Von Sahra Barkini – Stuttgart. Weltweit begehen Frauen und solidarische Männer am 8. März den internationalen Frauenkampftag. Dieses Jahr bereits zum 110 Mal. In Stuttgart folgten über 1500 Menschen einem Aufruf des Aktionsbündnisses 8. März zu einer Kundgebung mit Demonstration in der Innenstadt. Denn auch heute werden Frauen noch immer schlechter bezahlt, weltweit leisten Frauen deutlich mehr unbezahlte Pflege-, Haus- und Sorgearbeit. Weltweit werden Frauen Opfer von patriarchaler Gewalt. Die Situation der Frauen in den verschiedenen Ländern ist unterschiedlich aber eines ist überall gleich: Frauen werden ausgebeutet und unterdrückt – allein deshalb, weil sie Frauen sind.
Um diesen Missständen ein Ende zu setzen, schließen sich Frauen weltweit zusammen. Der Rotebühlplatz in Stuttgart war schon vor Beginn der Kundgebung gut besucht. KundgebungsteilnehmerInnen mit Schildern, Fahnen und OP- oder FFP2 Masken prägten das Bild. An der Demonstration durch die Innenstadt zum Oberen Schlossgarten beteiligten sich über 1500 Menschen. Sie trugen lautstark und selbstbewusst ihre Forderungen durch die Straßen und machten deutlich, dass viele Ziele noch immer nicht erreicht sind. An mehreren Stationen wurde auf Probleme wie Sexismus am Beispiel von Gastro-Beschäftigten aufmerksam gemacht, und es wurde auch auf Femizide eingegangen.
Zu Beginn der Kundgebung machten Rednerinnen deutlich, dass die Risiken der Pandemie weder auf Kosten der Mütter und Frauen noch auf Kosten der Beschäftigten in Pflegeberufen gehen dürften. Dies bedeute, es brauche eine Notbetreuung für Beschäftigte in Berufen der gesellschaftlichen Infrastruktur, sowie die Freistellung aller berufstätigen Eltern durch den Arbeitgeber. Die Arbeit von Frauen sei „systemrelevant“ egal ob zuhause oder in den typischen „Frauenberufen“. Und dennoch bekommen Frauen geringere Löhne, wenig Gesundheitsschutz und kaum Anerkennung.
Noch immer hängen 80 Prozent der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit an Frauen. Seit der Corona Krise müsse man dann Homeschooling, Haushalt, Kindererziehung, Pflege von Familienangehörigen und Homeoffice managen. Zusätzlich seien Frauen oft während des Lockdowns patriarchaler Gewalt ausgesetzt. Durch die Corona-Maßnahmen nehme häusliche Gewalt zu, weil man weniger die Möglichkeiten habe, das Zuhause zu verlassen. Dies alles sei kein Zufall sondern die Auswirkung eines kapitalistischen Systems, in dem der Profit im Mittelpunkt stehe und nicht die Menschen.
Wir lebten in einem patriarchalem System, in dem Männer mehr Einfluss, Macht und Rechte besitzen. Auch seien 80 Prozent der Fliehenden weltweit Frauen und Kinder. Geflüchteten gehe es durch die Corona-Krise besonders schlecht, da Hilfsorganisationen teilweise die Arbeit nicht fortsetzen können und die Lockdowns in Geflüchteten-Lagern wie Lipa oder Moria zur gänzlichen Isolation führen. Diesen unmenschlichen Zuständen müsse ein Ende gesetzt werden. Frauen weltweit seien mit patriarchaler Gewalt und Sexismus konfrontiert.
Bedrohungen, körperliche und/oder sexualisierte Gewalt nehmen seit Jahren zu. Diese Gewalt soll Frauen einschüchtern, verunsichern und damit ihre Eigenständigkeit und die ganze Persönlichkeit in Frage stellen. Frauen würden zu oft nicht als Persönlichkeit gesehen sondern als Objekte. Die Rednerinnen forderten eine Welt, in der alle selbstbestimmt und gleichberechtigt leben können. Eine Welt ohne Profitgier und Patriarchat. Eine Welt, in der es egal ist, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe man hat. Eine Welt, in der keine Frau mehr von einem Mann unterdrückt wird. Eine Welt, in der die Interessen aller Menschen im Vordergrund stehen, müsse das Ziel sein.
Nach der Auftaktkundgebung setze sich der Demonstrationszug in Bewegung. Parolen wie „Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die leben, lasst uns das System aus den Angeln heben“, „A – Anti – Antikapitalista“, „Frauen streiken, Frauen kämpfen, Frauen leben – wir nehmen uns, was uns gehört“ waren ebenso zu hören wie „Jin Jiyan Azadî“ und „Von Stuttgart bis nach Rojava, in unserem Kampf lebt Ivana“.
