Von Franziska Stier – Erbil/Düsseldorf. Eine Friedensdelegation reiste am Samstag, 12. Juni, nach Erbil, in die kurdische Autonomieregion des Iraks. Sie wollte die Auswirkungen der türkischen Invasion dokumentieren und Gespräche mit der Zivilbevölkerung führen. Doch Erdogans langer Arm griff schon in Deutschland zu. Schon am Flughafen in Düsseldorf setzte die Bundespolizei 17 Personen fest. Acht von ihnen erhielten ein einmonatiges Ausreiseverbot in den Irak – unter ihnen die Hamburger Linke-Politikerin Cansu Özdemir (siehe Bundespolizei hält Friedensdelegation fest). In Erbil angekommen, wurde ein weiterer Teil der Delegation noch am Flughafen von örtlichen Sicherheitsbehörden ebenfalls festgesetzt. Die Betroffenen sollen am Sonntag abgeschoben werden.
Der im Nordirak eingetroffenen Delegation gehören Delegierte verschiedener Menschenrechtsorganisationen und Parteien an, ebenso JournalistInnen. Bereits erteilte Visa wurden zurückgezogen, die Pässe eingezogen. Einzelne Leute wurden beim Warten vor dem Flughafen vom Sicherheitspersonal wieder zurück in den Sicherheitsbereich gebracht. So stand die Autorin dieses Berichts bereits mit dem Chefredakteur der Beobachter News Alfred Denzinger vor dem Flughafen in der Sonne, als sie vom Sicherheitspersonal wieder in den Sicherheitsbereich gebracht wurden.
Anschließend wurden die Menschen ins Erdgeschoss des Flughafens gebracht, wo weitere Personen warteten, die seit drei Tagen festgehalten werden. Für die nun 23 festgesetzten Personen stehen für die Nacht zwölf Betten zur Verfügung. Eine Gruppe von fünf Personen entschied sich am Samstag, in den Hungerstreik zu treten. «Wir sind nicht in feindlicher Absicht hier, sondern um den Frieden unter den Kurdinnen und Kurden zu wahren. Unsere Pässe wurden eingezogen, obwohl wir nichts Unrechtes getan haben», erklärt Rabia Baldemir. Der ehemalige HDP-Abgeordnete Demir Celik ergänzt: „Wir sind friedlich und wollen uns zugleich dieses Unrecht nicht gefallen lassen. Daher haben wir uns entschieden, in den Hungerstreik zu treten.“
Den Festgehaltenen in Erbil wurde bisher nicht mitgeteilt, weswegen sie festgesetzt wurden. Versuche, mit Verantwortlichen über diesen Entscheid zu sprechen, versandeten in der vagen Formulierung „politisch“.
Gegen 19.30 Uhr kamen am Samstag mehrere Männer in Anzügen, darunter der Airport Manager, der den Festgehaltenen verschiedene Möglichkeiten zur Abschiebung anbot. Der nächste Direktflug nach Düsseldorf, dem Ausgangspunkt der Reise, gehe erst am Dienstag. Bis dahin müssten alle in diesem Raum bleiben.
Den Medienschaffenden wurde in dieser Zeit verboten, Fotos zu machen. Audioaufnahmegeräte wurden beschlagnahmt. Die Mitglieder der Delegation warten nun auf ihre Abschiebung. Voraussichtlich am Sonntag um 6 Uhr können sie den Irak verlassen.
Die Linke hat in einer Erklärung noch am Samstag gegen die Verhinderung der Delegationsreise in den Nordirak durch deutsche Behörden protestiert. „Wir erwarten von der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt sofortige und umfassende Aufklärung über den Vorgang“, so der Bundesgeschäftsführer der Partei Jörg Schindler. „Es kann nicht sein, dass Politikerinnen und Politiker, die ihre Rechte wahrnehmen, auf diese Weise in ihrer Arbeit behindert werden. Deutsche Behörden dürfen nicht zu Erdogans Handlangern werden.“
Auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion in Verdi dju protestiert gegen das Vorgehen der Behörden. Deren Landesgeschäftsführerin Tina Fritsche aus Hamburg spricht von mindestens drei JournalistInnen, die direkt nach ihrem Eintreffen in Erbil festgesetzt wurden. Die Journalisten-Gewerkschaft fordert die deutsche Bundesregierung und ihre Vertretung in Bagdad „dringend auf, umgehend für die Freilassung der Journalisten und Journalistinnen zu sorgen“.
