Von Sahra Barkini – Stuttgart. In Baden-Württemberg gab es am frühen Morgen des 22. März mehrere Hausdurchsuchungen bei linken AktivistInnen in Tübingen, Villingen-Schwenningen und Stuttgart. Betroffen war auch eine Wohngemeinschaft im Linken Zentrum Lilo Herrmann (siehe „Mit Rammböcken ins Lilo eingebrochen„). Als spontane Reaktion auf die Durchsuchungen gab es am Abend auf dem Stuttgarter Marienplatz eine Kundgebung und eine Spontandemonstration zum Erwin-Schoettle-Platz. 300 Menschen zeigten ihre Solidarität mit den Betroffenen der Durchsuchungen.
„Getroffen hat es einige, gemeint sind wir alle“. Dieser Satz zog sich durch alle Redebeiträge der Kundgebung. Die Tatvorwürfe könnten unterschiedlicher nicht sein. Warum sie aber zu zeitgleichen Hausdurchsuchungen führten, schien für den Redner der Roten Hilfe klar: „Es geht nicht um die Strafverfolgung, es scheint offensichtlich egal, was auf der Strafakte steht. Es geht nur darum, die linke Bewegung zu schwächen, und dafür scheint jeder Grund gerade recht.“
Die Tatvorwürfe: Bei einigen AktivistInnen war das Landfriedensbruch und Beteiligung an der sogenannten „Stuttgarter Krawallnacht“. Anderen wurde vorgeworfen, sich an einer antifaschistischen Demonstration gegen einen „Querdenker“-Aufmarsch in Konstanz beteiligt zu haben. Dieses Vorgehen hat in Baden-Württemberg eine lange Tradition, so der Redner. Der Repressionsschlag vom 22. März sei nur ein weiterer Höhepunkt. Würde er eine vollständige Liste der momentan in Stuttgart vor Gericht Stehenden vortragen, sprengte das seine Redezeit, so der Sprecher. So nannte er nur drei aktuelle Verfahren. Acht AntifaschistInnen stünden vor Gericht, denen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen wird. Sie hätten den Auftritt von Alice Weidel im Rathaus blockiert. Im sogenannten Wasen-Verfahren wurden die Aktivisten Jo und Dy zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Derzeit läuft die Revision vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Und am Freitag sollte ursprünglich ein Berufungsprozess gegen den Kommunisten Chris stattfinden. Er wurde wegen der Teilnahme an der Silvesterdemo 2018 in Stuttgart-Stammheim erstinstanzlich zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.
Mit Repressionen wie der Durchsuchung versuche der Staat AktivistInnen einzuschüchtern und ihnen Handlungsräume zu nehmen. „Gerade in Krisenzeiten steigt der Hunger des Staates nach Feinden. Bewegungen, AktivistInnen die sich gegen den Rechtsruck und soziale Ungerechtigkeit und für Perspektiven jenseits des Kapitalismus engagieren, werden zu Feinden erklärt und mit Repressalien überzogen“, so der Redner. Mit Zusammenhalt könnten diese Angriffe ins Leere laufen.
Reaktion auf Polizeischikanen
Die ModeratorInnen der Kundgebung gingen detaillierter auf die Tatvorwürfe ein. Sie berichteten, dass laut „indymedia“ in Konstanz im Zug der Proteste gegen die „Querdenker“ auch ein Mitglied der Identitären Bewegung (IB) geoutet wurde. In der Nachbarschaft von Dominik B., er ist Ortsgruppenleiter der faschistischen IB, wurden Plakate aufgehängt und Durchsagen gemacht, um die Nachbarn darauf aufmerksam zu machen, wer in der Nachbarschaft wohnt. Dies führte nun ebenso zu Hausdurchsuchungen und auch zur DNA-Entnahme bei zwei von sieben AktivistInnen wie die angebliche Beteiligung an der „Krawallnacht“ im Juni 2020.
