Von Sahra Barkini – Stuttgart. Am 20. Juni 1938, vor nunmehr 83 Jahren, wurde die Stuttgarter Antifaschistin, Widerstandskämpferin und Mutter Liselotte (Lilo) Herrmann als erste Frau von den Nazis ermordet. Ihr zu Gedenken riefen das Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart & Region (AABS), die Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart, die DKP Stuttgart, das Linke Zentrum Lilo Herrmann und die VVN-BdA zu einer Kundgebung in den Stuttgarter Unipark. Der dortige Gedenkstein wurde 1988 in einer Nacht- und Nebelaktion vom Stuttgarter Stadtjugendring aufgestellt. Dem Aufruf folgten am Samstag, 20. Juni 2021, über 100 AntifaschistInnen.
Die Stuttgarter Uni-Leitung hatte die langjährige Forderung der VVN-BdA, der Studierendenschaft und des Personalrats, Lilo Herrmann zu ehren, abgewiesen. Bei der Kundgebung kamen Redebeiträge vom AABS und der VVN-BdA. Aktivistinnen des Aktionsbündnis 8. März befassten sich mit Frauen im Widerstand und den Auswirkungen des Faschismus auf das Leben von Frauen. Die musikalische Umrahmung gestaltete Werner Grimm von der VVN-BdA. Nach der Kundgebung gab es eine Kranzniederlegung. Auch wurden rote Nelken für die Opfer des Faschismus niedergelegt.
Die Rednerin des AABS ging auf das Leben von Lilo Herrmann ein. Sie war seit ihrer frühen Jugend ein politischer Mensch und ließ sich durch die Machtübergabe an die Faschisten in ihrem Handeln nicht einschüchtern. Sie arbeitete in Studierendengruppen und in der KPD. Durch die Parteiarbeit verlor sie ihren Studienplatz in Stuttgart. Sie gab auch nach ihrer Verhaftung keinerlei Informationen über GenossInnen oder den Widerstand preis. Diesen Kampf musste sie mit ihrem Leben bezahlen. Sie wurde am 20. Juni 1938, als erste Frau, in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
„Erinnern heißt kämpfen“ – das dürfe auch heute keine Floskel sein, sondern müsse als Bekenntnis begriffen werden. Im Alltag und der politischen Arbeit müsse dieser Satz immer wieder vor Augen geführt und umgesetzt werden, so die Rednerin. „Denn damals, wie heute, ist es wichtig, antifaschistisch aktiv zu werden und zu bleiben! Immer noch treten Rechte und Nazis da auf, wo sie Nährboden finden, wo sie auf keine Gegenwehr treffen, wo sie sich ausbreiten und verankern können. In den Parlamenten, wie durch die AfD, auf der Straße, beispielsweise bei Querdenken, und auch in den Betrieben durch Organisationen wie Zentrum Automobil.“
Rechte Netzwerke bei Polizei und Militär oder der Verschluss der NSU Akten zeigten, dass man sich nicht auf den Staat verlassen könne. Deshalb sei es umso wichtiger, als Bewegung solidarisch zusammenzustehen und sich nicht spalten zu lassen. Denn die Geschichte zeige, dass Vereinzelung schwächt und man nur gemeinsam stark sei. „Wenn wir heute und hier, gegen Faschismus und Rassismus aufstehen und Widerstand leisten, dann tun wir das im Sinne von Lilo Herrmann. Wir wollen das zu Ende bringen, wofür sie und viele weitere WiderstandskämpferInnen von den Faschisten ermordet wurden. In diesem Sinne: Erinnern heißt kämpfen! Antifaschismus bleibt notwendig“.
Sie wollten den Krieg verhindern
Lothar Letsche von der VVN-BdA gab in seiner Rede Einblick in das Leben von Lilo Herrmann. Sie sei sowohl bei den Anwesenden unvergessen als auch im Linken Zentrum Lilo Herrmann in Heslach und bei der VVN-BdA. In den 1990iger Jahren waren noch MitstreiterInnen in der VVN-BdA aktiv, die Herrmann kannten. So zum Beispiel Alfred Hausser, der 1988 den Gedenkstein einweihte. Helene Petermann, eine Freundin Herrmanns, ließ es sich auch mit 89 Jahren nicht nehmen, vor Studierenden der Universität einen Vortrag über ihre Freundin zu halten, um dabei Dinge gerade zu rücken, die ein schlecht informierter Professor über die Widerstandskämpferin verbreitete.
Als dieser Professor dann in den Ruhestand ging, ließen sich die zu dieser Zeit maßgeblichen Verantwortlichen der Universität vom Verfassungsschutz soufflieren, dass sie mit dem Gedenkstein nichts zu tun haben sollten, da auch die VVN-BdA an ihm beteiligt sei. Letsche: „Im Mittelpunkt des Feindbilds dieses Geheimdienst stand und steht der Antifaschismus. Und natürlich auch unsere 1947 gegründete Organisation.“
Auch wenn die Universität nicht an jeder Kundgebung beteiligt ist, kümmert sich das Universitätsbauamt heute um den Stein und sorgt dafür, das er immer geputzt aussieht. Etwaige Schmierereien, wie sie bereits vorkamen, (siehe „Entsetzen über erneute Schändung„) werden entfernt. Inzwischen habe die Universität erkannt, dass die zwei Jahre Studium von Herrmann in Stuttgart ein wichtiger Teil der Geschichte der Hochschule sind, so Letsche. Als am 30. Januar 1933 die Nazis an die Macht gehievt wurden, schloss man Herrmann, die zu dieser Zeit Biologie in Berlin studierte, wegen kommunistischer Betätigung vom Studium an allen deutschen Hochschulen aus.
Sie und ihre GenossInnen wollten den Krieg verhindern. Sie wussten, dass in Friedrichshafen unter der Tarnung ziviler Luftfahrt in Wirklichkeit Kampfflugzeuge gebaut wurden, und warnten das Ausland. Sie betrieben Antikriegspropaganda und Aufklärungsarbeit im Untergrund. Und dafür wurden sie verurteilt – das gegen sie verhängte Todesurteil spricht es klar aus.
Ihren Kampf gegen die Nazis gab die junge Mutter bis zu ihrer Verhaftung im Dezember 1935 nicht auf. Der “Volksgerichtshof” verurteilte sie 1937 zum Tod. Kurz vor ihrem Geburtstag wurde sie zusammen mit Stefan Lovász – er war Vater von vier Töchtern -, Josef Steidle aus Stuttgart und Artur Göritz aus Friedrichshafen in Berlin-Plötzensee enthauptet. Diese vier hatten den ersten Weltkrieg erlebt und wollten den großen Krieg, auf den die Welt damals zusteuerte, verhindern. „Lassen wir uns vom Beispiel Lilo Herrmanns ermutigen, nicht nur gegen Faschismus und Rechtsentwicklung hier im Land zu kämpfen – auch für demokratische Rechte und Freiheiten gegen den Rassismus“, so Letsche.
Nach dem Niederlegen von Trauerkränzen und roten Nelken am Gedenkstein berichteten drei Aktivistinnen des Aktionsbündnisses 8. März von Frauen aus dem Widerstand. Sie gingen nochmals auf die Geschichte von Lilo Herrmann ein, gaben Einblicke in das Leben von Gerda Taro und Else Himmelheber. Und sie zeigten auf, wie sich Faschismus auf das Leben von Frauen auswirkt.
Videos
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!