Spindler zu erfahren, dass sie gegen den für den Einsatz der Justizangestellten verantwortlichen Mitarbeiter eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Dienstherrn der Spezialeinheit, dem Direktor des Landgerichts Stuttgart, eigereicht habe. Eine Antwort liege noch nicht vor.
Protest gegen „notorische Holocaustleugnerin“
Seinen Antrag, das Verfahren einzustellen, was die Vorkommnisse bei der Demonstration gegen die Partei „Die Rechte“ in Pforzheim angeht, begründete Rechtsanwalt Spindler damit, dass sein Mandant als „normaler Demonstrant auf dieser Demonstration aufgetreten ist“. Er sei nicht vermummt und nicht bewaffnet gewesen. Des Weiteren ging Spindler auf das politische Selbstverständnis und die Strukturen der Partei „Die Rechte“ ein. Er erklärte Hintergründe verschiedener Akteure, die im Zusammenhang mit dieser Neonazi-Organisation stehen. Aufgeführt wurden dabei unter anderen der „seit Jahrzehnten in der BRD agierende Neonazi“ Christian Worch, die mehrfach verurteilte „notorische Holocaustleugnerin“ Ursula Haverbeck und Siegfried Borchardt, von seinen Freunden gerne SS-Siggi genannt.
Rechte Kontakte von Polizisten
Am Ende des Einstellungsantrags, welcher hier nachgelesen werden kann, führte Spindler aus: „Dass die angeklagten Taten im Zusammenhang mit eingesetzten Polizeibeamten aufgetreten sind, relativiert die vorgetragenen Argumente nicht, insbesondere im Kontext damit, dass aktuell fast täglich neue Skandale und rechte Kontakte von Polizisten zu rechtsextremen Strukturen bekannt werden. Das Gericht und auch die Staatsanwaltschaft könnte mit einer Einstellung hier ein eindeutiges Zeichen gegen diese Umtriebe setzen.“
Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein
Der erste Polizeizeuge sagte aus, GegendemonstrantInnen seien bei der Abreise auf dem Bahnsteig „durchgebrochen“. Gegen diese 20 Personen hätten seine Kollegen „Schlagstöcke und Pfefferspray gezogen“. Dabei sei er ohne Helm und ohne Schlagstock gewesen. Der Angeklagte soll mit einer Fahnenstange gegen seine Weste gestoßen haben. Auf Nachfrage von Richterin Böckeler sagte der 55-jährige Polizeibeamte, er habe keine Schmerzen gehabt. In der Folge habe er dem Angeklagten mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Der Polizist blieb unverletzt. Beim Anschauen des vorgelegten Polizeivideos erkannte der Zeuge sich selbst, aber nicht die Situation mit der Fahnenstange.
„Kann sein, dass wir uns nach Absprachen…“
Als nächster kam ein 28-jähriger Polizeibeamter der Bundespolizei in den Zeugenstand. Der Angeklagte habe mit der Fahnenstange versucht, ihn und seine Kollegen „zurückzudrängen“. Er will mit „beiden Händen gestoßen“ worden sein. Einen Stoß mit der Stange gegen seine Kollegen habe er nicht gesehen. Mit den Worten „kann sein, dass wir uns nach Absprachen…“ setzte der Zeuge seine Ausführungen fort – und unterbrach dann seinen Satz abrupt. Der Angeklagte sei „sehr präsent“ gewesen, und er „habe ihm einen Tritt gegeben“, der den Demonstranten am Oberschenkel getroffen haben soll. Der Polizist wurde nicht verletzt. „Meines Wissens nach wurde kein Kollege verletzt“, so der Beamte. Die Frage von Rechtsanwalt Spindler, ob es sein könne, dass er in den Unterleib der Person getreten habe, verneinte er.
„Wer da aber was gemacht hat, das kann ich nicht sagen“
Der dritte Polizeizeuge berichtete von Ereignissen an der Jägerpassage. Dort hätten Pressevertreter mit Kameras auf das Eintreffen der Gegendemonstranten gewartet. Die Passage sei durch eine Polizeikette abgesperrt gewesen. Ankommende 20 bis 30 Personen hätten versucht, die Absperrung zu durchbrechen. Der Beamte will den Angeklagten dort erkannt haben: „Ja, ich meine ja.“ Es sei natürlich schwierig, nach so langer Zeit, erklärte er glaubhaft. Es sei zum Einsatz von „Hiebwaffe und Reizstoffgeräten“ gekommen. „Alles ging sehr schnell“, und er habe erst später in den Videos gesehen, „wer was gemacht hatte“. Seine damalige Aussage habe er erst nach Sichtung des Videos gemacht, und er sei unverletzt geblieben. „Wer da aber was gemacht hat, das kann ich nicht sagen“, führte er am Ende seiner Aussage aus.
„Halt die Fresse und verpiss dich“
Schließlich sagte noch der damalige Einsatzführer der Polizei aus. Er war an diesem Tag für die „Betreuung der Gegenkundgebung“ zuständig. Dem 49-jährigen Beamten schien es auch wichtig zu sein, dass sich an der Passage Pressevertreter aufhielten: „Sie waren mit der Kamera schon positioniert.“ Er habe deshalb den Eindruck gehabt, „dass der Durchbruchversuch durch die Jägerpassage im Vorfeld schon geplant war“. Es seien auch Personen aus Stuttgart dabei gewesen. Der Zeuge erkannte den Angeklagten im Gerichtssaal nicht. Eine Person soll ihm entgegengeschrien haben: „Halt die Fresse und verpiss dich.“ Man habe an diesem Tag 14 Strafanzeigen gefertigt.
Zahlreiche verletzte Demonstranten
Nach den Protesten gegen den Aufmarsch der neonazistischen Kleinpartei „Die Rechte“ meldete die Demosanitäter-Sanitätsgruppe Süd-West 19 verletzte GegendemonstrantInnen. Die NazigegnerInnen seien durch den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken verletzt worden (wir berichteten).
Acht DemonstrantInnen erlitten chirurgische Verletzungen, meist durch Schlagstockeinsatz. Zehn weitere Protestierende mussten wegen Pfefferspray behandelt werden. Eine weitere Person soll sich aufgrund einer „internistischen Problematik“ in Behandlung begeben haben. Zwei der verletzten Personen mussten mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht werden, teilte der Einsatzleiter der DemosanitäterInnen mit.
Polizei soll auch Sanitäter angegriffen haben
Während die Einsatzkräfte der Demosanitäter den Tag über ohne Behinderung ihrer Arbeit nachkommen konnten, soll es zum Ende des Einsatzes doch noch zu einer unerfreulichen Situation gekommen seien. Polizeikräfte hätten einen Sanitäter eine Treppe hinunter gestoßen und mit dem Schlagstock geschlagen. Der Sanitäter wurde nicht verletzt, weil er von anderen Personen aufgefangen wurde.
Der Prozess wird am Montag, 12. Oktober, um 9 Uhr, fortgesetzt.
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