Von Walter Burkhardt – Rems-Murr-Kreis. Zum Volkstrauertag am 13. November organisierte die Kreisvereinigung Rems-Murr der VVN-BdA eine Gedenkveranstaltung an den Stätten faschistischer Gräueltaten. Die erste Station war der Friedhof in Rudersberg. Ansprachen am Gedenkstein im Henkerssteinbruch, auf dem Hermann-Schlotterbeck-Platz in Welzheim und am dortigen Bonhoeffer-Haus schlossen sich an. Dort, an der vierten und letzten Station, sprach die Landessprecherin der VVN-BdA Ilse Kestin.
Auf dem Friedhof Rudersberg, der ersten Station, wurde an der Gedenktafel für die ermordeten Frauen und Mädchen im Frauenlager Rudersberg ein Kranz niedergelegt. Bärbel Etzel-Paulsen von der VVN-BdA Rems-Murr hielt eine Gedenkrede. „Wir sind heute hier, um der Frauen, die von 1942 bis 1945 hierher verschleppt wurden, zu gedenken. In der einstigen Gaststätte ‚Ritterburg‘ richtete die Gestapo ein Arbeitserziehungslager für Frauen ein. Die Frauen wurden inhaftiert, weil sie als Zwangsarbeiterinnen gegen die Arbeitsordnung verstoßen hatten.“
Trotz Hunger Schwerstarbeit
Etzel-Paulsen schilderte, dass die Frauen aus Deutschland und verschiedenen Ländern Europas kamen und im Lager mit unzumutbaren Lebensbedingungen konfrontiert wurden. Sie mussten trotz mangelhafter Ernährung Schwerstarbeit leisten. Sie arbeiteten in Rudersberg in der Holzfabrik Horn, bei Gebrüder Mössler oder bei Bauknecht in Welzheim.
Etzel Paulsen weiter: „1944 wurden die Frauen der Widerstandsgruppe Schlotterbeck von Stuttgart nach Rudersberg gebracht und dann nach Dachau überführt, wo sie hingerichtet wurden. Das Lager in Rudersberg war Zwischenstation für das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, wohin auch Gertrud Müller aus Stuttgart überführt wurde. Es gingen auch Transporte von jüdischen Frauen ins Vernichtungslager Auschwitz … Wie viele Frauen in der gesamten Zeit kürzer oder länger hier inhaftiert wurden, ist nicht mehr auszumachen. Es waren wohl über 450.“
Sie erwähnte auch, dass der ehemalige Lagerkommandant Karl Buck, der auch für das KZ Welzheim zuständig war, als unbescholtener und angesehener Bürger bis 1978 in Rudersberg lebte. 1983 gelang es auf Betreiben der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, nach heftigen und unwürdigen Auseinandersetzungen in der Gemeinde Rudersberg die Gedenktafel endlich anzubringen. Etzel Paulsen: „Das Gedenken an die Gräueltaten und das Leiden der Frauen ist gerade in der heutigen Zeit besonders notwendig. Die Vergangenheit muss uns Mahnung sein. Wir leben heute in einer Zeit, … in der Frauen weiterhin der männlichen Gewalt ausgesetzt sind;
so werden Frauen ermordet, weil sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollen, im russisch-ukrainischen Krieg und allen anderen Kriegen werden Frauen als Kriegswaffe eingesetzt, in dem sie misshandelt, vergewaltigt und getötet werden.“
„Die Friedens- und antifaschistische Bewegung wird politisch diskriminiert“, kritisierte die Rednerin: „Die rechten Kräfte nutzen das politische Klima der Angst für ihre rassistischen … und frauenfeindlichen Parolen aus. Es ist notwendig, diesem Klima etwas entgegenzusetzen. Daher stehen wir hier und erheben unsere Stimme für eine offene, vielfältige, gewaltlose, demokratische und feministische Welt.“
Sie Schloss mit einem Gedicht eines zwölfjährigen Geflüchteten, der jetzt in Fellbach lebt:
„Gegen Rassismus ist dieses Gedicht
Welche Hautfarbe ist deine?
Auf jeden Fall hast du sie alleine
Du bist vielleicht dunkel, warum denn auch nicht?
Du bist vielleicht hell, verträgst wenig Licht
Das ist eben so, da kann man nichts machen
Was kümmern uns so nebensächliche Sachen?
Du bist trotzdem nett oder eben auch nicht
Gegen Rassismus ist dieses Gedicht
Meine Religion ist Mensch, meine Sprache ist frei
Meine Herkunft ist Erde, hier gibt’s allerlei
Die Welt ist bunt, kein Mensch ist gleich
Freiheit für alle, wertfrei ist reich!
Nazis sind ein Tunnel, ich bin das Licht
Gegen Rassismus ist dieses Gedicht“
Hingerichtet im Henkerssteinbruch
Die Gedenkrede an der zweiten Station, dem Gedenkstein am Henkerssteinbruch, hielt Walter Burkhardt vom Sprecherkreis der VVN-BdA Rems-Murr. „Wir befinden uns hier am Eingang zum sogenannten Henkerssteinbruch, der Hinrichtungsstätte des ehemaligen KZ’s Welzheim seit 1941“, sagte er. „Wir gedenken der Opfer, die von den Schergen des faschistischen Verbrecherregimes grausam misshandelt und ermordet wurden. Die Todesurteile wurden in der Regel durch Erhängen vollstreckt.
