Von Anne Hilger – Stuttgart. Die Linke will erneut drittstärkste Kraft im Bundestag werden. Sie strebt ein zweistelliges Wahlergebnis und in Baden-Württemberg mindestens fünf Prozent an: Das stellten die beiden Partei-Chefs Bernd Riexinger und Katja Kipping am Montagabend, 14. August, im „Theo 2“ in Stuttgart vor vollem Haus klar. 170 bis 200 ZuhörerInnen waren zum Start der Baden-Württemberg-Linken in die heiße Phase des Wahlkampfs gekommen. Das waren mehr als erwartet, immer wieder wurden neue Stühle herbeigeschafft. Für Dienstag, 22. August, plant die Linke eine weitere große Wahlveranstaltung in Stuttgart: Dann spricht Gregor Gysi ab 18 Uhr auf dem Schlossplatz.
Das mehrheitlich männliche, auffallend junge Publikum ließ sich am warmen Montagabend gut anderthalb Stunden lang erklären, wie sich die Linke eine sozial gerechte und friedlichere Republik vorstellt.
Von der SPD und ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz fordern Bernd Riexinger und Katja Kipping, echte Alternativen zur bisherigen Politik zu entwickeln, sich zu den ursprünglichen sozialdemokratischen Werten zu bekennen und für ein rot-rot-grünes Bündnis einzutreten. Andernfalls werde die SPD „weiter erodieren“, sagte Riexinger voraus. Eine zweite Angela Merkel brauche niemand.
Bei der Bundestagswahl 2013 kam die Linke bundesweit auf 8,6 Prozent. In Baden-Württemberg erreichte sie 4,8 Prozent. Sie entsendet seither fünf Abgeordnete aus dem Bundesland nach Berlin. Von ihnen kandidiert nur die Entwicklungspolitikerin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Heike Hänsel (Platz 2) erneut auf der Landesliste. Michael Schlecht, Annette Groth und Karin Binder scheiden nach mehreren Legislaturperioden aus dem Parlament aus. Richard Pitterle tritt nur als Direktkandidat in Böblingen an.
Rente muss Lebensstandard sichern
Die Stuttgarter Bundestagskandidatin Johanna Tiarks eröffnete den Abend im „Theo 2“, ehe sie das Wort an Riexinger weitergab. „Rentenfragen sind Verteilungsfragen, keine demografischen Fragen“, sprach er eines der zentralen Wahlkampf-Themen der Partei an. Die Linke fordert, dass die Rente wieder paritätisch finanziert wird und den Lebensstandard sichert. „Wir wollen nicht, dass man über 65 Jahre hinaus bei McDonalds arbeiten oder Flaschen sammeln muss“, sagte Riexinger. Die Linke fordert eine Mindestrente von 1050 Euro.
Er beklagte eine Verwahrlosung öffentlicher Schulen. In die Infrastruktur, aber auch in Bildung, Erziehung und Pflege müsse deutlich mehr investiert werden. Öffentliche Güter müssten für alle zugänglich, soziale Arbeit weit besser bezahlt sein. Die öffentliche Daseinsvorsorge dürfe nicht dem Markt überlassen werden. Das gelte auch für den Energiesektor und den Wohnungsbau. Mit Wohnungen dürfe nicht spekuliert und der soziale Wohnungsbau müsse angekurbelt werden gerade in einer Stadt wie Stuttgart.
Rot-Rot-Grün nur bei echtem Kurswechsel
Als einzige Partei habe die Linke ihr Konzept gegenfinanziert. Sie wolle 177 Milliarden Euro mehr ausgeben, aber auch 180 Milliarden Euro mehr einnehmen. „Da würde man sich nur zurückholen, was in den letzten Jahren falsch verteilt wurde“, betonte Riexinger. Die acht reichsten Familien besäßen mehr als die untere Hälfte der Weltbevölkerung. „Extrem Reiche mit hohen Dividendeneinkommen können ruhig mehr Steuern für das Gemeinwohl zahlen“, sagte der Linken-Vorsitzende.
