Kommentar von Sahra Barkini – Stuttgart. Die von der „Jungen Freiheit“, Springer sowie CDU- und AfD-PolitikerInnen lancierte öffentliche Empörung über einen Gastbeitrag von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) in einer Publikation war und ist ein durchschaubares Störfeuer. Ob die vielbeschworene Brandmauer gegen Rechts der CDU bedeutet, gemeinsam mit der AfD auf einen Zug der neurechten „Jungen Freiheit“ aufzuspringen? Immerhin hatte das Sprachrohr der Neuen Rechten zuerst über den Artikel von Faeser berichtet. Erst dann folgten die Springer Blätter.
Der Vorwurf: Sie schrieb einen Gastbeitrag für die „antifa“, das Magazin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA).
„Junge Freiheit“ und Springer Hand in Hand mit Konservativen denn – oh‘ weh, eine deutsche Innenministerin ist Antifaschistin. Sogleich wird wieder von Linksextremismus fabuliert. Links, seit jeher das Schreckgespenst für alle von ganz rechts, halb rechts bis Mitte rechts. Im Springerblatt „Welt“ war dann auch noch von „Super Holocaust Überlebenden“ zu lesen. Dies wurde inzwischen zwar gelöscht und war ja angeblich auch nur ein Versehen der Praktikantin und der Zwischenablage. Aber es stand mal im Netz, und die schäumenden Rechten bekamen Futter.
Ein Innenminister, der sich an seinem 69. Geburtstag über 69 Abschiebungen nach Afghanistan freute oder ein ehemaliger Verfassungsschutzchef, der die AfD anscheinend gar nicht so schlimm findet und mit antisemitischen Thesen um sich wirft – geschenkt. Nun hat dieses Land eine Innenministerin, die sich wiederholt gegen Rechts aussprach und hoffentlich auch tatsächlich gegen die rechten Umtriebe durchgreift. Und das treibt den Herren und wohl auch einigen Damen den Schweiß auf die Stirn. Das „Vergehen“, das Faeser nun vorgeworfen wird, liegt auch schon länger zurück. Ihr Gastbeitrag erschien am 3. Juli 2021. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch gar keine Innenministerin, sondern Abgeordnete im hessischen Landtag und wurde wie die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yildiz, die Linken-Politikerin Janine Wissler und die Kabarettistin Idil Baydar vom NSU 2.0 bedroht. Und genau über diese Drohungen schrieb sie.
Brennendes Haus ohne Feuerwehr
Mit dem Inhalt des Geschriebenen setzen sich die ganzen künstlich Empörten auch gar nicht auseinander. Vielmehr zogen sie mal wieder gegen die VVN-BdA zu Felde. Diese Störgeräusche reihen sich ein in Angriffe auf die VVN-BdA und AntifaschistInnen. Erst 2019 versuchte das Finanzamt Berlin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes die Gemeinnützigkeit zu entziehen (siehe „Solidarität mit der VVN-BdA„). Esther Bejarano, im vergangenen Jahr verstorbene Ehrenvorsitzende der VVN-BdA und Überlebende des Holocaust, schrieb damals in einem Brief an den ehemaligen Finanzminister und jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz: „Das Haus brennt – und sie sperren die Feuerwehr aus“.
Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit berief sich ebenso wie die rechte und konservative Empörung auf die Einschätzung des bayrischen Verfassungsschutzes. Er stuft die VVN-BdA als linksextremistisch ein. Das verwundert nicht, da der bayrische Verfassungsschutz ein starkes Augenleiden auf dem rechten Auge zu haben scheint und überall Linksextreme wittert. Das Berliner Finanzamt machte den Entzug der Gemeinnützigkeit übrigens rückgängig, da es den Linksextremismus-Vorwurf aus Bayern als widerlegt betrachtet. Das kam aber wohl noch nicht bei allen Medien an – oder schlimmer noch: Es wird einfach ignoriert. Denn eine Vereinigung, die von Holocaust-Überlebenden gegründet wurde, ist natürlich höchst gefährlich. Sie mahnen uns schließlich, ein „We remember“ und „Nie wieder“ ernst zu nehmen und nicht nur als leere Phrasen an Gedenktagen zu begreifen. Da wird ja gerne mal ein Schild in Kameras gehalten, um kurz danach wieder verbal gegen eine antifaschistische Organisation zu schießen.
Marlene Dietrich wird der Satz zugeschrieben: „Ich bin aus Anstand Antifaschistin geworden.“ In diesem Land braucht es mehr solchen Anstand. Leider habe ich manchmal das Gefühl, so manche sind nur AntifaschistInnen, wenns grad in die Agenda passt. Und ansonsten werfen sie fleißig mit Hufeisen. Und das, obwohl die Hufeisentheorie, die besagt, dass sich links und rechts an den Rändern treffen längst widerlegt ist.
Die Empörung ist eine Gefahr für die Demokratie
Nicht dass Faeser diesen Gastbeitrag schrieb gefährdet die Demokratie und ist ein Problem, sondern die Empörung darüber ist das Problem und eine Gefahr für die Demokratie.
Meine uneingeschränkte Solidarität gilt der VVN-BdA. Solidarisch mit Faeser bin ich, was die Angriffe von rechts gegen sie betreffen. Aber uneingeschränkt solidarisch mit ihr bin ich nicht, da die Innenministerin erst kürzlich ankündigte, Frontex aufzustocken, um die Grenzen zu schützen. Dies führte freilich nicht zu einem ähnlichen Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien und der konservativen bis rechten Presse. Wir leben sowieso schon in seltsamen Zeiten, wenn Linke die Innenministerin vor Angriffen verteidigen.
Und weil man im Schlechten immer das Gute sehen soll: Die Abozahlen auf den Social-Media-Kanälen der VVN-BdA sind seit dem vergangenen Wochenende gestiegen, und neue Mitglieder sind hinzugekommen. Sie dürfen sich dann bald über die „antifa“ freuen.
Antifaschismus ist und bleibt notwendig. Gerade in einer Zeit, in der sowohl der Rechtsruck als auch der Antisemitismus zunehmen. Denn dagegen hilft nur konsequenter Antifaschismus. Ihren Gastbeitrag schließt Faeser mit der Mahnung: „(..) gegen rechtes Gedankengut, rechte Drohungen und rechte Gewalt aufzustehen. Jeden Tag und an jedem Ort.“ Dem schließe ich mich an.
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