Von Wolfgang Rüter – Stuttgart. Vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941, überfielen rund 5 Millionen Soldaten der Nazi-Wehrmacht trotz eines Nichtangriffsvertrags die Sowjetunion. Bereits in den ersten Monaten töteten die Nazi-Truppen Millionen sowjetischer Soldaten und Zivilisten oder verschleppten sie als Arbeitssklaven. Insgesamt wurden fast fünf Millionen Männer, Frauen und Kinder aus den besetzten Teilen der Sowjetunion nach Deutschland verschleppt. Der faschistische Angriff scheiterte, hinterließ jedoch unendliche Verwüstungen. Die Arbeitssklaven landeten auch in Stuttgart.
Zum Gedenken an diese Gräueltaten hatten die Stuttgarter Friedenskoordination und die DKP zum Besuch der Gräberfelder auf dem Stuttgarter Hauptfriedhof in Steinhaldenfeld mit Kranzniederlegung und Ansprachen sowie dem Besuch des Zwangsarbeiterdenkmals beim Mercedes-Benz Museums in Bad Cannstatt aufgerufen.
In ihrer Rede vor der Kranzniederlegung auf dem sogenannten Ehrenfeld „Z“ Zwangsarbeiter/Ostarbeiter kritisierte Kornelia Lopau (Friedenstreff Bad Cannstatt und DKP), man müsse „das Gräberfeld von 651 sowjetischen Zwangsarbeitern auf dem Hauptfriedhof in Steinhaldenfeld nach wie vor suchen“. Es gibt kein Hinweisschild am Eingang oder vor Ort. Auf dem Übersichtsplan am Eingang ist der Ort mit den Worten „Ostarbeiter Ehrenfeld“ gekennzeichnet. Das ist alles. Das auf der Website der Stadt Stuttgart propagierte Denkmal für die Zwangsarbeiter auf dem Hauptfriedhof gibt es nicht. Erinnerungskultur oder gar Vergangenheitsbewältigung geht anders.
Es gibt weitere Gräberfelder dort wie das „Ehrenfeld Fliegeropfer“ für die „Opfer aus schwerer Zeit“ oder eins für die „Opfer der Gewalt“, wo es sich offensichtlich um Euthanasie-Opfer aus Buchenwald, Dachau und so weiter handelt. Es fehlen jegliche Erklärungen. Warum zum Beispiel waren die Zeiten „schwer“?
Danach ging es auf dem Hauptfriedhof in Steinhaldenfeld zu den sogenannten Ehrenfeldern „F“ Fliegeropfer und „E“ Euthanasieopfer“ und im Anschluss daran zum Zwangsarbeiterdenkmal beim Mercedes-Benz Museum in die Mercedes-Jellinek-Straße, wo Christa Hourani, ehemals Betriebsrätin und VK-Leiterin bei Daimler in der Zentrale, über die wechselvolle Geschichte dieses Denkmals berichtete. Sie hatte sich als VK-Leiterin dafür eingesetzt, dass das Denkmal einen würdigen Platz vor dem neuen Museum bekommt.
Ermordet durch Zwangsarbeit
Vor dem Zwangsarbeiterdenkmal sagte sie: „Wir wollen heute – am 80. Jahrestags des Überfalls auf die Sowjetunion – insbesondere der russischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter gedenken. Von den über 5 Mllionen sowjetischen Kriegsgefangenen wurden zirka 3,3 Millionen entweder direkt oder durch Zwangsarbeit, vor allem in der deutschen Rüstungsindustrie, ermordet.
