Von Sahra Barkini – Stuttgart. Bereits zum fünften Mal rief Mission Trans am 2. September zur Trans*Pride nach Stuttgart. An der Demonstration mit anschließender Kundgebung für das Recht auf Selbstbestimmung und Gleichstellung nahmen etwa 400 Menschen teil. In einer Gedenkminute und mit einer extra Gedenkaktion wurde auch an Malte C. erinnert, der nach dem CSD in Münster Opfer einer tödlichen Attacke wurde, nachdem er sich für ein lesbisches Paar eingesetzt hatte.
Der Tag startete auf dem Schlossplatz. Dort fand nach der Demonstration auch die eigentliche Kundgebung statt. An Infoständen konnten sich die Teilnehmer*innen mit allerlei Infomaterial eindecken. Schirmfrau der diesjährigen Trans*Pride war Anastasia Biefang. Sie ist Oberstleutnant der Luftwaffe (die Bundeswehr unterscheidet nicht nach Geschlecht, Anmerkung der Redaktion). Für das musikalische Programm sorgte Saphira. „Queer & Revolutionär“ erinnerten nach der Demonstration abseits der Kundgebungsfläche an den Freitreppen an Malte C.
„Wir sind keine Gefahr, wir sind in Gefahr“
Der bunte Demonstrationszug wurde angeführt von der Schmetterlingsformation. Auf Schildern stand unter anderem: „Our Pride is never over“, „No LGBT without the T“, „Trans rights are human rights“, „My life, My voice fck TSG“, „Protect Trans Lives“, „Who Protect me?“, „Wir sind keine Gefahr, wir sind in Gefahr“.
Während der Demonstration gab es unschöne Reaktionen von Passant*innen. So wurden mehrfach Mittelfinger gezeigt. Einer Flyerverteilerin wurde gesagt man wolle den Flyer nicht, denn es sei ansteckend. Am Rotebühlplatz, dem eigentlichen Ort der Zwischenkundgebung, stand eine Gruppe „Jesus kommt bald“-Menschen. Sie versuchten, die Kundgebung zu stören. Es gab Diskussionen. Die Demonstration zog dann ohne größere Zwischenkundgebung weiter.
Vor dem neuen Schloss wurden das obligatorische Gruppenbild aufgenommen und eine Schweigeminute für Malte C. eingelegt, bevor es weiter Richtung Schlossplatz ging. Die Kundgebungs-Redner*innen kritisierten unter anderem das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG). Das umfassende Programm bot viel Information. So ging es in einer Rede um trans* und Arbeit. Auch Künstlerisches kam nicht zu kurz. Unter anderem begeisterten SirDan Manhattan und Startruck Darkness mit einer Drag-Show. Janboris Rätz erzählte in einer kurzen Rede, Prides seien Riots, und die müssten weh tun. Deshalb läuft Rätz die Prides auf 21 Zentimeter hohen Absätzen.
„Gedenken heißt Kämpfen“
Die Zeit vor der eigentlichen Kundgebung nutzte „Queer & Revolutionär“ für die Gedenkaktion bei den Freitreppen. Auf zwei Tapeten stand „Malte unsterblich“. Dazu konnten die Menschen eigene Gedanken aufschreiben, zum Beispiel: „Gedenken heißt Kämpfen“, „Never forget“, „Protect Trans Lives“, „Die Erinnerung bleibt“. In einer Rede wurde sowohl an Malte erinnert als auch die Gefahr des aktuellen Rechtsrucks in Deutschland und der Welt nicht außer Acht gelassen (siehe unten).
Die Kundgebung eröffnete dann Schirmherrin Biefang. Auch Janka Kluge sprach auf der Bühne unter anderem über das SBGG und den Rechtsruck. Kluge betonte, es sei wichtig, an diesem Tag nicht nur zu feiern sondern auch zu erinnern. Daran zu erinnern, dass es Gewalt gegen trans Menschen, lesbische Frauen und schwule Männer gibt. Es vergehe keine Woche ohne Meldungen über Angriffe auf queere Personen weil sie, er, they/them lackierte Fingernägel hatte, einen Rock trug oder anders aussah oder sich anders gab.
Janka Kluge: „Nicht in meinem Namen“
Ins SBGG hatte Kluge viel Hoffnung gesetzt. Doch am Tag als, es durchs Kabinett gebracht wurde, schrieb sie auf Twitter: „Das ist heut ein bitterer Tag für mich.“ Sie hatte sich jahrelang auf unterschiedlichen Ebenen für ein solches Gesetz eingesetzt. Doch zu dem jetzt vorliegenden Entwurf sagt sie: „Nicht in meinem Namen. Nicht in meinem Namen sollen die Daten von trans Menschen an den Verfassungsschutz weitergegeben werden, nicht in meinem Namen sollen die Daten von trans Menschen an die Landeskriminalämter weitergegeben werden.“
Das Offenbarungsverbot sieht sie dagegen positiv. Für Kluge war es wichtig zu betonen, dass die Community gegen Angriffe von Rechten auf trans Kinder zusammen halten muss. Das alle sagen: „Auch ich war ein trans Kind.“ Sie stellte sich auch ganz klar gegen die rechte Hetze der Nazis, der AfD oder anderer rechter Akteure. Kluge sagte: „Es ist wichtig, dass wir ganz genau schauen, wo sind eigentlich unsere Feinde, und es ist wichtig, dass wir uns mit denen verbünden, die mit uns gemeinsam gegen unsere Feinde kämpfen.“ Kluge betonte, sie sei seit vierzig Jahren als trans Aktivistin unterwegs, und genauso lang sei sie Antifaschistin: „Genausolang geh ich auf Demos zuerst gegen die Republikaner, dann gegen die AfD, zwischendurch gegen die Identitären und die Demo für Alle.“ Sie sagte, die Demo für Alle habe man unterschätzt. Das dürfe nicht nochmal passieren, deshalb müsse man zusammenhalten: „Wir müssen lernen, dass wir uns aufeinander verlassen müssen im Kampf gegen Rechts.“
Den Rechten die Stirn bieten: „Alerta, Alerta Antifascista“
Janka Kluge befürchtet, dass die Demo für Alle wieder zurück auf die Straßen kommt. Und dann „müssen wir stark sein, dann müssen wir viele sein, zusammenhalten und diesen Rechten die Stirn bieten. Weil uns gehört das Leben und die Rechten von gestern und vorvorgestern gehören von der Straße gefegt. Und deswegen ist es mir wichtig nicht nur zu sagen, hoffentlich kriegen wir noch ein besseres SBGG als das, was jetzt in den Bundestag kommt, sondern es ist mir aus meiner Geschichte heraus ganz wichtig, auch zu sagen: Alerta Antifascista!“ Ihre Parole beantworteten die Kundgebungsteilnehmer*innen mit Applaus und lautem „Alerta, Alerta Antifascista“. Dies war von Janka Kluge wohl auch eine Reaktion auf das Orga-Team, das antifaschistische Parolen während der Demonstration als unerwünscht erklärt und dies mit fadenscheinigen Argumenten zu rechtfertigen versucht hatte.
