Von Sahra Barkini – Stuttgart. Unter dem Motto: „Uns reicht’s! Preise runter! Löhne rauf!“ lud die Initiative „Solidarität und Klassenkampf“ am Montag, 12. September, zur ersten Kundgebung ein, die sich mit den massiven Preissteigerungen, unzureichenden Entlastungspaketen der Regierung, Spartipps und der unsozialen Gasumlage auseinandersetzte. 110 Menschen folgten dem Aufruf. Immer wieder blieben PassantInnen stehen und hörten sich die Redebeiträge an. Es wurden weitere Kundgebungen angekündigt: immer montags um 17.30 auf dem Rotebühlplatz in Stuttgart. Die nächste also am heutigen Montag, 19. September.
Paul, der erste Redner und Moderator der Kundgebung, berichtete von einem Schreiben seines Gaslieferanten. Dieser erhöht ab Oktober den Abschlag von derzeit 92 Euro auf 456 Euro pro Monat. Diese massiven Erhöhungen werden nicht wenige in existenziell bedrohliche Situationen stürzen. Die Gasumlage bezeichnete er als unsozial. Es brauche dauerhaft wirksame Entlastungen und Lohnerhöhungen. „Schluss mit einer unsozialen Krisenpolitik, die nur Einmalzahlungen und Almosen kennt, während sie Übergewinne von Unternehmen nicht anrührt.“ Es müsse Druck auf die Regierung gemacht werden damit diese unsoziale Politik geändert wird. Zu den Spartipps der PolitikerInnen sagte er: „Wenn ich mir was sparen kann, dann sind es die Haushaltstipps von Politikern, die nicht nur Energielobbyisten an Gesetzestexten mitschreiben lassen, sondern auch noch 15 000 Euro im Monat verdienen und sich nicht zu schade waren, sich im Sommer die Diäten zu erhöhen.“
„Eine Sache nervt mich besonders“, betonte der Redner: „Wir erleben, wie Proteste verunglimpft werden – es sei unverantwortlich, in so einer Zeit auf die Straße zu gehen, das würde nur Putin helfen oder den Rechten.“ Gerade jetzt sei der Kampf gegen Missstände wichtig. Die Teilnahme oder gemeinsame Aktionen von und mit Rechten, Verschwörungsschwurblern, Querdenkern und Coronaleugner sei aber nicht erwünscht. „Wenn das jemand anders sieht, ist jetzt der richtige Zeitpunkt zu gehen“, sagte Paul.
Immer mehr Zulauf bei den Tafeln
Der zweite Redner war Thomas Jung. Er engagiert sich ehrenamtlich bei den Schwäbischen Tafeln. ‚Nach offiziellen Angaben sind 10 Prozent der StuttgarterInnen berechtigt, in Tafel-Läden einzukaufen. Das sind 66 000 Menschen. Diese Zahl stieg in letzter Zeit stark an. Bei den Tafel-Läden werde die Armut drastisch sichtbar. Bereits um 8 Uhr bilde sich eine lange Schlange vor dem Eingang, obwohl die Tafel erst um 10 Uhr öffnet. Seit Beginn der Pandemie, Inflation und Kriegsfolgen besuchen 2 Millionen Menschen in Deutschland täglich die Tafeln. Jeder sechste Mensch lebt in Armut. Die Ehrenamtlichen der Tafeln rechnen in naher Zukunft nicht mit einer Entspannung – im Gegenteil: Mehr Menschen werden in Not geraten.
Jung kritisierte, dass gleichzeitig die Gewinne der Großkonzerne explodieren. Und die Hilfspakete der Regierung unterstützten überwiegend Menschen, die nicht zwingend auf Hilfe angewiesen sind. Die beschlossenen Hilfen reichten bei den Armen nicht mal im Ansatz aus, so Jung. Damit könnten weder die gestiegenen Lebensmittelkosten noch Strom-oder Heizkostenerhöhungen ausgeglichen werden. Während zu viele Menschen nicht wüssten, wie sie ihr Brot finanzieren sollten, werde in diesem Land viel zu viel weggeworfen und vernichtet, betonte Jung: „Unsere Gesellschaft, unsere Regierung ist einfach nicht in der Lage, diesen Irrsinn, der auch einhergeht mit der Zerstörung unserer Umwelt, unseres Klimas, zu beenden.“
Und weiter: „Es kann nicht sein, dass Menschen als Bettler für ihr täglich Brot anstehen müssen. Damit versorgt zu sein, ist ein Menschenrecht. Es ist Sache des Staates, der Regierung, dieses Recht zu gewährleisten und sicherzustellen. Und weil es nicht gewährleistet ist und immer mehr Menschen verweigert wird, müssen wir es erkämpfen.“ Abschließend betonte er: „Not, Elend, Armut in unserem Land sind eine dramatische Wirklichkeit, sie sind kein Naturgesetz. Es liegt an uns, diese Verhältnisse, in denen Menschen zu einem unwürdigen Leben gezwungen sind, zu beseitigen. Lasst uns dafür gemeinsam kämpfen.“
Gegen die Arroganz der Macht
Der dritte Redner namens Max nannte es „die Arroganz der Macht“ wenn BerufspolitikerInnen sich den Menschen gegenüber äußern, als wäre man dumm und lebe verschwenderisch. Kretschmanns „Waschlappen Tipps“ kritisierte er ebenso wie Lindners Aussagen, das „9 Euro-Ticket sei Gratismentalität“. Lindner besitze auf SteuerzahlerInnenkosten eine Bahncard 100 für die erste Klasse. Kostenpunkt: 7000 Euro, dazu Dienstwagen.
Arbeitslose, RentnerInnen, ArbeiterInnen, Geflüchtete müssen zusammen auf die Straße gehen und sich nicht spalten lassen. Denn es gebe Hoffnung: „Ohne uns läuft gar nichts, ohne uns wird kein Auto gebaut, kein Kind den ganzen Tag versorgt, es wird kein Brot gebacken, es wird kein Getränk ausgeschenkt (…). Wir haben die Macht, ohne uns stürzt nämlich alles ein.“ Der Redner meinte, jetzt sei der beste Zeitpunkt, um Dinge und Rechte wieder zu erkämpfen. Man müsse unbequem werden: „Eine starke Bewegung auf der Straße in vielen Städten und auf dem Land kann Druck aufbauen und für einen heißen Herbst sorgen.“
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