Von Sahra Barkini – Stuttgart. Das Aktionsbündnis 8. März rief am 15. Mai zum Jahrestag der Entstehung des Paragraphen 218 auf die Straße. Am 15. Mai 1871 wurde der Paragraph 218 ins Reichstrafgesetzbuch aufgenommen. Seitdem kämpfen Frauen für die Abschaffung dieses Paragraphen. Bis heute ist ein Schwangerschaftsabbruch in der Bundesrepublik grundsätzlich strafbar. Nur unter bestimmten Voraussetzungen gilt Abtreibung als rechtlich straffrei. Außer in Stuttgart fanden am 15. Mai noch in 40 weiteren Städten in Deutschland Kundgebungen und Aktionen statt. Etwa 350 Frauen und solidarische Männer mit FFP2 oder OP-Masken beteiligten sich an der Stuttgarter Demonstration.
Der Pressemitteilung des Aktionsbündnisses zufolge gibt es in Stuttgart nur vier ÄrztInnen, die Abbrüche vornehmen. Nur zwei davon sind im Netz zu finden. Immer mehr ÄrztInnen sind Anfeindungen und Strafanzeigen von AbtreibungsgegnerInnen ausgesetzt. So sangen und beteten am Morgen des 15. Mai AbtreibungsgegnerInnen vor einer Stuttgarter Praxis. Pro Choice-AktivistInnen stellten sich ihnen in den Weg und wurden von der Polizei weggedrängt, damit die AbtreibungsgegnerInnen ungestört waren. Sie belästigen Frauen auf dem Weg zur Klinik.
Im Aufruf zu der Demonstration ist zu lesen: „Die freie Entscheidung für oder gegen Mutterschaft beginnt mit der Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, sie setzt finanzielle und soziale Sicherheit voraus.“ Der Auftakt der Demonstration war auf dem Rotebühlplatz. Nach drei Redebeiträgen setzte sich ein Demonstrationszug über die Eberhardstraße zum Schillerplatz in Bewegung. Dort fand eine Abschlusskundgebung statt.
Redebeiträge kamen vom feministischen Frauengesundheitszentrum Stuttgart (ff*gz), vom Aktionsbündnis 8. März und dem Bund sozialistischer Frauen (SKB).
Freiheit von Schwangeren schützen
Die Rednerin vom ff*gz betonte, dass sich kein Mensch leichtfertig für oder gegen eine Schwangerschaft entscheide. Weder Staat noch Gesellschaft dürften darüber richten, wenn sich Frauen gegen eine Schwangerschaft entscheiden. Denn: „Eine schwangere Person ist immer ein einzigartiges Individuum, das in seinen einzigartigen Daseinsgeflecht steckt und deren Freiheit darum durch Grundgesetz und Menschenrechte in besonderem Maße als schützenwert gelten.“ Weiter fügte sie an: „Solange ein Schwangerschaftsabbruch als Straftatbestand gilt, kann die Entscheidung darüber nie frei und wirklich eigen sein.“
Die Rednerin betonte, es sei an der Zeit aufzuhören, andere Menschen zu bevormunden, wie sie mit ihrem Körper und Leben umgehen sollen, und welche Verantwortung sie bereit sind zu tragen. Es sei endlich an der Zeit, Frauen als mündige BürgerInnen anzusehen. Denn warum sollte ein Mensch die Verantwortung für ein Kind übernehmen können, wenn man diesem Mensch gleichzeitig keine verantwortungsvolle Entscheidung zu traut, fragte die Rednerin.
Aus Solidarität auf die Straße
Die Rednerin der SKB sprach über die internationalen feministischen Kämpfe. Mit Blick in die Türkei und den Austritt aus der Istanbul-Konvention erklärte sie: Ebenso wie Frauen in Polen und der Türkei gegen die Regierungen protestieren, die aus der Istanbul-Konvention austreten, „müssen wir auf die Straße gehen, um uns zu solidarisieren mit allen Frauenstrukturen.“
Sie fügte an: „Wir Frauen akzeptieren keine Welt, in der Frauen Morden, Gewalt und Vergewaltigung ausgesetzt werden und Abtreibung verboten ist. Wir werden kein Abtreibungsverbot für unseren Körper zulassen, wir Frauen haben das Recht auf eine Abtreibung. Wir entscheiden selbst, ob wir Kinder wollen, wann wir wollen und wie viele.“
Gegen patriarchale Gesetze
Die Rednerin des Aktionsbündnisses sprach über Selbstbestimmung im Patriarchat. Der § 218 und die gesellschaftliche Verachtung von Schwangerschaftsabbrüchen seien konkreter Ausdruck der patriarchalen Gesellschaften, in denen Männer als Familienvorstände und politische Entscheidungsträger über Nachwuchs und damit über die Austragung von Schwangerschaften bestimmen. Sie sagte weiter: „Unser Kampf richtet sich gegen patriarchale Gesetze sowie gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die diese Gesetze hervorbringen und mittragen.“
Nach den Redebeiträgen setzte sich ein Demonstrationszug in Bewegung. Skandiert wurden laute Parolen wie „Ob Kinder oder keine, bestimmen wir alleine!“, „Solidarität heißt Widerstand, Kampf dem Sexismus in jedem Land.“, „Ich war, ich bin, ich werde sein, die Revolution wird die Menschheit befreien'“, „We are here and we will fight, safe Abortion is every womens right“, „Jin, Jiyan, Azadî“, „Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die leben, lasst uns das System aus den Angeln heben.“ Es gab auch Musik.
Mit Schildern und Transparenten machten die DemonstrantInnen auf ihre Forderungen aufmerksam. Am Schillerplatz wurden Tonaufnahmen mit Geschichten von Frauen eingespielt die über ihre Abtreibungserfahrungen sprachen. Außerdem wurde in einer symbolischen Aktion verdeutlicht, dass nicht der Schwangerschaftsabbruch das Verbrechen sei, sondern die Gesetzgebung ein Verbrechen an der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen.
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