Kommentar von Sahra Barkini: Eher nur ein Spaziergang
„Leider wirkte die Demonstration auf außenstehende Betrachter*innen teilweise wie eine Art Spaziergang weit entfernt von Riot. Wobei Riot nicht gleichbedeutend mit einer Straßenschlacht verstanden werden soll. Sondern eher als kämpferisch, denn es geht ja um etwas: Um das Recht, selbstbestimmt und sichtbar zu leben. Gespräche auch mit Menschen aus der Community zeigten, dass dies nicht nur mein subjektiver Eindruck war. Schade, dass es offenbar mehr um Party als um politische Inhalte geht. Einzig eine Gruppe versuchte, mit politischen Parolen das Augenmerk darauf zu lenken, dass diese Pride eben nicht nur Spaß ist. So skandierte sie: „No Border, no Nation – queer/trans Liberation“.
Das Organisator*innen Team hatte Schwierigkeiten mit antifaschistischen Parolen. Sie waren nicht erwünscht. Es fielen Sätze wie: „Ich bin selbst Antifaschist, aber …“. Richtigerweise müsste der Satz: „Ich bin Antifaschist!“ lauten. Warum man sich von „Siamo tutti antifascisti“ (Wir sind alles Antifaschisten) gestört fühlt, während auch das Grundgesetz antifaschistisch ist, erschloss sich nicht nur mir nicht. Die Gruppe ließ sich auch nicht von ihren Parolen abbringen und skandierte: „Wir sind hier, wir bleiben da, wir sind queer und Antifa“. Es ist an der Zeit zu verstehen, wer Freund und wer Feind ist. Und eines ist klar Antifaschist*innen sind keine Feinde!“
Die Rede von „Queer&Revolutionär“ im Wortlaut:
„Liebe Menschen, liebe Antifaschist:innen, liebe Genoss:innen,
Heute vor einem Jahr wurde Malte C. aus dem Leben gerissen – für die Tat, er selbst zu sein, und für andere einzustehen, die das auch taten. Er verteidigte ein lesbisches Paar, das nach dem CSD in Münster queerfeindlich angegangen wurde. Dafür wurde er getötet. Dieser Mord reiht sich ein in immer mehr Angriffe auf queere Menschen, ganz besonders nach CSD’s. Malte ist damit nur die Speerspitze eines gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks, der sich queere Menschen und besonders trans Menschen als Sündenbock auserkoren hat. Zu beobachten ist diese Entwicklung besonders in den USA, wo allein dieses Jahr über 500 Anti-trans-Gesetze von den Staaten und der Regierung vorgestellt wurden. Fast 400 davon sind schon in Kraft.
Proud boys und andere rechtsextreme Gruppen marschieren ungestört durch haufenweise amerikanische Städte und erhalten mehr und mehr Zuspruch von „liberalen und konservativen“ und christlichen Kräften. Allerdings beschränkt sich das nicht nur auf die USA. Eine Abordnung der CSU war Anfang des Jahres sogar selbst beim rechten Scharfmacher Ron DeSantis zu Besuch, um sich höchstpersönlich von ihm beraten zu lassen. In Italien stellt ein rechtspopulistisches Bündnis die Regierung, auch in Österreich haben reaktionäre Kräfte in den letzten Jahren wieder starken Zufluss bekommen, und die AfD ist zweitstärkste Kraft in Deutschland. Die AfD, die mit Björn Höcke einen Faschisten an der (ideologischen-) Spitze hat, die Tag um Tag beweist, dass ihr die Interessen der Arbeiter:innen, insbesondere queerer Menschen absolut am Arsch vorbei gehen.
Was heißt das jetzt aber für uns? Es heißt für uns, dass die Zeiten nicht einfacher werden und dass wir darauf reagieren müssen. Wir müssen uns organisieren, in queeren Gruppen, in antifaschistischen Gruppen, wir müssen queeren Selbstschutz aufbauen! Es reicht nicht, auf die Bullen oder andere staatlichen Behörden zu vertrauen, diese haben auch schon zu Genüge bewiesen, dass sie nicht in unserem Interesse handeln: Und schlussendlich müssen wir tun, was Malte getan hat: In und außerhalb unserer Organisierung kämpfen gegen Diskriminierung, für unsere Rechte, für eine bessere Welt!“
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