Stuttgart. Der DGB-Stadtverband Stuttgart begeht mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung den 200. Geburtstag von Friedrich Engels mit einer doppelten Ausstellung: digital bereits ab dem 9. Oktober und in Präsenz im Gewerkschaftshaus in Stuttgart vom 23. November 2020 bis zum 22. Januar 2021. „Unter dem Hashtag #EngelsArgumente kann soll sich jeder an der partizipativen Ausstellung beteiligen und mitdiskutieren“, laden die Veranstalter zum Mitmachen ein.
Peter Schadt, Regionssekretär des DGB in Nordwürttemberg, ist zusammen mit Jörg Munder Ersteller und Kurator der Ausstellung: „200 Jahre Engels – Argumente eines Kritikers“. In der Reihe „Galerie im Foyer“ zeigt der DGB Region Nordwürttemberg zusammen mit dem Kunstbeirat zeitgenössische Kunst und Kultur mit gesellschaftspolitischem Anspruch. Manchmal greift er dabei auf Ausstellungen zurück, die bereits an anderer Stelle gezeigt wurden.
„In diesem Fall waren wir aber sehr unzufrieden mit den Ausstellungen, die es zum Thema schon gibt“, sagt Peter Schadt: „Die meisten zu Engels drehten sich rund um sein Leben und stellten die entsprechenden Fragen: Wie war sein Liebes- sowie Arbeitsverhältnis zu den beiden Schwestern Lydia und Mary Burns? Wie arbeitete er zusammen mit dem ewig schnorrenden Marx? Wie organisierte er sein Doppelleben zwischen Fuchsjagden mit der herrschenden Klasse Englands und seinem Leben mit proletarischen irischen Frauen, für das er zeitweise sogar drei verschiedene Wohnsitze parallel nutzte?“
Der Planet bietet genug für alle
Schadt und Munder wollten ihr Projekt grundsätzlich anders angehen: “ Wir wollten uns fragen, was Engels uns heute noch sagt und was wir von ihm lernen können“, berichtet Schadt. „Also haben Jörg und ich von Grund auf eine eigene Ausstellung konzipiert. Ich habe mir verschiedene Werke von Engels vorgenommen und versucht, einzelne Argumente heraus zu arbeiten. Jörg hat die Ausstellung dann graphisch begleitet, die Tafeln gesetzt und mit mir das gesamte Konzept entwickelt.“
Als Beispiel nennt Schadt einen Jugendaufsatz, den Engels mit 24 Jahren verfasst hat: Die „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“. Engels wandte sich zu einem Zeitpunkt der Wirtschaft zu, als Marx selbst weder zur Ökonomie publizierte noch Studien zum Thema betrieb. Dabei kritisiert er den britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus. Den müsse man heute nicht mehr kennen, so Schadt: „Aber sein Argument ist heute noch bekannt. Malthus ging damals davon aus, dass viele ökonomische Probleme von einer Überbevölkerung herrühren würde. Es gäbe einfach zu viele Menschen auf dem Planeten.“
Engels habe diesen Gedanken in seinem Jugendaufsatz damit kritisiert, dass er auf die ständige Steigerung der Produktivität verwies. Engels bewies, dass ein Stück Erde nicht eine bestimmte Anzahl an Menschen ernährt, sondern mit jedem Produktivitätswachstum mehr Menschen ernährt werden können. Überhaupt, so Engels im Jahr 1844, werde genug für alle hergestellt. Wer hungert, der hungere also nicht, weil die Erde nicht genug hergibt, sondern weil es ihm an Geld fehlt.
Überbevölkert, so könne man heute noch aus Engels‘ Jugendaufsatz lernen, sei die Erde also vor allem aus der Perspektive des Kapitals, so Schadt. Für die Vermehrung des Reichtums, dem hier alles untergeordnet werde, seien tatsächlich erkleckliche Teile der Weltbevölkerung überflüssig. Dass allerdings die heutigen Produktionsmittel gar nicht ausreichen würden, die Menschen zu ernähren, sei heute wie damals eine Lüge.