Diese Krawalle seien eine Reaktion auf die ständigen, rassistischen Kontrollen und Schikanen der Polizei gewesen. Im Zug dieser Ausschreitungen wurden Rufe nach „Stammbaumforschung“ laut. Man konnte in den Medien Spekulationen darüber lesen, dass es wahrscheinlich daran liege, dass die Jugendlichen einen Migrationshintergrund hätten, und der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer stellte sich vor ein entglastes Polizeifahrzeug, das extra wieder in die Innenstadt gekarrt wurde. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl kündigte an: „Wir kriegen euch alle“. PolitikerInnen forderten hohe Haftstrafen, und erste Gerichtsverfahren gab es im Schnellverfahren. Um den Jugendlichen jede Würde zu nehmen, stellte man sie barfuß dafür mit Hand- und Fußfesseln und einer Art Sack über dem Kopf vor das Gerichtsgebäude und präsentierte sie so der versammelten Presse. Mit den Gründen, auch denen es überhaupt zu diesen „Riots“ kommen konnte wollte sich freilich kaum einer beschäftigen.
Zunehmende Repression
Die RednerInnen des Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) sagten, die Repressionen nähmen zu. „Heute traf es GenossInnen aus Tübingen, Villingen-Schwenningen und Stuttgart, und im letzten Jahr waren es Lina, Findus und Dy, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements in Haft mussten. Während der Rechtsruck weiter zunimmt, Nazis und Faschisten Waffen horten und sich auf den Tag X vorbereiten, hofiert der Staat die Rechten mehr als dass er sie bekämpft.“
Der Rednerin des Aktionsbündnis 8. März zufolge solidarisiert sich das Aktionsbündnis mit den Betroffenen. Sie sprach über die Angriffe der Polizei am 8. März in Stuttgart. An den Protesten zum Frauenkampftag sollte offenbar ein Exempel statuiert werden. Die Übergriffe der Polizei und das massive Polizeiaufgebot sollte zur Einschüchterung dienen. Man werde sich aber nicht spalten lassen und es auch nicht zulassen, dass ein Keil in den gemeinsamen Protest getrieben wird (siehe auch „Gewalt gegen Frauen am Frauenkampftag„).
Spontan zum Erwin-Schoettle-Platz
Für die Rednerin der IL (Interventionistischen Linken) reihen sich die Durchsuchungen ein in eine Reihe von Repressionen gegen die linke Bewegung. Dies sei kein Zufall. Die repressive Politik der grün-schwarzen Landesregierung und der Verschärfung der Polizeigesetze werde noch von der Law & Order Politik des Stuttgarter Oberbürgermeisters Frank Nopper übertroffen. Die Polizei setze dabei, um was von Parteien an rassistischer und neoliberaler Politik vorgegeben werde. Die Repressionsbehörden in Deutschland bildeten im Kampf gegen linke und revolutionäre Bewegungen eine geschlossene Linie, so die Rednerin. Der Verfassungsschutz, der Generalbundesanwalt oder das Bundeskriminalamt gehörten zu jenen Organen des Staates, welche die Aufgabe haben, die bestehende Ordnung aufrecht zu erhalten und all diejenigen zu verfolgen, die eine Welt frei von Ausbeutung und Unterdrückung aufbauen wollen. Wo immer die herrschenden Verhältnisse in Frage gestellt werden, werde Repression die Antwort sein. Und weiter: „Wir werden dennoch auf vielfältige Weise dafür kämpfen, dass all unsere GenossInnen wieder mit uns auf der Straße sein werden heut und in Zukunft. Zentral ist jetzt, zueinander zu stehen.“
Nach der Kundgebung setzte sich eine Spontandemonstration in Bewegung. Sie führte in Richtung Erwin Schoettle-Platz und nicht, wie die bereits in Stellung gebrachten PolizeibeamtInnen wohl vermuteten, über die Tübinger Straße Richtung Innenstadt. So standen die behelmten BeamtInnen ein wenig verwirrt und ratlos herum, während die AntifaschistInnen sich mit lauten Parolen und buntem Rauch die Straßen des Stuttgarter Südens nahmen.
Video
Folge uns!