Die Pressemitteilung der Linken von Samtag, 12. Juni, im Wortlaut:
„LINKE protestiert gegen Verhinderung von Delegationsreise in den Nordirak durch deutsche Behörden
Heute wurde eine Delegation aus Deutschland am Düsseldorfer Flughafen von der Polizei festgehalten und an der Ausreise nach Erbil im Nordirak gehindert.
Der Bundesgeschäftsführer der LINKEN, Jörg Schindler, informiert über eine heute verabschiedete Erklärung des Parteivorstandes:
„Heute wurde eine Delegation aus Deutschland am Düsseldorfer Flughafen von der Polizei festgehalten und an der Ausreise nach Erbil im Nordirak gehindert. Zu der Gruppe zählen unter anderen die Vorsitzende der Linksfraktion Hamburg, Cansu Özdemir, und Martin Dolzer, der für den Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko für die Teilnahme delegiert worden war, sowie Aktivist:innen vom Bündnis Ende Gelände.
Ziel der Reise war, sich vor Ort in Erbil über die seit Wochen andauernden Militäraktionen der Türkei im Nordirak zu informieren und auf die völkerrechtswidrigen Angriffe aufmerksam zu machen.
Der Parteivorstand der Partei DIE LINKE hat auf seiner heutigen Sitzung seine Empörung über diesen Vorgang zum Ausdruck gebracht und sich mit den betroffenen Genossinnen und Genossen solidarisiert.
Wir erwarten von der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt sofortige und umfassende Aufklärung über den Vorgang. Es kann nicht sein, dass Politikerinnen und Politiker, die ihre Rechte wahrnehmen, auf diese Weise in ihrer Arbeit behindert werden. Deutsche Behörden dürfen nicht zu Erdogans Handlangern werden.
Parallel zur Reiseblockade durch deutsche Behörden wurde eine bereits in Erbil eingetroffene Gruppe vor Ort ausgewiesen, darunter Hakan Tas, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin für DIE LINKE, und Mitglieder des Bundessprecher:innenrats unseres Jugendverbands linksjugend [‚solid].
Seit Wochen finden türkische Militäroperation im Nordirak statt. Die angeblich gegen Stellungen der PKK gerichteten Angriffe treffen immer wieder die Zivilbevölkerung, kürzlich erst wurde eine Geflüchtetenlager von bewaffneten Drohnen beschossen. Die Souveränität des Irak wird missachtet und der militärische Einflussbereich der Türkei, neben Nordsyrien, auf weitere kurdische Gebiete ausgedehnt. NATO und Bundesregierung schweigen dazu.“
Die Pressemitteilung der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion im Wortlaut:
„Deutsche Journalist*innen in Erbil festgehalten: dju in Verdi fordert umgehend Intervention durch deutsche Behörden.
Mehrere Journalist*innen, die mit einer Delegation von Düsseldorf in den Irak unterwegs waren, werden seit heute in Erbil von irakischen Sicherheitsbehörden festgehalten.
„Was wir wissen ist, dass mindestens drei Journalist*innen direkt nach ihrer Ankunft in Erbil festgesetzt wurden. Was wir nicht wissen, ist, wie es ihnen geht, was ihnen vorgeworfen wird, wann sie freikommen und welche Rolle die deutschen Behörden in dieser Angelegenheit spielen,“ sagt Tina Fritsche, Landesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di. Der Kontakt zu den Pressevertreter*innen sei am Samstag nachmittag stundenlang abgebrochen gewesen.
Die Pressevertreter*innen gehören zu der Gruppe von Parlamentsabgeordneten, Journalist*innen und anderen Teilnehmenden, die am Samstagmorgen als Delegation auf dem Weg zum Friedenskongress in den kurdischen Autonomiegebieten den Flieger nach Erbil besteigen wollte. Ein Teil der Delegation wurde am Samstagmorgen um acht Uhr in Düsseldorf von der Bundespolizei an der Ausreise gehindert, stundenlang festgehalten und verhört – darunter auch die Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir. Ein anderer Teil der Gruppe, darunter Journalist*innen auch aus Hamburg, flog wie geplant nach Erbil, wurde jedoch dort von irakischen Sicherheitsbehörden festgesetzt.
Fritsche: „Auch wenn sich die Festsetzung der Delegationsteilnehmenden sowohl in Düsseldorf als auch in Erbil als abgestimmte Aktion der deutschen und irakischen Behörden darstellt, fordern wir die deutsche Bundesregierung und ihre Vertretung in Bagdad dringend auf, umgehend für die Freilassung der Journalisten und Journalistinnen zu sorgen.“
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