Neues Format in Corona-Zeiten
Da Corona dazu zwingt, kreativ zu werden, wird die Ausstellung zwar wie immer vor Ort im Gewerkschaftshaus zu sehen sein, doch auch Angehörige von Risikogruppen soll ermöglicht werden teilzunehmen. Auch wollten die Ausstellungsmacher, dass die Ausstellung wirklich diskutiert wird. Sie haben auf Platten die Werke von Engels stark reduziert, manchmal auf ein einziges Argument, und gehen mit ihm auch manchmal hart ins Gericht. „Da hat es sich angeboten, das Publikum zur Kritik aufzurufen. Das geht jetzt, und wir sind sehr froh, eine wirklich interaktive Ausstellung zu haben“, so Schadt.
Interaktiv insofern, als Stück für Stück Inhalte und die Argumente der Ausstellung online gestellt werden. Unter dem Hashtag #EngelsArgumente werden dabei alle Beiträge sowie die Kommentare zu ihnen gesammelt. Sowohl auf Twitter, auf Instagram, aber auch auf Facebook. Die Kommentare können dann aber nicht nur digital eingesehen werden. In der Präsenz-Ausstellung im Gewerkschaftshaus wird neben den bedruckten Platten auch ein Bildschirm hängen, auf dem die digitalen Debatten einzusehen sind. So könne jeder und jede Teil der Ausstellung werden, Argumente kritisieren und andere Standpunkte zu Engels vertreten. „Das hat uns wiederum ermöglicht, stärker polarisieren zu können“, berichtet Schadt: „Das Publikum muss unsere Thesen ja nicht still ertragen, sondern kann widersprechen!“
Damit dieser Widerspruch auch gehört wird, wird es auch Sondersendungen des „DGB Arbeitsweltradio“ geben. In diesen PodCasts wollen die Ausstellungsmacher auf die verschiedenen Beiträge eingehen, vielleicht auch mal Leute einladen und mit ihnen diskutieren. Alle Folgen des Podcasts werden auf Spotify, iTunes und Youtube zu finden sein – ebenso natürlich unter dem #EngelsArgumente.
Hoffnung auf angeregte Debatte
Die digitale Ausstellung hat bereits am 9. Oktober angefangen. „Wir sind ehrlicherweise sehr überrascht, was schon alles diskutiert wird“, erklärt Schadt. „So haben wir am letzten Freitag das Bild des 50-Mark DDR-Scheins gepostet, welches das Konterfei von Engels ziert. Dazu haben wir – bewusst provokant – formuliert: „Was haltet ihr eigentlich von der Idee der #SED, ausgerechnet das Gesicht von #Engels auf einen Geldschein zu drucken? Daraufhin haben viele Kolleginnen und Kollegen angefangen zu diskutieren, ob und inwiefern das Geld oder der Profit Zweck der kapitalistischen Produktion ist.“ Ein „Jean Zibeline“ etwa schrieb: „Die SED hat, wie die meisten Vertreter des „Realen Sozialismus“, das Kapital nicht als Kritik des kapitalistischen Wirtschaftens gelesen, sondern als Anleitung zum richtigen Wirtschaften. Insofern haben sie den Wert (dessen Ausdruck ja das Geld ist) nicht als irrationale Form des Arbeitsprodukts kritisiert, die dem Arbeiter feindlich gegenübertritt.“ Andere, wie „Armin Kirchmaus“, bestanden darauf, dass der DDR-Schein gar nicht mit Geld zu verwechseln sei: „Ein Konsumtions-Anteils-Schein ist kein zirkulierender Wertträger, der bei seiner Rotation ständig mehr werden muss und ohne dieses Mehrwerden alles Leben erstirbt.“ Soviel zur Theorie, in den sozialen Medien werde nur über Urlaubsbilder geredet.
Auch bekannte Gewerkschafter und Autoren wie der Mitherausgeber der Zeitschrift Sozialismus Michael Wendl haben sich schon in die Debatte um #EngelsArgumente eingemischt. Er bestand im Bezug auf den Geldschein mit Engels-Gesicht darauf, dass „Zweck der kapitalistischen Produktion ist, dass aus Geld mehr Geld also Geld I wird. Marx und Engels waren keine Verfechter einer Naturaltauschwirtschaft oder einer post-monetären Ökonomie.“
Schadt hofft, dass die Debatte so angeregt weitergeht. Dann werde #EngelsArgumente genau das erreichen, was die Ausstellungsmacher wollen, nämlich die Argumente von Engels zurück in die Debatte holen.
23. November 2020 bis 22. Januar 2021
Eröffnung: Montag, 23. November 2020, 18 Uhr
Willi-Bleicher-Haus, Willi-Bleicher-Str. 20, 70174 Stuttgart
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