Von Julian Rettig – Heidelberg. Die rechte Bewegung „Steh auf für Deutschland“ scheiterte am Samstag, 24. Oktober, mit dem Versuch in Heidelberg Fuß zu fassen. Nicht einmal 25 SympathisantInnen kamen zu ihrer Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Protestveranstaltung von „Keine Chance für Nazis in Heidelberg“ hatte dagegen gut 2000 BesucherInnen. Besonders die Einigkeit unter den GegendemonstrantInnen dominierte den ganzen Tag über.
Als Anlaufpunkt für den Gegenprotest war ab 12 Uhr auf der Wiese zwischen der Lessingstraße und dem Kuhrfürstendamm in Sichtweite zum Bahnhofsvorplatz eine Kundgebung angemeldet. Lange bevor die ersten Rechten die Stadt betreten hatten, sprachen dort neun Vertreter der etablierten Parteien (außer der AfD), der lokalen Flüchtlingshilfe sowie aus dem gewerkschaftlichen, antifaschistischen und kulturellen Spektrum.
Ohne Ausnahme forderten sie ein gemeinsames Vorgehen beim Protest. Alexander Föhr, der für die CDU auf der Bühne stand, sagte mit deutlichen Worten: „Wir stehen hier, weil es unser Ziel ist, Menschen, die vor Krieg, Tod und Gewalt über hunderte oder tausende Kilometer zu uns geflohen sind aufzunehmen und es eine Schande ist, wenn Flüchtlingsunterkünfte brennen. Und vor allem, weil Rassismus und Faschismus in dieser Welt nie etwas verbessert habe.“ Von der sonst üblichen Extremismus-Rhetorik in den Kreisen der CDU war nichts zu spüren. Ein weiterer Programmpunkt der Kundgebung war die musikalische Begleitung von Chaoze One und Mal Élevé (Irie Révoltés).
Als die Anhänger von „Steh auf Deutschland“ gegen 14 Uhr die Bahnhofshalle verließen, um zu ihrer Veranstaltung auf dem Vorplatz zu gelangen, waren die GegendemonstrantInnen von dem bekannten Antifaschisten Michael Csaszkóczy mit den Worten „Nicht die Polizei wird die Nazis daran hindern, durch unsere Städte zu marschieren, sondern unser gemeinsamer Widerstand“ eingestimmt worden. Seine Aufforderung „Sorgen wir dafür, dass den Nazis dieser Tag in Heidelberg nicht in guter Erinnerung bleibt“ wurde ab diesem Zeitpunkt in die Tat umgesetzt. Rund um den weitläufig abgesperrten Vorplatz hatten sich Menschen mit und ohne Transparente oder sonstigen Hilfsmitteln aufgestellt, um die Rechten zu übertönen und sie nicht willkommen zu heißen.
Die wenigen Rechten verfügten allerdings auch so über eine kaum wahrnehmbare Außenwirkung. Ihre Transparente und Schilder waren hinter den Absperrungen so gut wie nicht zu erkennen, ihre Sprechchöre sehr spärlich gesät. Als der NPD Funktionär Jan Jaeschke mit einem Megaphon eine Rede hielt, war selbst in unmittelbar Nähe nicht zu vernehmen. Was er sagte, hatten somit höchstens die anderen Rechten auf dem Bahnhofsvorplatz verstanden, die zum großen Teil offenbar ohnehin aus dem Kargida-Umfeld kamen.
Dieses, aus Sicht der Rechten, desaströse Trauerspiel fand letztendlich mit der Bahn nach nicht einmal zwei Stunden ein Ende. In Richtung Bruchsal/Karlsruhe mussten die Rechten unter Polizeischutz zum Zug begleitet werden.
Interview mit Mal Élevé (Irie Révoltés).
Die Rede der Antifaschistischen Initiative Heidelberg im Wortlaut:
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,
fast 600 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte zählt das BKA allein in den letzten zehn Monaten. Das bedeutet im Schnitt: Jeden Tag werden in Deutschland mindestens zwei Anschläge auf Gebäude verübt, in denen Schutzsuchende vor Hunger, Krieg und Verfolgung ein Dach über dem Kopf gefunden haben oder finden sollten.
