Stuttgart. Das Stuttgarter Amtsgericht hat am Montag, 27. Oktober, einen 26-Jährigen zu 60 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt. Der Stuttgarter soll gegen das Recht am eigenen Bild
eines Staatsschutzbeamten verstoßen haben, indem er dafür gesorgt habe, dass dessen bei einer Demonstration der Bildungsplangegner aufgenommenes Porträt im Internet veröffentlicht wird. Der Richter folgte komplett dem Strafantrag des Staatsanwalts. Hätte der Angeklagte keinen Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, wäre er mit 10 Tagessätzen weniger davongekommen.
Mit dem Einspruch erlosch nämlich nach Auffassung des Gerichts die „Geständnisfiktion“ des Strafbefehls, erklärte Einzelrichter Gutfleisch dem Angeklagten und der staunenden Öffentlichkeit. Sie bestand aus einigen Pressevertretern, Polizei- und Justizbeamten und ungefähr zehn ZuhörerInnen. Letztere mussten sich ebenso wie die Presseleute vor der Verhandlung durchsuchen lassen und ihre persönlichen Gegenstände abgeben. Nicht einmal Schreibzeug durfte eine junge Frau, die sich Notizen machen wollte, mit in den Gerichtssaal nehmen.
Nach der „Geständnisfiktion“ geht ein Teil der Rechtssprechung davon aus, dass seine Schuld einräumt, wer einen Strafbefehl ohne Gerichtsverhandlung akzeptiert. Dieses angenommene Geständnis wirkt dann strafmildernd.
Bei Einspruch kein Bonus durch „Geständnisfiktion“
Der Beschuldigte legte jedoch Einspruch gegen einen Strafbefehl vom 8. August 2014 ein. Damit fiel die „Geständnisfiktion“ als mildernder Umstand weg, und er erhielt eine um 10 Tagessätze höhere Strafe. Rechtsanwalt Christos Psaltiras warnte vergeblich. „Wenn das Schule mache, wehrt sich niemand mehr gegen einen Strafbefehl“, befürchtet er. Diese Rechtsauffassung werde auch keinesfalls von allen Gerichten geteilt.
Richter Gutfleisch folgte jedoch auch bei der Höhe der Tagessätze in vollem Umfang den Annahmen der Anklage: Obwohl Erzieher schlechter bezahlt würden, als es gesellschaftspolitisch wünschenswert erscheint, liege das Einkommen des Angeklagten wohl eher bei 600 Euro netto im Monat als bei 300 Euro. Deshalb der Tagessatz von 20 Euro.
Als verdeckter Ermittler bei der Bildungsplan-Demo
Der Angeklagte schwieg zu seinen persönlichen Verhältnissen ebenso wie zum Sachverhalt, verfolgte die Verhandlung jedoch sehr konzentriert. Obwohl sein Verteidiger die Schuld des 26-Jährigen bestritt und Freispruch mangels Beweisen forderte, sah der Richter den Straftatbestand als erwiesen an.
Der Verurteilte soll bei Aktionen gegen eine Kundgebung der Gegner des baden-württembergischen Bildungsplans am 28. Juni 2014 auf dem Schillerplatz den Polizisten in Zivil in der Stuttgarter Stiftsstraße vor einem Montblanc-Geschäft fotografiert haben. Der Ermittler war dort dienstlich unterwegs.
Zivilpolizist bemerkte die Aufnahme
„Wunderbar, vielen Dank“ habe der Aktivist zu ihm gesagt, nachdem er das Foto aufgenommen hatte, berichtete der 41-jährige Kriminalhauptkommissar als Zeuge vor Gericht. Zwei Tage später habe er sein Porträt mit dem Hinweis „Zivi“ auf der Internetplattform linksunten.indymedia.org entdeckt und schließlich Anzeige erstattet. In einem Kommentar zu dem Indymedia-Artikel, der die Überwachung der Demonstration durch verdeckte Ermittler ansonsten nicht thematisierte, wurde überdies der Name des Beamten erwähnt.
