Von Alfred Denzinger – Rudersberg/Wiesbaden. Das Bundespresseamt entzog 32 Journalisten beim G 20-Gipfel in Hamburg die bereits zugesagte Akkreditierung (wir berichteten) – unter anderem mir. Lapidare Erklärung: Das BKA (Bundeskriminalamt) habe Sicherheitsbedenken. Jetzt gab das BKA endlich Auskunft über Details. Mit Schreiben vom 22. August teilte es mit, welche Einträge zum Entzug meiner Akkreditierung geführt haben sollen. Auf sechs Seiten listet die Behörde über mich gespeicherte Daten auf. Diese Auflistung könnte auch den Titel „Münchhausen-Datei“ tragen. Von Halbwahrheiten über belanglose Bespitzelungen bis hin zu absoluten Unwahrheiten ist alles vertreten. Nicht auszudenken, wenn die Polizei immer so arbeitet!
Vorab: Unter all den „Vorwürfen“ und Unterstellungen ohne Anklage, ohne Urteil und ohne Beweis gibt es auch eine einzelne Straftat: Über einen Strafbefehl musste ich 500 Euro zahlen. Ich soll als Pressevertreter in Weilheim/Teck einen Polizeibeamten beleidigt haben. Ich habe das immer bestritten. Aber selbst wenn es die Wahrheit wäre: Es wäre sicher kein sicherheitsrelevanter Grund, mich als Pressevertreter vom G20-Gipfel auszuschließen. Hatten die Sicherheitsleute Angst davor, dass ich Trump, Erdogan oder Merkel beleidigen könnte, und die dann vor Schreck tot umfallen?
Ich finde es absolut skandalös, wie ich hier als Person diffamiert werde und wie mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit umgegangen wird. Hier wird ein ganzer Berufsstand bedroht. Wer schützt uns vor diesen Feinden unserer Grundrechte? Ein weiterer Gedanke bei der Durchsicht der merkwürdigen Datei: Wenn ich für so eine grottenschlechte und schlampige Arbeit verantwortlich gezeichnet hätte, würde ich mich zu Tode schämen. Als Arbeitgeber würde ich die verantwortlichen MitarbeiterInnen wegen erwiesener Unfähigkeit sofort entlassen.
Ich fordere das BKA dazu auf, diese Datensammlung zu löschen.
Es fängt mit einem Eintrag aus dem Jahr 2010 an. Am 26. Februar 2010 gab es Übergriffe von Neonazis auf Teilnehmer einer Mahnwache gegen Neonazi-Aktivitäten in der „Linde“ in Schorndorf-Weiler. Ich war als Mitglied des gemeinnützigen Vereins „Weiler schaut hin“ vor Ort, nicht als Journalist. Neonazis versuchten, die angemeldete Versammlung gewaltsam zu verhindern. Ich wurde körperlich angegriffen, beleidigt und beschimpft. Die Neonazis beschädigten Gegenstände des Vereins. Ich verständigte die Polizei und stellte Strafantrag gegen zwei Neonazis. Im Gegenzug zeigte mich einer von ihnen, Nicki O., wegen Beleidigung an. Diese Anzeige hat die Polizei über mich bis heute gespeichert.
Von Neonazis angegriffen – als Beleidiger gespeichert
Dabei zog O.s Verteidiger den Strafantrag später zurück. Die Staatsanwältin stellte das Ermittlungsverfahren gegen mich ein. Nicki O. wurde im Februar 2011 wegen diesem Vorfall angeklagt. Wegen Beleidigung in mehreren Fällen und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz wurde er zu fünf Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Ein weiterer Mahnwachen-Angreifer, Michael W., erhielt fünf Monate auf Bewährung und 1000 Euro Geldstrafe. Beide hatten ein Geständnis in allen Punkten abgelegt.
Weshalb speichert die Polizei die zurückgezogene und von der Staatsanwaltschaft niedergeschlagene Anzeige eines verurteilten neonazistischen Straftäters aus dem Jahr 2010 wegen Beleidigung gegen mich und stuft mich als „Straftäter linksmotiviert“ ein?
Bin ich ein „Gemeinschädling“?
Ähnlich kurios ist ein Eintrag aus dem Jahr 2011. Ich dokumentierte am 4. Juni als Journalist ein Ereignis im offenen Innenhof der Piusbruderschaft in Stuttgart. Der Hausherr erstattete Anzeige gegen die Demonstranten wegen Hausfriedensbruchs. Obwohl der Leiter der Piusbrüder die anwesenden Pressevertreter bei der Polizei ausdrücklich ausgenommen hatte, nahm der Einsatzleiter auch vier Journalisten fest. Wenige Tage danach stellte ich einen Strafantrag gegen ihn wegen Nötigung und Freiheitsberaubung. Ich wurde zur Vernehmung wegen Hausfriedensbruchs vorgeladen.
Als die Staatsanwaltschaft feststellte, dass ich mich als Journalist auf einem offenen Kirchplatz aufgehalten hatte, stellte sie das Ermittlungsverfahren ohne Auflagen ein. Dennoch speichert die Polizei auch diesen Vorfall bis heute – und mehr noch: Sie führt in meiner Akte Delikte auf, die mir nie auch nur vorgeworfen wurden: „Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Gemeinschädliche Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Versammlungsgesetz“ – was Letzteres auch immer bedeuten soll. Die Sammlung liest sich wie schnell dahingeschriebene Notizen eines übereifrigen Einsatzleiters über einen für ihn denkwürdigen Tag. Mit mir hat diese Aufzählung jedoch nichts zu tun. Die Ermittlungen gegen mich wegen Hausfriedensbruchs wurden wie gesagt eingestellt, andere Vorwürfe nicht erhoben.