An der Grabstätte für sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter auf dem Hauptfriedhof Steinhaldenfeld wurde ihrer gedacht und ein Kranz niedergelegt. „Hier, am Zwangsarbeiterdenkmal von Daimler, wollen wir ebenso ihrer Gedenken und die Situation damals bei Daimler beleuchten und notwendige Schlussfolgerungen ziehen.“
Dann führte Hourani weiter aus: „Wir stehen hier vor dem Zwangsarbeiterdenkmal des Berliner Bildhauers Prof. Bernhard Heiliger, der ihm den Namen „Tag und Nacht“ gab. Am 10. Januar 1989 wurde diese Skulptur auf dem Werksgelände der Daimler-Benz AG in Untertürkheim aufgestellt. In der Widmung heißt es: „In Erinnerung an die Zwangsarbeiter im 2. Weltkrieg und zur Mahnung, den Frieden zu erhalten und die Würde freier Menschen zu verteidigen“. Es bekam auf dem Werksgelände seinen Platz auf der für alle Beschäftigen und Besucher zugänglichen Freifläche vor dem alten Museum und einem zentralen Verwaltungsgebäude. So war das Denkmal an einem zentralen Ort im Werk, der täglich von tausenden Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel beim Gang zur Kantine und auch von vielen Museumsbesuchern aus aller Welt frequentiert wurde.
Der lange Weg zum Denkmal
Die Aufstellung des Denkmals war damals dem gesellschaftlichen Druck geschuldet. Bereits 1985 forderten Beschäftigte die Öffnung der Konzernarchive für Recherchen über Zwangsarbeit. 1986 wurde das Thema von verschiedenen Medien aufgegriffen. 1987 erschien das Buch „Das Daimler-Benz-Buch – ein Rüstungskonzern im „Tausendjährigen Reich“. Eine gesellschaftliche Debatte um Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter entstand. Der öffentliche Druck führte dazu, dass Daimler-Benz 20 Millionen Mark für Opfer des Faschismus beziehungsweise für entsprechende Organisationen bezahlte und dieses Denkmal aufgestellt wurde. Allerdings fehlt auf der Widmung vollkommen der Bezug zu Daimler und zu Zwangsarbeit in diesem Werk.“
2005 verschwand das Mahnmal plötzlich. Es gab viele Ausreden dafür (weitere Details siehe den kompletten Redetext).
Als weiterer Redner begann Günther Klein, Vorsitzender des Vereins Waldheim Stuttgart „Clara Zetkin Haus“, DKP, seine Rede so: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum stehen wir heute hier an diesem Ort? Daimler war einer der großen Profiteure des Krieges. Mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion wurde nur noch für die Rüstung produziert, es gab keinerlei zivile Produktion mehr. Produziert wurden vor allem Lastwagen aber auch Flugzeugmotoren, Panzer und Kettenfahrzeuge und auch Munition, Pistolen, Granaten, Geschützrohre und Flugzeugteile. Reparaturen nahmen einen immer höheren Stellenwert ein. Daimler wuchs durch den Krieg zum großen Konzern, Grundlage für den Weltkonzern von heute. Die Zahl der Beschäftigten stieg von rund 9000 im Jahre 1932 auf fast 65 000 im Jahre 1943.
Auch Kinder unter den Verschleppten
Es gelang der Unternehmensleitung unter Ausnutzung der intensiven Verbindungen zu den verschiedenen Instanzen des Nazi-Staates, dass davon rund 30 000, also fast die Hälfte, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge waren. Darunter waren auch fast 300 Kinder. Ohne die Ausbeutung dieser Menschen hätte der Krieg nicht bis zum 8. Mai 1945 durchgehalten werden können. Diese Menschen legten auch den Grundstein für unseren heutigen Wohlstand, weil sie zum enormen Wachstum des Daimlerkonzerns und vieler anderer Unternehmen beitrugen.
Mit dem Überfall auf die Sowjetunion kamen sowohl Kriegsgefangene aus Frankreich, aber vor allem von der Sowjetunion als Arbeitssklaven in der Produktion bei Daimler zum Einsatz. Die von den Nazis praktizierte Vernichtung durch Arbeit fand auch hier vor Ort statt. Arbeitszeiten von 12 Stunden täglich, wenig zu Essen von schlechtester Qualität, meist eine dünne Suppe mit oft verschimmeltem Brot. (Weitere Details siehe den kompletten Redetext)
Fotos: https://reporterderstrasse.de/fotogalerie/index.php?/category/327
Redetexte: https://www.magentacloud.de/share/0yejutrkkv
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