Nagold. Baden-württembergische Behörden versuchten am frühen Mittwochmorgen, 21. Februar, in Nagold im Landkreis Calw eine serbische Familie mit zwei Kindern im Alter von acht und zehn Jahren abzuschieben, deren Aufenthalt zuvor jahrelang geduldet worden war. Das berichtet der Landesflüchtlingsrat. Der Abschiebungsversuch war nach Einschätzung des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg und des Anwalts der Familie rechtswidrig.
Der Abschiebeversuch füge sich ein in eine Reihe besonders rücksichtsloser Maßnahmen gegen gut integrierte Menschen aus den Ländern des westlichen Balkans, die seit Jahren mit Duldung in Deutschland leben – so der Landesflüchtlingsrat.
Der Vater der Familie, Sasa J., wurde demnach erst kürzlich nach zwei Jahren aus der stationären psychiatrischen Behandlung entlassen. Er leide an schweren Depressionen und habe mehrere Suizidversuche unternommen. Aus diesem Grund habe die Familie eine Duldung. Die in regelmäßigen Abständen angeforderten gesundheitlichen Atteste seien bis jetzt vom Regierungspräsidium Karlsruhe akzeptiert worden.
Keine Mitteilung über geänderte Entscheidung
Am vergangenen Freitag hatte die Mutter der Familie, Danijela I. einen Termin bei der lokalen Ausländerbehörde, um ihre neue Duldung abzuholen, so der Flüchtlingsrat weiter. Dabei sei ihr eine Duldung mit dem Vermerk „erlischt bei Bekanntgabe des Abschiebungstermins“ ausgehändigt worden. Auf ihre Nachfrage, warum man das macht, habe man ihr lediglich gesagt, „sie werden jetzt abgeschoben“.
Der Familie war bis dato keine Entscheidung über einen Anfang des Jahres gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mitgeteilt worden. Ebenso wenig sei mitgeteilt worden, dass das Regierungspräsidium das seit langem bestehende gesundheitsbedingte Abschiebungshindernis nicht mehr anerkennt. Zudem müssten Personen, die seit mehr als einem Jahr geduldet sind, einen Monat im Voraus informiert werden, wenn sie abgeschoben werden sollen, so der Flüchtlingsrat.
Mit Ausbildungsplatz in der Altenpflege
Danijela I. gehöre der Minderheit der Roma an, habe einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend in Deutschland verbracht und eine Ausbildung zur Sozialpädagogin angefangen, die aber durch eine erzwungene Rückkehr nach Serbien unterbrochen wurde. 2014 kehrte sie mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg begleitet ihren Fall seitdem und steht in regelmäßigem Kontakt mit ihr.
Trotz der sehr schwierigen persönlichen Umstände habe es Frau I. geschafft, einen Ausbildungsplatz zur Altenpflegerin ab September zu finden. In wenigen Wochen könnte sie eine Ermessensduldung mit Blick auf die bevorstehende Ausbildung erhalten, womit ihr Aufenthalt vorerst gesichert wäre.
Bestens integrierte Familie abgeschoben
Der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass es in den vergangen Wochen eine Häufung ähnlicher Fälle gegeben habe. So habe das Innenministerium entgegen der Empfehlung der Härtefallkommission die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die in Stuttgart lebende serbische Familie Stojanovic trotz hervorragender Integrationsleistungen abgelehnt. Ende Januar wurde in Nürtingen eine mazedonische Familie abgeschoben, die seit 25 Jahren in Deutschland gelebt hatte.
Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg, sagt hierzu: „Offenbar möchte das Land Baden-Württemberg die mehrmals im Monat stattfindenden Sammelabschiebungsflüge in die Balkanstaaten trotz deutlich zurückgegangener Zuzugszahlen aus diesen Ländern auf Biegen und Brechen vollbekommen. Gleichzeitig ist die öffentliche Debatte über Abschiebungen völlig aus dem Ruder gelaufen, befeuert von falschen Zahlen, Gerüchten und abstrusen Verschwörungstheorien über ‚Gefälligkeitsatteste‘ und ‚Vollzugsdefizit‘. Es gilt scheinbar nur noch die Maxime gilt: ‚je mehr Abschiebungen, umso besser‘.“
„Wahnhafter Kreuzzug“ gegen angebliches „Vollzugsdefizit“
Es dränge sich der Eindruck auf, es herrsche eine Art „Torschlusspanik“ mit verstärkten Bemühungen, Menschen abzuschieben, die kurz vor einer Verfestigung ihres Aufenthalts stehen, so McGinley weiter. Er spricht von einem „wahnhaften Kreuzzug gegen die Fata Morgana des ‚Vollzugsdefizits“, der bis an die Grenzen des Rechtsstaats gehe und darüber hinaus: „So weit, dass eine Familie mit zwei kleinen Kindern und einem schwerkranken und suizidgefährdeten Vater morgens um halb fünf die Tür eingetreten bekommen von PolizistInnen, die eine rechtswidrige Abschiebung durchführen wollen.“
Das sei die Realität im einzigen Bundesland mit grün-geführter Regierung und einem Innenminister, der in diesem Zusammenhang von „Herz und Härte“ spricht. Der Landesflüchtlingsrat ruft die Landesregierung dazu auf, die regelmäßigen Sammelabschiebungen in die Westbalkanstaaten umgehend einzustellen und aufzuhören, das Leben von Menschen zu zerstören, „die seit vielen Jahren bei uns Leben und zu unserer Gesellschaft gehören“.
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