Von Meide Wolt – Stuttgart. Zum Frauentag am Donnerstag, 8. März, gingen in Stuttgart insgesamt 610 Menschen auf die Straße. Auf zwei aufeinander folgenden Demonstrationen sprachen Frauen über eigene Erfahrungen, über ihre Vorbilder und die weltweite Gewalt an Frauen und Mädchen. Auf beiden Demonstrationen spielten transnationale Frauenbewegungen und Frauenkämpfe eine herausragende Rolle. Das verdeutlichten die vielen migrantischen Sprecherinnen.
Der Frauentag geht auf eine Initative von Clara Zetkin zurück und bezieht sich auf Streiks von TextilarbeiterInnen 1857 in New York. Bei der ersten Demonstration am Donnerstag in Stuttgart ab 18 Uhr unter dem Motto „#Metoo – aber der Fehler liegt im System!“ liefen 350 Teilnehmer vom Schlossplatz über die Theodor-Heuss-Straße und den Rotebühlplatz durch die Innenstadt. Bei der Demonstration im Anschluss liefen 310 Teilnehmer unter dem Motto „From #metoo to #wetoo: let’s start a Revolution!“ von der Oper über den Charlottenplatz bis ins Bohnenviertel. 50 Teilnehmer hatten sich beiden Demonstrationen angeschlossen.
Acht Frauen berichteten von Frauenbewegungen und der Gewalt gegen Frauen aus verschiedenen Regionen auf der ganzen Welt. Sie berichteten von Gesellschaften, die durch Gewalt gegen Frauen geprägt sind, in denen aber genauso Widerstand durch Frauenbewegungen und Frauenbefreiungskämpfe Hoffnung geben, auf ein Leben ohne Gewalt und Patriarchat. Der Stuttgarter Frauentag wurde seinem transnationalem Charakter gerecht und machte das Ausmaß weltweiter struktureller Gewalt an Frauen und Mädchen deutlich sichtbar.
Die vielen Reden und Themen zeigten, wie groß das Wissen der Stuttgarter Frauen um ihre Situation und die Verhältnisse weltweit ist. Neben aller Unterschiedlichkeit der verschiedenen Kämpfe fiel jedoch ihr gemeinsamer Ausdruck hinter diesem Wissen zurück. So wie die beiden Demonstrationen ohne Bezug aufeinander folgten, reihten sich auch die meisten Reden lediglich informativ aneinander. Immerhin, durch Grußbotschaften an die kämpfenden Frauen in der Welt versuchten die SprecherInnen einen Bezug zwischen den lokalen und globalen Kämpfen herzustellen.
Eindrucksvoll schilderte Sharareh Rezali von den Iranischen Frauen die Frauenbewegung im Iran: „In aller Öffentlichkeit werden sie wegen ihres Aussehens oder ihrer Kleidung von den staatlichen Organen verhaftet, ausgepeitscht und sogar getötet. Im Iran gibt es seit langem eine Bewegung gegen den Zwangsschleier. Mit viel Mut stellen sie sich auf Podeste in der Öffentlichkeit, ziehen ihre Schleier aus, hängen ihn eine Holzstange und schwingen den Schleier provokativ durch die Luft. Sie wehren sich dagegen und zahlen mit langen Haftstrafen und Folter oder auch Vergewaltigung einen hohen Preis. Auf der Straße werden sie mit Säure übergossen, oder wegen einer Liebesbeziehung droht ihnen die Todesstrafe oder sie werden gesteinigt. Die iranische Regierung ist extrem frauenfeindlich. Millionen Frauen im Iran sind gegen Geschlechtertrennung, Diskriminierung bei Studium und Beruf, geringe Löhne und fehlende Arbeitsplätze. Athena Daemi, Golrokh Irayi, Sohil Arabi haben sich für die Menschenrechte von Frauen und Kindern eingesetzt und dafür müssen sie viele Jahre ins Gefängnis. Sie kämpfen auch für ein Recht auf Nahrung und deswegen ist ihr Leben in Gefahr.