Der ehemalige Häftling Julius Schätzle schilderte die Hinrichtungen wie folgt: Die Gestapo erteilte 1941 dem Lagerleiter Hermann Eberle die Anweisung, die Exekution von polnischen Gefangenen vorzubereiten. In der Häftlingsschreinerei musste ein transportabler Galgen hergestellt werden. Der Gestapobeamte Ludwig Thumm bestimmte als Hinrichtungsort den Steinbruch bei der Bockseiche … Ohne richterliche Untersuchung und ohne ein gerichtliches Urteil wurden die Hinrichtungen vorgenommen. Ein Befehl der Geheimen Staatspolizei entschied über Leben und Tod.
Den Nationalsozialisten ging es bei diesen Morden in erster Linie darum, die Millionen Gefangenen in den Konzentrationslagern einzuschüchtern. Deshalb mussten die polnischen Zwangsarbeiter, die in der Umgebung von Welzheim beschäftigt waren, auch einzeln an den Erhängten vorbeimarschieren. In der Folgezeit beschränkten sich die Morde nicht nur auf polnische Zwangsarbeiter. Wie viele Kriegsgefangene und Zivilverschleppte dort ihren Tod fanden, lässt sich nicht mehr feststellen…
Soweit Julius Schätzle.“
Im Jahr 1997, vor 25 Jahren, wurde Burkhardt zufolge auf Initiative der VVN-BdA Rems-Murr und mit Unterstützung von deren Ehrenvorsitzenden Alfred Hausser dieser Gedenkstein von der Stadt Welzheim angebracht. 2015, zum 70. Jahrestag der Auflösung des KZ’s Welzheim, wurde der Henkerssteinbruch als Gedenkort der Stadt Welzheim in Kooperation mit dem Historischen Verein Welzheim neu und vor allem informativ gestaltet.
Walter Burkhardt weiter: „Im Zusammenhang mit der Zunahme der Rechtstendenzen in unserer Gesellschaft ein Auszug aus dem Schwur von Buchenwald, dem antifaschistischen Leitmotiv der VVN-BdA: ‚Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.‘ – Leider sind wir aktuell von diesen Zielen sehr weit entfernt. Wir dürfen uns jedoch nicht entmutigen lassen und müssen weiterhin für den Frieden kämpfen und den gewaltbereiten Faschisten von ganz rechts außen bis zu den Rechtspopulisten in der sog. Mitte der Gesellschaft konsequent entgegentreten. In diesem Sinn wehret den rechten Zuständen!“
Gedenken an das Leid der Opfer
Dieter Keller von der VVN-BdA Rems-Murr war der Gedenkredner an der dritten Station, dem Hermann-Schlotterbeck-Platz in Welzheim. Auch hier wurde an der Gedenktafel ein Kranz niedergelegt.
Dieter Keller nach seiner Begrüßung: „Nach jahrzehntelangem Ringen wurde dieser Platz in Hermann-Schlotterbeck-Platz umbenannt. Ein großartiger Erfolg. Ein würdevoller Name. Er steht stellvertretend für alle inhaftierten, geschundenen und ermordeten Opfer des KZ’s Welzheim. Ihrer wollen wir gedenken; aber Gedenken verpflichtet auch zum Handeln, denn Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“
Eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitungs- und Erinnerungsarbeit des KZ’s Welzheim und bei der Umbenennung dieses Platzes in Hermann-Schlotterbeck-Platz nehmen Dieter Keller zufolge der Historische Verein Welzheim und die VVN-BdA Rems-Murr ein. Zum 75. Jahrestag der Auflösung und Evakuierung der Häftlinge des KZ’s Welzheim am 14. April 1945 habe der Gemeinderat der Stadt Welzheim die Umbenennung beschlossen. „Dafür gebührt dem Historischen Verein und dem Gemeinderat unser herzlicher Dank“, sagte Dieter Keller. Er begrüßte Dietrich Frey und Heinrich Lindauer vom Historischen Verein und bedankte sich für ihr Engagement bei der Umbenennung des Platzes.
In seiner Gedenkrede ging Dieter Keller auch auf den langen Leidensweg von Hermann Schlotterbeck in KZ-Haft ein. Er war Mitglied der kommunistischen Stuttgarter „Widerstandsgruppe Schlotterbeck“, die schon vor 1933 gegen die Faschisten aktiv war. Als einer der Ersten wurde Hermann Schlotterbeck als 16-Jähriger im September 1935 im KZ Welzheim inhaftiert. Hier wurde er wie sein Bruder Friedrich und viele andere zehn Jahre gefoltert, gequält und brutal misshandelt. Außerdem war er der letzte Tote des KZ’s Welzheim.
