Frankfurt. Eine Woche lang sitzen neun Menschen in Haft, weil sie über Autobahnen große Spruchbänder aufgehängt und sich dafür vom Geländer aus abgeseilt hatten. Obwohl Staatsanwaltschaft und Haftrichterin den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nicht erfüllt sahen, wurden Haftbefehle verhängt (wir berichteten). In Folge der Aktion kam es zu heftigen Reaktionen insbesondere aus Parteien und Lobbyverbänden, die offensiv für den Ausbau des Straßen- und Autosystems eintreten. Diese behaupteten zum einen, dass die Autobahnaktionen lebensgefährlich seien. „Das ist schon eine Frechheit, dass ausgerechnet die, die den Autoverkehr fördern und ständig neue Straßen bauen, über Gefahren im Straßenverkehr lamentieren – schließlich ist der Autoverkehr selbst die Hauptursache für 1053 Verletzte und neun Tote täglich in Deutschland“, halten ihnen Beteiligte an der Aktion entgegen und erklären weiter: „Wer einen Stau als Gefahr sieht und damit Leute, die in der Nähe des Staus protestieren, einsperrt, kann so auch jede Versammlung verbieten – denn eine Demo auf einer Straße führt immer zu Verkehrsbehinderungen. Dann aber wäre das Demorecht abgeschafft.“
Zum anderen wurde die Aktion dafür kritisiert, dass Unbeteiligte unter ihr gelitten hätten, weil ihre Autofahrt im Stau geendet hätte. Das sei eine sehr gefährliche Argumentation, halten die AktivistInnen in einer Mitteilung entgegen. Denn fast alle politischen Aktionen in der Öffentlichkeit hätten Folgen für andere. Jede Demo auf der Straße versperre einigen Unbeteiligten die Zufahrt zum Zielort und zwänge andere zu Umwegen oder zum Verbleib im Stau hinter der Versammlung. Solche Wirkungen haben auch Streiks zum Beispiel im öffentlichen Dienst, wenn Kindergärten geschlossen oder Busse stehen bleiben. „Von taz-Kommentatorin bis CDU-Bundestagsabgeordneten scheint die Riege derer zu reichen, die sich wünschen, dass in diesem Land nur noch Proteste zugelassen werden, der den normalen Arbeitsbetrieb und damit vor allem Kapitalinteresse nicht stört“, führen die AktivistInnen aus. Solche Positionen würden am Demo- und Streikrecht sägen. Das – nicht die Aktion über den Autobahnen – stelle dann aber die aktuelle Grundordnung in Frage. „Offenbar wollen etliche Autofans Bürgerrechte einschränken, um weiter in den Klimawandel rasen zu können – mit einer Blutspur aus Toten und Verletzten.“
Ist staufreies Fahren wichtiger als das Demonstrationsrecht?
Am 27. Oktober verhängte das Amtsgericht Frankfurt Haftbefehle mit der Begründung, dass Personen Transparente außen an Geländern von Autobahnbrücken aufgehängt hätten, zudem selbst neben diesen an Kletterseilen gehangen und die Spruchbänder festgehalten hätten. Um den Bereich abzusichern und die Meinungskundgabe in luftiger Höhe beenden zu können, hätte die Polizei den Verkehr angehalten, wodurch Gefahren entstanden seien. „Wenn überhaupt, war also die Polizei der Auslöser der Gefahren – und nicht die DemonstrantInnen am Brückengeländer“, lautet die Bewertung aus dem Versammlungsrechtsteam im A49-Aktionsbündnis. Doch die dort Aktiven fürchten mehr als nur die Fortsetzung der Haft: „Wer einen Stau als Gefahr sieht und damit Leute, die in der Nähe des Staus protestieren, einsperrt, kann so auch jede Versammlung verbieten – denn eine Demo auf einer Straße führt immer zu Verkehrsbehinderungen. Dann aber wäre das Demorecht abgeschafft.“
Es gäbe Hinweise, dass dieses Motiv tatsächlich hinter dem Vorgehen stecke. So hätten weitere Beteiligte an den Autobahnaktionen vom Montag, die nicht inhaftiert wurden, polizeiliche Weisungen erhalten, nach denen ihnen in Zukunft untersagt ist, „vermeidbare Einschränkungen und Gefährdungen des Verkehrs durch ähnliche vergleichbare Aktionen im öffentlichen Verkehrsraum“ herbeizuführen. Da jede Versammlung auf einer Straße prinzipiell vermeidbar ist und einen Stau hervorrufen kann, kommt die Weisung einem Verbot der Teilnahme an Versammlungen gleich.
Auch ein aktuelles Versammlungsverbot aus Kassel deutet in diese Richtung. Dort wurde – inzwischen verwaltungsgerichtlich bestätigt, Fridays For Future eine Fahrraddemo verboten, weil hinter dieser ein Stau entstehen würde, der zu Unfällen führen könne. Das Verbot wurde für eine angemeldete Versammlung auf der A49 und der A7 angemeldet. Aus dem Versammlungsrechtsteam im A49-Aktionsbündnis heißt es dazu: „Staus entstehen bei Versammlungen eigentlich immer – egal ob Autobahn, Bundes- oder Landstraße. Das Verbot stellt daher den Versuch dar, Versammlungen insgesamt unterbinden zu können.“ Dazu passe die Begründung für die rechtswidrigen und das Versammlungsrecht ignorierenden Haftbefehle gegen AktivistInnen, die sich über Autobahnen abseilten, und die Suche der Polizei Frankfurt nach Gefährdungssituation in den am 26. Oktober durch diese Aktionen entstandenen Staus.
„Grundrechte erhalten, Autoverkehr abbauen“
„Offenbar wird hier nach Material für weitere Hetze und Versammlungsverbote gesucht“, kommentieren die Versammlungsrechts-UnterstützerInnen, die Widersprüche und Klagen gegen alle Versuche, das Grundrecht auf Demonstrationen einzuschränken, vorbereiten. „Hier werden jetzt offenbar die ersten Grundrechte dem Autowahn geopfert. Wir fordern das Umgekehrte: Grundrechte erhalten, Autoverkehr abbauen!“ Das würde auch die Gefahren beseitigen. „Nicht die Versammlungen schaffen das Unfallrisiko, sondern der Autoverkehr ist das Risiko. Ohne Versammlungen gibt es täglich 1053 Verletzte und neun Tote im Straßenverkehr hierzulande – dieses Töten und Verletzen wird ständig hingenommen, während Proteste, die diese Gefahr beseitigen wollen, verboten werden!“
Beteiligte an den Aktionen habe Ziele, Abläufe und rechtliche Fragen in einem Erklärvideo dargestellt. Dieses ist unter https://youtu.be/7-vAZu1T2k4 zu finden.
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