Kommentar von Sahra Barkini – Stuttgart. Laut Kalender haben wir noch das Jahr 2023. In den Köpfen so mancher sind wir allerdings ein paar Jahrzehnte zurück, etwa in den frühen 1950zigern. So sehen Politiker von AfD über CDU und CSU anscheinend als drängendste aller Probleme, schnellstmöglich das Gendern zu verbieten.
CSU-Chef Markus Söder will ein Genderverbot an bayrischen Schulen und Universitäten, und die hessische CDU will neben Behörden auch dem Hessischen Rundfunk ein Genderverbot erteilen. Es gibt zwar keinen Genderzwang, auch wenn uns das die ewig gestrigen aller Couleur gerne weismachen wollen. Sei’s drum – keifen wir einfach mal „verbieten“. Man könnte meinen, die Welt stehe nicht auch vor wirklichen, realen Problemen: beispielsweise den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten. Erdoğan bombardiert die kurdischen Gebiete. Wohnungsnot, unterbezahlte und dafür überarbeitete Pflegekräfte, eine galoppierende Inflation. In Russland gilt die LGBT-Bewegung als extremistisch – dies wurde natürlich von der AfD bejubelt. Alles anscheinend keine Gründe, irgendwie einzugreifen. Wo doch das „gefährliche“ Sternchen, Binnen-I oder der Doppelpunkt die Menschheit bedroht.
Ich würde ja lachen, wenn dieser Rollback nicht auch gefährliche Ausmaße annähme. Während ein Sternchen, Binnen-I und Doppelpunkt Menschen einbezieht, die eben nicht in die Schublade cis Frau oder cis Mann (cis = sich dem Geburtsgeschlecht zugehörig fühlen) passen, sondern sich als trans*, inter oder non binär ansehen – wir leben ja im Jahr 2023 und könnten inzwischen kapiert haben, dass es eben mehr gibt als uns die heteronormative Welt immer vorgibt. Es geht für diese Menschen um ihre bloße Existenz.
Es ist zehn Jahre her, dass die sogenannte Demo für Alle durch Stuttgart zog und gegen den „Bildungsplan“ wetterte – in Wahrheit wetterte sie gegen alles, was nicht ins heteronormative Weltbild dieser christlichen Fundamentalisten und Rechten passte, und legte nebenbei den Grundstein für den Einzug der AfD in den baden-württembergischen Landtag. Nun wird eben gegen das Gendern gehetzt und wohl im kommenden Jahr verstärkt gegen das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG). Warum glauben cis hetero Männer und Frauen eigentlich, sie dürften bestimmen, wie jemand zu leben hat, wen er, sie, they lieben oder auch nicht? Als Menschen, die eine offene Gesellschaft wollen: Als linke Antifaschist*innen müssen und sollten wir immer an der Seite derer stehen, die bedroht werden.
Heute hetzen sie gegen das Gendern, morgen gegen unsere trans*, inter und nonbinären Freund*innen. Ein Angriff auf eine/n ist immer auch ein Angriff auf uns alle! Seien wir wachsam, welche Lawine 2024 auf uns zurollt, und stehen wir gemeinsam auf gegen diesen Rechtsruck, der auch einhergeht mit Hass auf eben alle, die nicht dem hetero normativen Weltbild entsprechen! Und bei gemeinsam ist auch die queere Szene gemeint. Denn einmal im Jahr in einer Parade durch die Stadt ziehen, die mehr Party als politische Demonstration ist, reicht nicht aus. Sollten kommendes Jahr wieder christliche Fundamentalisten gemeinsam mit Rechten durch die Innenstädte ziehen, braucht es eine breite Gegenwehr. Da ist dann kein Platz für Grabenkämpfe.
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