Stuttgart. Die Linke, die Freien Wähler, die Piratenpartei, die Partei und die ÖDP klagen gegen das Sammeln von Unterstützungsunterschriften während der Corona-Pandemie und fordern eine Abänderung des Landtagswahlgesetzes. Sie erklären auf ihrer Landespressekonferenz in Stuttgart am Montag, 2. November, dass das Sammeln von Unterstützungsunterschriften in der bisherigen Form in Pandemiezeiten unzumutbar und eine demokratische Wahl im nächsten Jahr unter diesen Umständen nicht möglich sei.
„Das Verhalten der im Landtag vertretenen Parteien ist eine Bankrotterklärung für die Demokratie“, so Claudia Haydt, Landesgeschäftsführerin der Linken Baden-Württemberg.
Die klagenden Parteien hätten bereits im Mai Gespräche mit den im Landtag vertretenen Parteien gesucht. Die Landesregierung und die anderen im Landtag vertretenen Parteien hätten bislang auf diese Gesprächsangebote nicht oder ablehnend reagiert. Obwohl sich die Corona-Pandemie weiter verschärfe und die Kontaktbeschränkungen im November wieder drastisch zunehmen würden, bewegten sich die Parteien nicht.
Claudia Haydt erklärt dazu: „Seit heute schränkt das Land sogar Kontakte in privaten Wohnungen ein. Gleichzeitig zwingt das Land uns weiter dazu im öffentlichen Raum Unterschriften für einen Wahlantritt zu sammeln. Dieser öffentliche Raum ist uns jetzt verschlossen.“
Bernd Barutta, Pressesprecher der Freien Wähler, wird deutlich, wenn er einen Vergleich zu den Wahlen in den USA zieht. Die Parteien hier würden sich ähnlich verhalten wie Donald Trump, der mit administrativen Tricks versuche bestimmte Wählergruppen von den Wahlen abzuhalten. „Man darf sich fragen, ob Ministerpräsident Kretschmann, Innenminister Strobl und Spitzenkandidatin Frau Eisenmann in den Verdacht geraten möchten, Brüder im Geiste von Donald Trump zu sein,“ gibt Barutta zu bedenken.
„Wir“, so Haydt weiter, „klagen daher vor dem Verfassungsgerichtshof für eine deutliche Reduktion der zu sammelnden Unterstützungsunterschriften. Die Corona-Verordnungen müssen ihren Niederschlag im Landeswahlgesetz finden. Wenn das nicht passiert, haben wir eine Verzerrung des demokratischen Raums. Wir haben damit keine Chancengleichheit mehr mit den anderen politischen Parteien.“
Bernd Barutta ergänzt: „Der Todesstoß für die Argumente der Landesregierung gegen eine Änderung des Landtagswahlgesetzes kommt heute aus Rheinland-Pfalz.“ Barutta zitiert den rheinland-pfälzischen Landeswahlleiter Marcel Hürter, der sich für eine deutliche Reduzierung der zu sammelnden Unterschriften in Rheinland-Pfalz ausspricht. Es müsse, so Hürter, verhindert werden, dass Parteien und Wählergruppen, die derzeit nicht im Landtag vertreten sind, die Teilnahme an der Landtagswahl verwehrt werde. Rheinland-Pfalz wählt ebenso wie Baden-Württemberg im März 2021 einen neuen Landtag. Dort müssen allerdings heute schon deutlich weniger Unterschriften gesammelt werden. Während in Baden-Württemberg landesweit 10 500 Unterstützungsunterschriften nötig sind, müssen die kleinen Parteien in Rheinland-Pfalz nur 2000 Unterschriften sammeln.
„Wenn wir weiterhin gezwungen sind, Unterschriften zu sammeln, dann grenzt das schon fast an vorsätzliche Gesundheitsgefährdung. Wir kennen alle den Ernst der Situation. Ich habe aber das Gefühl, im Bereich der politischen Meinungsbildung erkennt dieser Landtag den Ernst der Pandemie nicht,“ macht Claudia Haydt deutlich.
Nach der aktuellen Gesetzeslage müssen die Parteien, die bisher nicht im Landtag vertreten sind, 150 gültige Unterschriften pro Wahlkreis sammeln. Auf das Formular müssen die vollständige Adresse und Geburtsdatum angegeben werden. Solche sensiblen Daten von fremden Personen zu sammeln braucht Überzeugungsarbeit. Claudia Haydt dazu: „Um eine Unterschrift zu sammeln, müssen wir mindestens 8 bis 10 Personen ansprechen. Wir müssen erklären, warum sensible Daten wie Adressen und Geburtsdaten gesammelt werden und was damit passiert. Dazu müssen wir Vertrauen zu den Leuten aufbauen. Dieses Vertrauen können wir nicht über Aufrufe im Internet herstellen“. Innenminister Strobl hatte die kleinen Parteien aufgefordert, die Unterschriften nicht mehr an Infoständen in den Innenstädten, sondern im Internet zu sammeln.
Guido Klamt, Landesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei in Baden-Württemberg (ÖDP) ergänzt, dass die Aufforderung, Unterstützungsunterschriften übers Internet zu sammeln, völlig realitätsfern sei. Eine digitale Unterschriftensammlung sei nicht möglich. Stattdessen müssten die Formulare ausgedruckt, ausgefüllt und zugeschickt werden.
Jörg Lesser, Geschäftsführer der Partei Die Partei, weist schließlich darauf hin, dass Nordrhein-Westfalen bei den Kommunalwahlen gezeigt habe wie es anders geht. Dort seien die Zulassungshürden für die Kommunalwahl im Sommer deutlich reduziert worden. Der Landtag dort habe schnelle Einsicht für die Situation gezeigt.
Die fünf Parteien haben im September eine Klage vor dem Verfassungsgerichtshof eingereicht, die am 9. November in Stuttgart verhandelt wird. Sie wollen damit eine einstweilige Anordnung des Gerichts erwirken, damit die Corona-Verordnungen auch im Landeswahlgesetz Niederschlag finden. Die Parteien fordern eine deutliche Herabsetzung der zu sammelnden Unterschriften, die nötig sind, um zur Landtagswahl antreten zu können. Da von dieser Regelung nur die Parteien betroffen sind, die bisher nicht im Landtag sitzen, werfen die klagenden Parteien den im Landtag sitzenden Parteien vor, die Pandemiesituation zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen.
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