Polizist wird handgreiflich – ich soll ein Beleidiger sein
Eintrag Nummer drei betrifft den 9. August 2015. Ich fuhr nach Weilheim/Teck, um über eine angekündigte NPD-Kundgebung zu berichten. Bevor ich die Redaktion verließ, rief ich im Polizeipräsidium Reutlingen an, meldete mich mit Namen als Journalist der Beobachter News und bat um Auskunft. Der Beamte am Telefon behauptete, es liege zwar eine Anmeldung der NPD vor, aber man wisse im Polizeipräsidium nichts über den genauen Ort. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Vor Ort in Weilheim ein ähnliches Spiel. Mein Kollege Andreas Scheffel und ich sprachen gleich nach unserem Eintreffen zwei Streifenbeamte an. Wir zeigten ihnen unseren Presseausweis und baten um Auskunft darüber, wo die NPD-Kundgebung stattfinden solle. Es kam fast wörtlich die gleiche Antwort wie vom Polizeipräsidium: Man wisse zwar, dass eine Anmeldung der NPD vorliege, hätte aber keine Kenntnisse darüber, wo sie stattfinden soll.
Wir fanden den Kundgebungsplatz schließlich selbst, interviewten auch vor den Augen der Polizei den Weilheimer Bürgermeister. Dennoch behauptete die Polizei später, ich wäre als „Veranstaltungsteilnehmer“ vor Ort gewesen und ich hätte „diverse Absperrmaßnahmen der Polizei“ zu durchbrechen versucht, „um auf NPD-Anhänger einwirken zu können“.
Träfe das zu, hätte ich sicher mehrere einschlägige Ermittlungsverfahren bekommen. Habe ich aber nicht. Es ist frei erfunden. Vielmehr ging mich ein Polizeibeamter körperlich an, als ich fotografierte. Er griff mir an den Hals. Offensichtlich wollte man verhindern, dass ich Polizeigewalt dokumentiere. Hatte man es doch geschafft, die NPD-Kundgebung weitestgehend geheim zu halten, wir waren die einzigen Pressevertreter vor Ort.
Ein Polizist zeigte mich schließlich wegen Beleidigung an. In der Datensammlung der Polizei ist gleich von mehreren beleidigten Beamten die Rede. Der Vorwurf trifft nach meiner Erinnerung nicht zu. Da jedoch mehrere Beamte nahezu gleichlautend aussagten und Polizisten bekanntlich nicht irren können, sah ich keine andere Möglichkeit, als den Strafbefehl über 500 Euro wegen Beleidigung zu akzeptieren (siehe hierzu http://www.beobachternews.de/2015/08/09/npd-bleibt-ohne-aussenwirkung/).
Kamerascheue Polizisten – Staatsanwaltschaft klemmt
Wegen eines Fotos, das wir veröffentlichten, sahen mehrere Polizisten ihr Recht am eigenen Bild verletzt und erstatteten Strafanzeige. Deshalb taucht in der Polizei-Datei auch ein Verstoß gegen das Kunsturheberrechtsgesetz auf (das Foto befindet sich u.a. in diesem Bericht).
Nach meiner Auffassung und gängiger Rechtsprechung traf das nicht zu, da es sich nicht um Porträtaufnahmen handelt, sondern das Foto eine größere Gruppe rechter Aktivisten und Polizisten zeigt. Wir hätten eine juristische Klärung begrüßt, weil sie weitere Rechtssicherheit geschaffen hätte. Doch es kam nicht dazu. Die Ermittlungsbehörden verfolgten den Vorwurf zu unserem Bedauern nicht weiter. Die Begründung: Die Beleidigung wiege so schwer, dass dieser Vorwurf nicht ins Gewicht falle. So wurde nur eine Geldstrafe wegen Beleidigung gegen mich verhängt.
Wer seine Grundrechte in Anspruch nimmt wird vom Verfassungsschutz bespitzelt – auch das geht aus der Auskunft des BKA hervor.
Festgehalten ist, dass ich im September an einem Aufruf der Kampagne „Castor? Schottern!“ beteiligt gewesen sein soll. Ich kann mich an einen derartigen Eintrag nicht erinnern. Vermutlich konnte sich da jeder eintragen. Also auch zum Beispiel Herr Mustermann unter dem Namen „Angela Merkel“. Die angegebene Seite ist nicht aufrufbar.
Der Verfassungsschutz hat auch festgehalten, dass ich am 6. April 2013 an einer Kundgebung der Initiative „Rems-Murr nazifrei!“ zum zweiten Jahrestag des Neonazi-Brandanschlags von Winterbach teilgenommen habe. Was auch immer an der Teilnahme an einer angemeldeten Versammlung – ob als Demonstrant oder Pressevertreter – verwerflich und dokumentationsbedürftig sein soll, bleibt ein Rätsel. Man glaubt, es sei die Aufgabe des Verfassungsschutzes, die Verfassung zu schützen. Hier werden aber offensichtlich Menschen bespitzelt, die ihre Grundrechte in Anspruch nehmen.
Ähnlich verhält es sich mit einem Eintrag über die Demonstration „Laut gegen Rechte Gewalt im Rems-Murr-Kreis“ am 6. April 2013. Dort habe man Werbeflyer verteilt, auf denen ich als presserechtlich verantwortlicher Herausgeber stand. Was soll daran nicht in Ordnung sein? Auch diese Speicherung ist für mich mehr als befremdlich. Was ist der Sinn dieser Bespitzelung?
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