Tübingen. Im Januar legte eine Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen ihren Abschlussbericht vor. Darin wird auch die Sozialistin, Antifaschistin und Kriegsgegnerin Clara Zetkin als „kritikwürdig“ eingeordnet. Kommission und Stadtverwaltung empfehlen, die Tübinger Clara-Zetkin-Straße mit einer entsprechenden Markierung zu versehen. Am Donnerstag, 26. Oktober, entscheidet der Gemeinderat. Vor der Sitzung wird es um 16 Uhr eine antifaschistische Kundgebung auf dem Marktplatz geben.
Die Stadt Tübingen kennzeichnet Straßen, deren Namensgeber Faschisten, Kriegs- und Kolonialverbrecher waren, mit entsprechenden Markierungen, „Knoten“ aus dem 3D-Drucker. Geht es nach einer siebenköpfigen Historiker-Kommission und dem Kulturamt der Stadt, soll auch die Clara-Zetkin-Straße einen solchen Knoten bekommen. Bei zwei Straßen, die nach NSDAP-Mitgliedern benannt sind, wird hingegen empfohlen, bereits angebrachte Knoten kommentarlos wieder zu entfernen. Als Gründe, weshalb Zetkin im Stadtbild in eine Reihe gestellt werden soll mit den Faschisten, gegen die sie angekämpft hat, nannte die Kommission in ihrem Abschlussbericht „Mitwirkung an Justizverbrechen“ und „Demokratiefeindlichkeit“.
Das sorgte schnell für Protest: Schon Anfang des Jahres gründete sich das Aktionsbündnis „Kein Knoten für Zetkin“, das inzwischen von über 25 linken, antifaschistischen, antimilitaristischen und feministischen Organisationen unterstützt wird. Zunächst überprüfte das Bündnis die Behauptungen über Zetkin, die sich im Bericht der Kommission finden. Seine Rechercheergebnisse bündelte es in einem Fact Sheet, das auf der Website des Bündnisses keinknoten.wordpress.com abrufbar ist. Das Fazit lautet: „Die Kommission hat, was Zetkin angeht, historisch und wissenschaftlich nicht korrekt gearbeitet. Die Behauptungen, die sie gegen Zetkin anführt, sind teilweise objektiv falsch und lassen sich so- gar mit den Quellen, die die Kommission selbst angeführt hat, widerlegen.“ Der Gemeinderat sollte, so das Bündnis, der Empfehlung der Kommission in Bezug auf die Clara-Zetkin-Straße nicht folgen. Inzwischen hat auch die Geschichtswerkstatt Tübingen die Vorwürfe überprüft und sich der Argumentation des Bündnisses angeschlossen. Kommission und Kulturamt halten dennoch an ihrer Empfehlung fest.
In den letzten Monaten fand eine ganze Reihe an Veranstaltungen und Aktionen zum Thema statt. Zum 90. Todestag Zetkins im Juni gab es eine Aktionswoche. Im August wurden in der Tübinger Neckargasse, wo Zetkin sich 1919 mehrere Tage lang verstecken musste, da Rechtsradikale einen Mordanschlag auf die geplant hatten, Gedenktafeln angebracht. Eine Vielzahl an Initiativen und Organisationen bezogen Stellung. Dass ausgerechnet die Antifaschistin und Kriegsgegnerin Zetkin mit den Rechten, die ihr nach dem Leben trachteten, auf eine Bewertungsstufe gestellt werden soll, wollen sie nicht akzeptieren – gerade in Zeiten des Rechtsrucks und der Militarisierung. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die das Bündnis unterstützt, spricht von einer überaus gefährlichen Form des Geschichtsrevisionismus. Überregional wurde die Auseinandersetzung in Tübingen in der Presse thematisiert. Die Tübinger Lokalzeitung Schwäbisches Tagblatt schrieb kürzlich, dass Clara Zetkin durch den Protest „innerhalb kürzester Zeit zur bekanntesten Namensgeberin einer Tübinger Straße avancierte“.
Nun soll am Donnerstag, 26. Oktober, die Entscheidung stattfinden. Ab 16 Uhr wird es auf dem Marktplatz in Tübingen eine Kundgebung mit Redebeiträgen verschiedener Organisationen, die das Bündnis unterstützen, geben. Danach findet ab 17 Uhr die öffentliche Gemeinderatssitzung im Rathaus statt. Von der Sitzung wird es auch einen Livestream geben.
Mehr Informationen zur Kundgebung, das Fact Sheet, eine Chronologie der bisherigen Ereignisse, Fotos und Presseberichte unter keinknoten.wordpress.com.
Alle Fotos: Aktionsbündnis „Kein Knoten für Zetkin“
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