Dieter Keller erinnerte auch an Friedrich Schlotterbeck, der als einziger der Widerstandsgruppe Schlotterbeck die Nazi-Tyrannei überlebte.
„Im Juni 1945 kehrte er ins Haus der Familie Schlotterbeck in die Annastraße in Stuttgart-Luginsland zurück. Im Juli 1945 beschrieb er bewegend und aufwühlend in seiner Broschüre ‚Wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet‘ die Ausrottung seiner Familie …“ Seine unmenschlichen Haftbedingungen und die Vernichtung seiner Familie und seiner Freunde verarbeitete er in seinen autobiographischen Erinnerungen 1945 in „Je dunkler die Nacht desto heller leuchten die Sterne“, so Dieter Keller.
Dieter Keller ging in seiner Rede auch kritisch auf den Ukraine-Krieg ein. „Wir sind gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ebenso wie nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten, welche einen barbarischen Krieg im Jemen führen“, so Keller. Seine Forderungen: „Wir wollen die Beendigung des Krieges mit friedlichen Mitteln. Her muss eine diplomatische Lösung. Wir wollen Frieden schaffen ohne Waffen! Abrüstung statt Aufrüstung! Notwendig sind Investitionen in lebenswichtige Bereiche wie Gesundheitssystem, Bildung, Energie und Klimawende!“
Keine Rechtfertigung für Krieg
Vierte und letzte Station des Gedenkens war das Bonhoeffer-Haus in Welzheim, wo die Stadt Welzheim eine Veranstaltung abhielt. Die Landessprecherin der VVN-BdA Ilse Kestin hielt eine Gedenkrede. Danach wurde auf dem Friedhof ein Kranz am Denkmal für die Opfer des KZ’s Welzheim abgelegt.
Ilse Kestin: „Als Opferorganisation haben wir es uns seit dem Ende des Hitlerfaschismus zur Aufgabe gemacht, gegen das Vergessen und für eine bessere Welt einzutreten.
… In Zusammenarbeit mit der Stadt Welzheim, der VVN-BdA Rems-Murr und dem Historischen Verein Welzheim ist es uns gelungen, den ehemaligen Bauknecht-Platz in Hermann-Schlotterbeck-Platz, einem der letzten Opfer des Nazismus umzubenennen.“
In Bezug auf den völkerrechtswidrigen Krieg Putins gegen die Ukraine betonte Ilse Kestin, dass dies kein Krieg des russischen Volkes gegen die Ukraine, sondern ein Krieg Putins und seiner Entourage sei. Aus Sicht Kestins gibt es keine Rechtfertigung und Begründung für Kriege. „Die VVN-BdA kämpft seit ihrer Gründung seit nunmehr 75 Jahren für eine bessere, friedlichere Welt. Mit den Erfahrungen aus dem Faschismus konnte es für unsere Gründer nur eins geben: Nie wieder Krieg!“, erklärte sie.
Ilse Kestin weiter: „Abgesehen von der Energiekrise und der Inflation …, können wir weitreichende politische Weichenstellungen für die Zukunft sehen. Die NATO wird erweitert, weltweit werden die sogenannten Verteidigungsausgaben aufgestockt. In Deutschland sind es eben mal 100 Milliarden Euro, die als Sondervermögen in die Rüstung und die Ausstattung der Bundeswehr fließen sollen …Und Deutschland will in der Verteidigung Europas eine führende Rolle einnehmen und und und …, die Liste lässt sich endlos fortsetzen.“
Dabei wäre es der Rednerin zufolge ein Gebot der Stunde, alles zu tun, um Friedensverhandlungen zwischen den Kriegsparteien zu ermöglichen. „Wir fordern Deeskalation, Friedensgespräche und völkerverständigende Anstrengungen, besonders von der Bundesregierung. Es ist unsere historische Aufgabe, für Frieden uns Abrüstung in Europa zu sorgen!“, so Kestin: „Als VVN-BdA gedenken wir nicht nur der Kriegstoten, sondern auch und vor allem der Opfer von Gewaltherrschaft und Nazismus. Wir wollen ein Zeichen setzen gegen Rassismus, Völkerhass, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir übernehmen Verantwortung für die Gestaltung einer freien, demokratischen, sozialen und gerechten Gesellschaft, vor allem auch durch unser Engagement gegen rechts. Notwendig ist aber auch hier eine Politik, die die Konsequenzen aus dem Gedenken und den historischen Erfahrungen zieht und eine Wiederholung der Ereignisse des Faschismus unmöglich macht!
Die Grenze zwischen Revanchismus und gewalttätigem Rechtsradikalismus ist bereits gefallen. Die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, die Angriffe auf Flüchtlinge und Juden, die Schändungen jüdischer Friedhöfe und unserer antifaschistischen Denkmale sprechen ihre eigene Sprache. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“
Am Ende der Veranstaltung zogen die TeilnehmerInnen noch gemeinsam zu den beiden Gedenkstätten auf dem Friedhof. Dort wurden Kränze der VVN-BdA und der Stadt Welzheim niedergelegt.
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