Der Verfassungsschutz hat all diese Monate hindurch beschwichtigt: Bei all den Hogesa- und Pegida-Aufmärschen sei kein maßgeblicher rechter Einfluss zu erkennen. Nun mag die geistige Nähe zu diesem Milieu so manchen Schlapphut verblendet haben. Ganz so blöd ist der Inlandsgeheimdienst allerdings nun auch wieder nicht. Vor ein paar Tagen wurde öffentlich: In Gestalt des Hammerskins Roland Sokol war der baden-württembergische Verfassungsschutz mit einem V-Mann maßgeblich an der Gründung von Hogesa beteiligt.
Die Hammerskins sind der gewalttätigste und radikalste Teil der Nazibewegung und eng verbunden mit dem Terrornetzwerk des NSU. Auch die Existenz der Hammerskins in Baden-Württemberg hat der Geheimdienst hartnäckig geleugnet und war doch selbst in deren Führungsebene präsent. Rückendeckung erhält er immer noch von der grün-roten Regierung und insbesondere von SPD-Innenminister Reinhold Gall.
Jetzt trägt dieses Engagement des Verfassungsschutzes Früchte. Jede Nacht brennen Unterkünfte – am Mittwoch zum Beispiel in Ludwigshafen –, Flüchtlinge können sich ihres Lebens nicht mehr sicher sein und Regierungsparteien aller Couleur kochen auf den Bränden ihr trübes Süppchen.
Die Grünen erklären mal eben den gesamten Balkan zum sicheren Herkunftsland, die CSU setzt sich mit ihrer Forderung nach bewachten Lagern an den Grenzen durch. Der Tübinger OB Boris Palmer fordert den Einsatz von Militär zur Flüchtlingsabwehr an den deutschen Grenzen und Angela Merkel stärkt dem autoritären Regime in Ankara den Rücken im Tausch gegen das Versprechen, Deutschland die Flüchtlingsströme vom Hals zu halten.
Es ist keine falsche Parallele, wenn man sich an 1992 erinnert fühlt. Im Schein der brennenden Flüchtlingsheime wurde damals das Asylrecht faktisch abgeschafft. Sprecher des brandschatzenden Mobs vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock war damals übrigens der V-Mann des Verfassungsschutzes Norbert Weidner. Heute ist er Funktionär der Deutschen Burschenschaft.
Heute brennen wieder Flüchtlingsunterkünfte und diesmal sollen die Überreste des Asylrechts geschleift und dafür gesorgt werden, dass schon der Rechtsweg zu einem Antrag faktisch unmöglich gemacht wird. Und wieder hat der Verfassungsschutz seine Hand an der Lunte und hält den Nazis den Rücken frei.
Wenn wir heute gegen die Rassisten und Fremdenhasser auf die Straße gehen, dann erteilen wir auch all denen eine Absage, die aus der faschistischen Hetze politisches Kapital schlagen wollen. Wir sagen ganz deutlich: Deutschland hat kein Flüchtlingsproblem. Dieses Land hat ein Naziproblem.
Es ist gut, dass wir heute hier so viele sind. Noch besser ist es, dass so viele erkannt haben, dass wir uns beim Kampf gegen den Faschismus nicht auf Staat und Politik verlassen können und werden. Wir alle sind gefragt, wenn es darum geht, den Nazis klarzumachen, dass sie NICHT die Stimme der schweigenden Mehrheit sind.
Nicht die Polizei wird die Nazis daran hindern, durch unsere Städte zu marschieren, sondern unser gemeinsamer Widerstand. Wenn wir genügend Menschen sind, die sich den Nazis entgegenstellen, dann muss ihre dumpfe Hetze auch heute wieder vor unserem Widerstand und unserem zivilen Ungehorsam kapitulieren. Wir werden am 21.11. in Weinheim wieder Gelegenheit haben, das unter Beweis zu stellen, wenn die NPD in Weinheim ihren Bundesparteitag abhalten will.
Sorgen wir dafür, dass den Nazis dieser Tag in Heidelberg nicht in guter Erinnerung bleibt. Keinen Fußbreit den Nazis! Nicht in Heidelberg und auch nicht sonstwo!
Eindrücke von dem Auftritt von Chaoze One und Mal Élevé (Irie Révoltés).
Weitere Eindrücke vom Tag
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