Von unserer Redaktion – Heidelberg. Das Verfahren gegen den Heidelberger Antifaschisten Michael Csaszkóczy wegen des Besuchs einer AfD-Veranstaltung vor vier Jahren in der Stadtbücherei wurde überraschend eingestellt. Der Realschullehrer war im September 2018 wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt worden – insgesamt 1600 Euro. Er hatte im Mai 2017 an der öffentlich beworbenen AfD-Versammlung im Hilde-Domin-Saal der Stadtbücherei Heidelberg als Beobachter teilnehmen wollen. Sein Berufungsprozess war auf den 10. Februar angesetzt und wurde zunächst auf unbestimmte Zeit vertagt – mit der Begründung, wegen des absehbar großen öffentlichen Interesses an dem Prozess sei der Infektionsschutz nicht zu gewährleisten. Nun rückte die Staatsanwaltschaft von ihrer Forderung nach einer Verurteilung ab und stellte auch weitere Verfahren ein – allerdings unter der Bedingung, dass der Lehrer eine eher merkwürdig anmutenden Strafbefehl wegen Veröffentlichens eines Strafbefehls akzeptiert.
Der Einstellung vorausgegangen waren mehrere Presseveröffentlichungen und Solidaritätserklärungen mit dem Lehrer unter anderem von Gewerkschaftsseite (siehe „Ein Gericht darf sich nicht instrumentalisieren lassen“). Der DGB, die GEW, Verdi und IG Metall Heidelberg forderten Freispruch für Csaszkóczy. Sie forderten auch, seine Überwachung durch den Verfassungsschutz einzustellen. Der engagierte Lehrer hatte von 2003 bis 2007 ein Berufsverbot, gegen das er sich erfolgreich wehrte. Gleichzeitig warnten die Gewerkschaften vor einem erneuten Berufsverbotsverfahren, wie es die AfD im Stuttgarter Landtag fordert.
Bei der AfD-Veranstaltung im städtischen Hilde-Domin-Saal der Stadtbücherei Heidelberg 2017 handelte es sich um eine Wahlkampfversammlung. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion der Partei forderte Csaszkóczy unter Berufung auf sein Hausrecht dazu auf, das Gebäude zu verlassen. Der Lehrer berief sich darauf, dass eine öffentliche Versammlung in städtischen Gebäuden selbstverständlich für alle Heidelberger und Heidelbergerinnen zugänglich sein müsse und er den Verweis deshalb für rechtswidrig halte. Daraufhin forderte die Polizei den Antifaschisten ebenfalls dazu auf, zu gehen. Schließlich trugen ihn sechs Polizisten hinaus. Er erhielt einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruchs, da die AfD Hausrecht gehabt habe und er ihren Anweisungen hätte Folge leisten müssen.
Vetterleswirtschaft bei Gericht?
Mit der Prozessführung gegen Csaszkóczy wurde kurzfristig und überraschend die Richterin Julia Glaser beauftragt. Eine Besetzungsrüge Csaszkóczys mit Verweis auf das grundgesetzlich garantierte Recht auf einen festgesetzten Richter wurde zurückgewiesen.
Im Prozess hörte die Richterin nun den AfD-Veranstalter und zwei Polizisten als Zeugen. Andere Zeugen – unter ihnen eine Heidelberger Stadträtin – entließ sie mit der Begründung, sie habe nun genug gehört, der Fall sei klar und entlastende Aussagen nicht mehr nötig. In der Urteilsbegründung bestätigte Glaser zwar, dass die Veranstaltung eine öffentliche Versammlung war, zu der auch Kritikerinnen und Kritiker zugelassen werden müssten. Für Csaszkóczy gelte dieser Rechtsschutz jedoch nicht. Er sei ein stadtbekannter Rädelsführer der gesamten Heidelberger Linken. Daher sei davon auszugehen, dass er rechte Versammlungen nicht nur stören, sondern auch verhindern wolle. Überdies sei seine bloße Anwesenheit dazu angetan, Menschen zu Gewalttätigkeiten anzustacheln. Erst nach dem Prozess erfuhr der Lehrer, dass die neu zugeteilte Richterin die Schwiegertochter des AfD-Bundestagsabgeordneten Albrecht Glaser ist. Sie hatte das Verwandtschaftsverhältnis zuvor nicht bekannt gemacht. Ein Befangenheitsantrag lässt sich jedoch nachträglich nicht mehr stellen.
Die „Würstchen“-Geschichte
Kurze Zeit später stellte die Richterin Julia Glaser weitere, nach Csaszkóczys Worten „ziemlich groteske“ Strafbefehle mit einer deutlich höheren Anzahl von Tagessätzen gegen ihn aus. Im ersten Strafbefehl ging es um eine Situation beim alljährlichen Heidelberger Antifa-Straßenfest. Obwohl es Csaszkóczy zufolge keine Zwischenfälle gab, drohte die Polizei an, es aufzulösen. Ein Polizist sagte aus, der Lehrer hätte ihn im Weggehen als „Würstchen“ bezeichnet, wofür ihn die Richterin mit 50 Tagessätzen bestrafte. Als er konsterniert auf Facebook aus dem Strafbefehl zitierte, bekam er erneut einen Strafbefehl über 50 Tagessätze. Da er Widerspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hatte, wurde er vor der Verhandlung als „internes Prozessdokument“ eingestuft, das – eigentlich zum Schutz des Angeklagten – nicht veröffentlicht werden darf. Csaszkóczy war allerdings nicht bekannt, dass er nicht aus seinem eigenen Strafbefehl hätte zitieren dürfen.
„Schlappe für Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz und Polizei“
Nun hat die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen Beleidigung zurückgezogen. Den Strafbefehl wegen Veröffentlichung eines Strafbefehls wird Csaszkóczy jedoch bezahlen müssen. Das sei die Bedingung gewesen. Er habe auch kein Problem damit, zu diesem Formfehler zu stehen. Eine Einstellung aller Verfahren, erklärte er in einem Interview auf dem Blog „Der Rote Rabe„, wäre wohl „weder mit der Staatsanwaltschaft noch mit Frau Glaser zu machen gewesen. Da geht es um solche Dinge wie Gesichtswahrung und Glaubwürdigkeit. Wäre alles eingestellt worden, wäre zu offensichtlich geworden, dass hier purer politischer Verfolgungswille das treibende Motiv war. Und umgekehrt ist immer offensichtlicher geworden, dass weitere Verhandlungen und Verurteilungen Staatsanwalt und Gericht ebenfalls in ein denkbar schlechtes Licht gerückt hätten.“
Der Lehrer bewertet die Verfahrenseinstellung nicht als Erfolg auf der ganzen Linie, aber als „in der gegebenen Situation das Beste, was herauszuholen war“. Dass es sich um eine Schlappe für Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz und Polizei handele, sei nicht zu übersehen. Auch sei offensichtlich, dass der „zur Bedingung für die Einstellung gemachte Kuhhandel“ nicht das beste Licht auf Staatsanwaltschaft und Justiz werfe. Auf Csaszkóczy werden allerdings erhebliche Kosten für Anwalt, Tagessätze und Gericht zukommen. Die Rote Hilfe hat ein Solikonto eingerichtet.
Eine Presseerklärung der VVN Heidelberg zur Verfahrenseinstellung kann hier nachgelesen werden.
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