Bei einer Zwischenkundgebung vor dem Justizministerium auf dem Schillerplatz wurde auf Femizide eingegangen und gefordert, dass Morde an Frauen nicht länger als eine Familientragödie, ein Eifersuchtsdrama oder ein eskalierter Familienstreit bezeichnet werden, sondern als das was sie sind: Femizide. Frauen würden dann von ihren Ehemännern, Partnern oder Ex-Partnern getötet, wenn sie sich der Kontrolle, Unterdrückung und den patriarchalen Besitzansprüchen entziehen. Oft gehe diesen Morden eine jahrelange Gewaltbeziehung voraus. Sie geschähen nicht im Affekt.
In Deutschland sei, anders als in Lateinamerika, der Begriff Femizid kaum geläufig. Der Bundesgerichtshof hat dazu immer wieder, zuletzt 2019, entschieden, dass die Tötung nicht als niederer Beweggrund zu bewerten ist, wenn – Zitat: „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt sieht, was er eigentlich nicht verlieren will.“ Um zu verdeutlichen wieviel Frauen allein im Jahr 2020 durch Femizide starben, stellten die Demonstrierenden symbolisch rote Schuhpaare vor das Ministerium. Die Schuhspitzen zeigten auf das Justizministerium, da die Justiz eine Mitschuld trägt.
Im Anschluss zog der Demonstrationszug weiter in den oberen Schlossgarten. Bei der Abschlusskundgebung gaben dann noch Frauen Einblicke in die feministischen Kämpfe in anderen Ländern wie beispielsweise in Polen oder der Türkei. So sagte eine Rednerin über Polen, es sei ironisch, dass die selben Männer, die vor fast einem halben Jahr den Frauen eines ihrer Menschenrechte, das Recht auf Selbstbestimmung, wegnehmen nun zum Weltfrauentag gratulieren. Das Abtreibungsgesetz wurde verschärft. Das polnische Verfassungsgericht habe sich der rechtsextremen PIS-Partei untergeordnet und sei damit nicht mehr unabhängig. Jetzt ist der Schwangerschaftsabbruch in Polen nur noch in zwei Fällen zulässig: Wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist oder wenn die Schwangerschaft durch eine Straftat entstanden ist. Eine Abtreibung aufgrund einer schweren Behinderung des Fötus ist nicht mehr legal.
Obwohl in Polen Hunderttausende auf der Straße waren, um gegen diese Menschenrechtsverletzung zu demonstrieren, setzte sich die Regierung durch. Nun werden seit Januar täglich Frauen gefoltert – anders könne man es nicht nennen, wenn eine Frau gezwungen wird, ein Kind ohne Herz, ohne Lunge, mit schweren genetischen Krankheiten und ohne Überlebenschancen zur Welt zu bringen, so die Rednerin. „In Polen werden Frauen gefoltert, in Polen hab ich mehr Kontrolle über meinen Körper, wenn ich taub bin, als wenn ich schwanger werde.“
Allerdings waren die Proteste nicht ganz erfolglos. Die zweitgrößte polnische Partei änderte auf Druck der Bevölkerung ihre Meinung und setzt sich nun klar für die Legalisierung von Abtreibung ein. Dies sei ein kleiner Sieg, so die Rednerin. Die Ereignisse bewegten in Polen viele Frauen und Männer, und sie setzten sich mit Feminismus auseinander. Viele wurden zu AktivistInnen. Abschließend sagte die Rednerin: „Die alten weißen Männer im Anzug haben gegen uns keine Chance“.
Über die Proteste der Frauen in der Türkei sprach eine weitere Rednerin. Am 5. März sind trotz Verbots in Istanbul zehntausende Frauen auf die Straße gegangen. Die Frauenbewegung in der Türkei ist eine der stärksten Oppositionskräfte im Land. Sie spiele eine bedeutende Rolle, und trotz unterschiedlicher Forderungen eint sie zwei Ziele: Die Istanbul-Konvention umsetzen und Femizide stoppen. Frauen weltweit fänden gemeinsame Antworten auf die Herausforderungen. In Argentinien beispielsweise gehen zehntausende Frauen regelmäßig auf die Straßen. Die Bewegung „Ni una menos“ (Nicht eine weniger) wehrt sich gegen Gewalt an Frauen und gegen Machismus.
Zum Abschluss spielten zwei Musikerinnen das Lied „Canción sin Miedo“ (Song ohne Angst).
Video
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!