Der Zivilpolizist kannte den Angeklagten vom Sehen, ergab die Verhandlung. Seinen Namen erfuhr er jedoch erst nach der Demonstration durch die Auswertung von Videos und weil er schon einmal erkennungsdienstlich behandelt worden war. Der Beamte lud den Angeklagten vor. Der Erzieher machte jedoch von seinem Recht Gebrauch, nicht zur polizeilichen Vernehmung zu erscheinen.
Staatsanwalt hält Tat für erwiesen
Die Anklage konnte nicht nachweisen, dass er das Porträt selbst veröffentlicht hat. Es blieb auch ungeklärt, ob er über Zugangsrechte zu dem Internetportal verfügt. Dessen Server befinde sich im Ausland, sagte der Polizist auf mehrmalige Nachfrage des Richters und des Verteidigers nach seinem Kenntnisstand über das Portal. Ermittlungen seien nahezu unmöglich. Ob der Verurteilte das Porträt selbst ins Netz gestellt hat, war nach Auffassung des Richters auch unerheblich. Er habe die Aufnahme auf jeden Fall in irgendeiner Form verbreitet, so dass sie den Weg ins Netz finden konnte.
Der Angeklagte hatte drei Vorstrafen wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht – darunter eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von sechs Monaten vom 28. März 2014, weil er beim Protest gegen die Sommertour der NPD eine Reizgas-Granate geworfen haben soll. Der Staatsanwalt hielt ihm in seinem Strafantrag vor, sich mit dem vorgeworfenen Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz – für das Verfahren maßgeblich waren die Paragrafen 22, 23 und 33 – nur drei Monate nach dem Urteil als „Bewährungsversager“ entpuppt zu haben. Am Tatvorwurf selbst sei aus seiner Sicht „gar nicht zu rütteln“, sagte der Ankläger.
Verteidiger fordert Freispruch
Bei seinen Vorstrafen gebe es keinen Grund, bei einer Geldstrafe zu bleiben. Andererseits sei er noch nie eines Fotos wegen verurteilt worden, und das vorgeworfene Delikt bewege sich im „unteren Bereich“ der Kriminalität. Das Kunsturhebergesetz sieht Geld- oder Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr vor. Der Strafbefehl über 50 Tagessätze sei „fair“ gewesen. Nun, ohne „Geständnisfiktion“, beantragte der Staatsanwalt 60 Tagessätze.
Der Verteidiger nannte die „Geständnisfiktion“ hingegen eine „Keule“. Er sah es nicht als erwiesen an, dass der Angeklagte das Foto ins Internet gestellt oder veranlasst hatte, dass es ein anderer tut: „Es gibt gar keine Anhaltspunkte dafür, dass er es hochgeladen hat.“ Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten, müsse man zu einem Freispruch kommen.
Das Foto war nicht diskreditierend
Der Richter sah das anders. Nach dem Kunsturheberrecht dürfe man ohne Zustimmung des Abgebildeten keine Porträts veröffentlichen – auch keine bei Versammlungen aufgenommenen. Die Verbreitung sei in diesem Fall auch nicht durch die Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt, zumal es keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem auf linksunten.indymedia.org veröffentlichten Artikel und dem Foto gegeben habe. Es habe „keinen nachvollziehbaren Grund“ gegeben, es zu verbreiten.
Zugunsten des Angeklagten spreche, dass es sich um „ein normales Foto“, kein diskreditierendes handelte. „Wir bewegen uns hier im niederschwelligen Bereich eines Verstoßes“, stellte der Richter klar. Deshalb sei auf jeden Fall eine Geldstrafe noch angemessen, „es war keine gravierende Tat“. Zu den 60 Tagessätzen kommen nun für den Verurteilten noch die Verfahrenskosten.
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