Das Heiratsalter für Mädchen ist bei 13 Jahren. Seit 2015 wurden 28 000 Mädchen verheiratet. Der Iran steht an erster Stelle bei Todesstrafen für Kinder.“
Gülay verlas eine Rede der kurdischen Frauenbewegung. Darin heißt es: „Das sexistische, auf Ausbeutung gründende System greift Frauen an, weil sie am stärksten seine Existenz und seine Macht bedrohen. Wir müssen gar von einem systematischen Anfriffskrieg sprechen. Dieser mag in From und Ausdruck regionale Unterschiede aufzeigen, jedoch sind wir mit einem universellen Zustand konfrontiert. Deshalb müssen wir die Verbindgungen zwischen Massenvergewaltigungen in Asien und sexueller Gewalt in den USA erkennen. Wir müssen Frauenmorde in Lateinamerika, die den Grad eines Feminizids erreicht haben, und die Verschleppung und Versklavung von Frauen und Mädchen durch Banden, die sich dem Banner der Religion bedienen, in Afrika und dem Mittleren Osten im Gesamtkontext bewerten. Wir müssen den Aufstieg von faschistischen-misogynen Regimen und die Entziehung von Frauenrechten in Zusammenhang sehen. Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass dieser Krieg den das patriarchale System weltweit gegen uns führt, auf die Erstickung des Freiheitswillen und –kampf der Frau zielt.“
Gülay vom Bund sozialistischer Frauen (SKB) rief dazu auf, am Frauenkampftag wieder zu streiken, so wie am ersten Frauenkampftag 1857: „Der 8. März wird ein Tag sein, an dem wir dem herrschenden Patriarchat, der kolonialen Disktatur und dem Faschismus die Frauenrevolution in Afrin verteidigen werden. Gleichzeitig werden wir unsere Arbeit an diesem Tag gegen die bürgerlichen Arbeitgeber und die Männer um uns herum verteidigen. Aus diesem Grund rufen wir alle wertätigen Frauen dazu auf, sich am 8. März am Frauenstreik zu beteiligen.“
Sükan von der Demokratischen Frauenbewegung in Europa (ADKH) führte aus: „Der Kapitalismus ist ein vielschichtiges System der Ausbeutung. Es strebt nicht nach dem Wohl der Menschen, sondern reduziert diese auf ihre Arbeitskraft, Leistung und körperliche Verfassung. Dieses System lebt durch Kriege, Armut und Hunger. Genauso wie es davon lebt die Arbeiterklasse zu spalten indem sie dieser durch Nationalität, Religion und Geschlecht die Solidarität und das Zusammengehörigkeitsgefühl als Klasse entzieht.“
Dan von feminist solidarity across sagte in einer viel umjubelten Rede: „Denkst du, dass deine Mitgliedschaft in einer LGBTQIA+ Community dich davon befreit, gegen rassistische Gräueltaten aufzustehen, die überall um dich herum passieren? Soll ich hier stehen, in meinem queeren schwarzen verwertbaren Frauenkörper und euch erzählen, dass Schwarze wie ich auch Mitglieder dieser Community sind?“ Und weiter: „Ich fordere euch auf, euren Stolz abzubauen, wenn ihr antwortet. Ich frage euch das damit ihr reflektieren und zu kämpfen anfangen könnt. Nicht um etwas zu dem sowieso schon bestehenden hierarchischem System beizusteuern, sondern um etwas in eurem eigenen Leben zu ändern.“ Mit Blick auf die Gemeinsamkeiten der Kämpfe führte sie aus: „Ich bin nicht hier, um euch anzugreifen, ich bin hier, um die Barrieren, die uns trennen nierderzureißen. Unser gemeinsamer Kampf wird nur erfolgreich sein, wenn wir in die Ecken, Verstecke und Spalten unserer Erfahrung eintauchen.“
Ayșe Egilmez von Yașanacak Dünya berichtete, dasa zeitgleich zehntausende Frauen und LGBTI auf dem Taksim Platz in der Türkei demonstrieren. „In der Türkei hat die Vergewaltigung sich verzehnfacht, und Opfer müssen ihre Täter heiraten“, so Egilmez. In der Türkei führen Proteste meisten zu Verhaftungswellen, wodurch bereits zehntausende im Gefängnis sitzen. Egilmez berichtete vom Kampf der Frauen in Afrin gegen den Angriff der türkischen Regierung und Militärs.
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Weni Arya von United4Eritrea beschrieb die Vergewaltigungskultur in ihrem Land: „Obwohl Frauen in den Unabhängigkeitskämpfen an vorderster Stelle mitgekämpft haben, wurden sie nach der Unabhängigkeit 1993 um Jahre zurückgeworfen. Sie werden in den National Service gezwungen, wo sie systematisch vergewaltigt werden. Werden sie Schwanger, dann werden sie in die Familien zurückgeschickt, denen man erzählt sie haben sich unredlich verhalten. Von der Familie werden sie dann ausgeschlossen. Entscheiden sich Frauen zu fliehen, dann erleben sie Versklavung, Entführung und Vergewaltigung, etwa im Sudan oder in Libyen. Trotz Flucht schaffen es diese Frauen erst gar nicht nach Europa.“
Jahnson Tosin von Refugees Woman Stuttgart verdeutlichte: „Wir haben eine Reihe von Problem. Das wichtigste ist für mich, dass wir keinen Platz haben wo wir hingehen können. Wir sind in den Camps und wissen nicht was wir dort tun können. Wir wissen nicht wo wir hin gehen können. Wir brauchen einen Ort an dem wir uns ausdrücken können.“
