Heidelberg. Etwa 80 Personen aus dem Spektrum der Querdenken-„Partei“ dieBasis sind am Abend des 9. Novembers vom Friedrich-Ebert-Platz aus schweigend durch die Heidelberger Hauptstraße gezogen, berichtet die Antifaschistische Initiative Heidelberg. Die eingesetzten Polizeikräfte vor Ort hatten an jenem Dienstagabend aber nichts Besseres zu tun, als die am Rand stehende Gruppe von etwa 30 AntifaschistInnen zu schikanieren und sie versammlungsrechtlich zu belehren: Gegenprotest dürfe aus Sicht des Exekutivorgans nur angemeldet und autoritär abgesegnet stattfinden; antifaschistische Durchsagen durch ein Megafon seien somit nicht erlaubt.
Aus Sicht der AntifaschistInnen ist es ein absoluter Skandal, dass die Heidelberger Versammlungsbehörde am 9. November, dem Jahrestag der faschistischen Novemberpogrome, einen dezidiert antisemitischen, NS-verharmlosenden „Schweigemarsch“ der „Basis“ zugelassen hat – und dies auch noch unter dem Motto „Nie wieder Ausgrenzung“. Aber genau das war der Fall!
Die Querdenker-Partei hat in Heidelberg einen quirligen Ableger mit einem stabilen Mobilisierungsgrad aufzuweisen. Der „Schweigemarsch“ begann mit einer Auftaktkundgebung auf dem Friedrich-Ebert-Platz; angeleitet und koordiniert vom hiesigen Bundestagskandidaten der „Basis“ Ulrich Becker, der mit seiner Lastenfahrrad-Anlage gekommen war. Etwa 30 AntifaschistInnen postierten sich ihr gegenüber, skandierten Parolen und hielten Redebeiträge über ein kleines Megafon – obwohl der Einsatzleiter der Polizei vorher versucht hatte, genau dies zu verhindern, indem er eine/n Versammlungsleiter/in der Aktion bestimmt haben wollte. Das lehnte die Antifa-Gruppe aber selbstbestimmt ab. Neben der Gefahr, von der Polizei dann willkürlich für alles und jede/n verantwortlich gemacht zu werden, kam es auch schon zu oft vor, dass Daten von AnmelderInnen oder Personalien kontrollierten direkt bei QuerdenkerInnen gelandet sind. Vor allem dann, wenn es jenen in den Sinn kam, Einzelne aus den Gegenprotestansammlungen anzuzeigen, zum Beispiel wegen Beleidigung oder wegen Verunglimpfung.
Gegen 18.30 Uhr lief der von „Basis“-AnhängerInnen dominierte AntisemitInnenblock, in dem sich auch ein paar AfDlerInnen tummelten, Richtung Hauptstraße, begleitet von antifaschistischen Sprechchören des Gegenprotests. Auf dem Anatomieplatz machten sie einen kurzen Zwischenstopp, so dass die AntifaschistInnen Zeit hatten, sich die Pappschilder der QuerdenkerInnen genauer anzusehen. Dabei stieß ein Pappschild, das bekannte „Basis“-Mitglieder mitgebracht hatten, besonders ins Auge: Auf ihm war zu lesen, dass Auschwitz auch nicht gleich „mit Vernichtung begonnen“ habe, sondern mit „Ausgrenzung“.
Das stellt aus Sicht der Antifaschistische Initiative Heidelberg in der Interventionistischen Linken eine untolerierbare geschichtsrelativierende Gleichsetzung dar: „Ausgrenzung“, mit der im Deutschen Faschismus alles angefangen und schließlich zum singulären Menschheitsverbrechen geführt habe, sei gleichzusetzen mit dem heutigen Umstand, dass ein Staat wie die BRD Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie ergreift und dabei die dringende Empfehlung (und nicht die Pflicht) abgibt, sich doch bitte impfen zu lassen; das grenze jene aus, die sich nicht impfen lassen wollen. Das ist das „Wehret den Anfängen!“ der QuerdenkerInnen. Das ist antisemitisch, das ist NS-verharmlosend. Die (vermeintlich sozial und administrativ geächteten) ImpfverweigerInnen erklären sich so zu den Jüdinnen und Juden von heute, denen das gleiche Schicksal drohe wie jenen damals zu Hitlers Zeiten. Vorgaben wie 3G-Regel oder Maskenpflicht in Innenräumen, die CoronaleugnerInnen „ausgrenzen“, mit dem Auftakt zur Shoah zu vergleichen, könnte problemlos als Volksverhetzung verfolgt werden und wäre Grund genug gewesen, diese Demonstration behördlich zu unterbinden (auch in Absprache mit dem Antisemitismusbeauftragten des Bundeslandes Baden-Württemberg).
Dies ist jedoch bei Weitem nicht das erste (und letzte) Mal, dass QuerdenkerInnen durch solche unerträglichen Äußerungen auffallen; nicht selten klebten sich beispielsweise einige von ihnen bei Demonstrationen oder Kundgebungen einen sogenannten „Judenstern“ auf die Kleidung, auf dem „Jude“ durch „Ungeimpft“ ersetzt war.
Das ekelerregende Verharmlosen der Shoah durch Parallelisierung der beiden Opfergruppen – hier die jüdische Bevölkerung Europas, die vernichtet wurde, dort die Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen – ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Wer am 9. November – parallel zum städtischen Gedenken an die Pogromnacht, das ebenfalls um 18 Uhr auf dem Synagogenplatz abgehalten wurde – auf die Straße geht, um „gegen Ausgrenzung“ von ImpfverweigererInnen zu demonstrieren, unterläuft offensiv und in vollem Bewusstsein jeden Versuch, die würdige Erinnerung an eine Zeit wachzuhalten, in der Menschen enteignet, vertrieben, vernichtet wurden, weil sie Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma oder Homosexuelle waren. Es ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die den Terror der Nazis erlebt haben oder durch ihn zu Tode kamen.
Das Traurige an diesem Abend ist einmal mehr, dass die Polizeibehörde den „Schweigemarsch“ der QuerdenkerInnen, der wieder auf dem Friedrich-Ebert-Platz endete, durchgesetzt hat, indem AntifaschistInnen daran gehindert wurden, ihrem Protest gegen diesen offenen Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus mit einem kleinen Megafon Gehör zu verleihen. Wieder einmal haben die BeamtInnen das (falsch ausgelegte) Verwaltungsrecht über die antifaschistische Pflicht gestellt, bei NS-verharmlosenden Aktionen intervenieren zu müssen – und zwar ohne eine/n gegenüber den staatlichen Repressionsorganen kenntlich gemachte/n VersammlungsleiterIn.
Die von den QuerdenkerInnen großflächig auf dem Friedrich-Ebert-Platz angebrachten Parolen wurden unmittelbar nach Ende ihrer Kundgebung rückstandslos entfernt.
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