Eine Verdopplung der Rüstungsausgaben, wie von der Nato gefordert und der CDU propagiert, komme für die Linke nicht in Frage. „In einer Welt, die verrückt spielt, darfst Du nicht aufrüsten“, sagte Riexinger unter Applaus. Die Linke wolle einen wirklichen Politikwechsel. Unter diesen Umständen stehe sie auch für Rot-Rot-Grün zur Verfügung. „Aber wir wollen nicht kleine Korrekturen. Dafür gibt es andere. Wir verkaufen uns nicht unter Wert“, betonte der Parteivorsitzende. Die Forderungen der Linken seien wahrlich keine Utopien: „Es war doch mal selbstverständlich, dass Du von einem Lohn leben kannst, im Alter nicht arbeiten musst und von deutschem Boden kein Krieg ausgeht.“
Die Linke will die Mitte tatsächlich entlasten
Katja Kipping verspätete sich. Sie war in Schwäbisch Hall bei einer „Super-Veranstaltung“ mit hundert BesucherInnen hängen geblieben. Bei der Bundestagswahl gehe es nicht um Angela Merkel oder Martin Schulz, sondern um den künftigen Kurs der Republik und um eine Vision: „Uns geht es um eine Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt.“ Die Linke wolle ein Land ohne Armut und Abstiegsangst und dazu, dass Europa „wirklich als Friedensmacht in Erscheinung tritt.“
Die Linke wolle ein Steuermodell, das die Mittelschicht tatsächlich entlastet. Hartz IV habe die Bereitschaft zu Konzessionen erhöht und so die Einkommen insgesamt gedrückt. Es sei „ein Angriff auch auf Leute, die Arbeit haben“. Umso enttäuschender sei es, dass Andrea Nahles als sozialdemokratische Ministerin die selben Tricks wie ihre Vorgänger angewandt habe, den Hartz IV-Satz niedrig zu halten.
Kipping: Hartz IV vergiftet die ganze Gesellschaft
Kipping wandte sich gegen „das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft“. Es handle sich um Sippenhaft. Wer mit jemandem etwa in einer WG zusammenwohne, müsse beweisen, keine Lebensgemeinschaft zu bilden. Hartz IV habe Arbeitsstandards angegriffen, aber auch die Bereitschaft zu teilen. „Es vergiftet die ganze Gesellschaft“, sagte die Bundesvorsitzende. Noch immer hänge die Bildung vom Kontostand der Eltern ab, kritisierte sie. Die Linke fordere eine Kindergrundsicherung von 573 Euro, „das ist richtig investiertes Geld“.
„Die Achillesferse der Sozialdemokratie ist ihre fehlende Glaubwürdigkeit“, kritisierte Kipping mit Blick auf die finanzpolitischen Vorstellungen der SPD. Die Linke wolle die Abgeltungssteuer, „ein Spekulationsprivileg“, abschaffen. Kapitalerträge müssten ebenso hoch besteuert werden wie Einkommen aus schwerer Arbeit. Außerdem solle das höchste Gehalt in einem Unternehmen nicht mehr als zwanzigmal so hoch sein wie das niedrigste.
Technischer Fortschritt ermöglicht Arbeitszeitverkürzung
Die Partei wolle außerdem befristete Arbeit – etwa auch im Wissenschaftsbetrieb – abschaffen und Arbeit umverteilen. Die Arbeitswoche der Zukunft solle 30 Stunden umfassen. „Der technische Fortschritt nimmt den Menschen Arbeit ab. Das wird aber als Bedrohung empfunden“, bedauerte sie.
Die Linke sei anders als die Grünen bereit, sich mit den Konzernen anzulegen, um eine sozial-ökologische Energiewende durchzusetzen, erklärte Kipping. Nach den Prognosen des Weltklimarats seien in Afrika künftig immer mehr Menschen von Dürren betroffen. Neben Krieg, Elend und Not werden die Folgen des Klimawandels bald Fluchtursache Nummer eins sein. Die Linke werde auch weiterhin Kriegseinsätze ablehnen. Schon vor geraumer Zeit habe der Nato-Generalsekretär davor gewarnt, dass der Bundestagswahlkampf zum Abrüstungs-Wahlkampf werde: „Sorgen wir dafür, dass seine Befürchtung zutreffend ist“.
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