Ju von den Queerdenkern brachte in ihrer Rede die Interessen junger Queers zur Sprache: „Ich bin Ju von den Lunas beziehungsweise Queerdenkern. Die Lunas sind einer Gruppe für junge queere Mädchen, die sich Donnerstags um 19 Uhr in der Weissenburg treffen. Die Queerdenker sind eine gemischtgeschlechtliche Jugendgruppe mit queeren Inhalten, die sich jeden letzten Sonntag im Monat um 15 Uhr im Jugendhaus Café Ratz versammeln. Ich bin hier um euch die Situation queerer Jugendlicher aus Stuttgart, ihre Erfahrungen und ihre Wünsche an Stuttgarter Einrichtungen vorzustellen. Es passiert viel zu selten, dass junge Menschen richtig zugehört wird oder ihre Sichtweise nicht einfach übersehen wird. Oft wird geglaubt uns fehlen die Sprache, das Wissen und der Bezug zur Realität, um auszudrücken was wir sehen, erleben und was wir wollen. In einer von mir initiierten Umfrage und vielen Gesprächen, die ich ausgewertet und mit eigenen Erfahrungen verglichen habe, konnte ich mir ein Bild machen was junge queere Menschen in Stuttgart aktuell bewegt. 1. Angebote, die speziell für queere Jugendliche gedacht sind und die Rechweite, die diese haben. Uns 2. Schulen bzw. andere kulturelle und soziale Einrichtungen, die regelmäßig von Jugendlichen besucht werden und wir das Thema sexuell-geschlechtliche Vielfalt dort gehandhabt wird, bzw. welchen Stellenwert es dort hat.“
In einer bewegenden Rede erzählte Janka Kluge von ihren eigenen Gewalterfahrungen, den Kämpfen, die sie selbst geführt hat, und von der Transfeindlichkeit der Gesellschaft. Sie berichtete von einer Freundin, die in Wien in den Tod getrieben wurde. „Helena hat sich umgebracht weil die Gesellschaft ihr keine Chance gegeben hat zu leben.“ Ihr falle es schwer, in der Stadt über ihre eigene Geschichte zu reden. Um so konkreter ihre Aufforderung an die Teilnehmer: „Passt aufeinander auf, dass ist das, was wir uns schenken können.“
Senem von Zusammen kämpfen erläuterte: „Das Patriarchat bietet mit seiner den Geschlechtern zugewiesenen Rollen einen großen Vorteil für die kapitalistische Mehrwertproduktion. Um über genügend Arbeitskräfte zu verfügen und diese nutzbar zu machen, ist es von Vorteil, wenn die Reproduktionsarbeit von Frauen unbezahlt verrichtet wird. Dazu zählt etwa die Zubereitung von Essen, putzen, Kinder oder Familienangehörige betreuen. Dadurch werden Freiräume geschaffen, um Männer länger und effizienter arbeiten zu lassen, kurz, die Mehrwertproduktion zu steigern.“
Die Frauen der Gruppe Courage machte auf eine Protestbewegung „Omas gegen Rechts“ aus Österreich aufmerksam: „Die im November 2017 gegründete Initiative protestiert gegen den Rechtsruck im Land und warnt nachhaltig vor dem Verlust, der in der Nachkriegszeit erkämpften Errungenschaften. Auch möchten sie die junge Generation motivieren, sich anzuschließen im Kampf gegen den wirtschaftlichen Neoliberalismus, der zur Selbstausbeutung und Zerstörung des Planeten führt.“
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Mit Blick auf die MeToo-Debatte sagte eine Sprecherin vom Frauenkollektiv Stuttgart: „Die Situation vieler Frauen wird sich nicht dadurch ändern, dass einzelne Täter angeprangert und von ihren Machtposten verdrängt werden. Es werden immer wieder ähnlich Gesinnte nachrücken. Vielmehr ist es nötig, die Strukturen, die ihre Taten autorisiert und billigt, anzugreifen und zu verändern.“
Eine Sprecherin der Interventionistischen Linken stellte in ihrer Rede heraus: „Der sogenannte Frauenmarsch der AfD in Berlin vor knapp drei Wochen zeigt klar: Es sind letztendlich Rassisten, die Teilnehmer waren vor allem männlich, die die Rechte instrumentalisierten um ihrer Menschenfeindlichkeit freien Lauf zu lassen, um nach mehr Abschiebungen zu schreien und um gegen Geflüchtete und vorallem MuslimInnen zu hetzen. Mitnichten interessiert sie dabei der Aufbau von Geschlechterhierachien oder der Schutz vor sexualisierter Gewalt. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Feminismus ist und bleibt antirassistisch.“
Katharina Vater vom Projekt 100% Mensch berichtete: „Ich als Frau mit Transsexus habe lange Jahre inkognito unter den Männern gelebt. Ich war jeden Tag aufs Neue erschrocken über den nach wie vor herrschenden Alltagsrassismus, die Diskreditierung aufgrund des Geschlechts und der Selbstverständlichkeit davon. Ein Mann sagt etwas, egal was, und wenn es halbwegs plausibel klingt, glaubt man ihm das einfach – zum Beispiel in Meetings. Eine Frau muss erstmal eine halbe Doktorarbeit verfassen und Nachweise über ihre Fachkompetenz bringen, dann den Weg und alle Quellen zu ihrer Annahme offenlegen, bevor man ihr glaubt.“
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