Stuttgart. Die Überlebenden des Massakers von 1944 aus dem Bergdorf Sant’Anna di Stazzema in der Toskana und die Hinterbliebenen der Opfer können auf ein kleines Stück später Gerechtigkeit hoffen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat vor kurzem entschieden, dass ein 93-Jähriger mutmaßlicher Mittäter zur Verantwortung gezogen werden kann. Am Dienstag, 12. August, gab es auf dem Stuttgarter Schlossplatz eine Mahnwache für die Opfer.
Christoph Strecker, Richter im Ruhestand, eröffnete das Gedenken in italienischer Sprache. Mit Schildern, Bannern, Transparenten und Handzetteln erinnerten die angereisten 80 Unterstützer an das Massaker von 1944. Eine Frau legte in Trauer einen Blumenstrauß bei der Mahnwache zum Gedenken an die Opfer nieder.
Viele Passanten nahmen sich auf dem Schlossplatz Zeit und hörten im Anschluss der Rede Peter Grohmanns, des Vorsitzenden des Vereins „Die Anstifter“, in deutscher Sprache zu. Er ging ebenfalls auf das ungesühnte Massaker der „Waffen SS“ vor 70 Jahren ein. „Nun endlich ist der Durchbruch geschafft, was die Stuttgarter Staatsanwaltschaft in neun Jahren Ermittlungen nicht erreicht hat, sagte Grohmann. Er berichtete, dass gerade eine Delegation der Anstifter vor Ort in „Sant’Anna“ sei. Sie unterstütze die Vorbereitungen für die dort geplante große Gedenkfeier.
Am Rand der Mahnwache fragten einige Passanten genau nach, worum es gehe. Es gab Befürworter, aber auch Kritiker der weiteren Strafverfolgung. Einer sagte wörtlich, es sei „doch hirnrissig, nach 70 Jahren noch einen 93-Jährigen anzuklagen“ – egal welche Gräueltaten er begangen habe. Ein Lehrer, der nicht namentlich genannt werden möchte, entgegnete dem Mann mit den Worten „Menschenrechte sind universell gültig – zu jeder Zeit, an jedem Ort. Mord verjährt nicht, wir Deutschen sind in der Pflicht und müssen zu den Gräueltaten stehen, aber vor allem müssen wir alles nur Erdenkliche zur Aufklärung und Verfolgung der Straftaten unternehmen. Das sind wir den Opfern und Hinterbliebenen schuldig.“ Kopfschütteln entfernte sich der Kritiker.
Schleppende Strafverfolgung in Deutschland
Das Klageerzwingungsverfahren und das Urteil des Karlsruher Oberlandesgerichts war eine juristische und moralische Niederlage für Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler und Justizminister Rainer Stickelberger. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden, in diesem Fall die Staatsanwaltschaft Stuttgart, blieben jahrzehntelang bei ihrer Strategie, Ermittlungen zu verschleppen und Strafe zu vereiteln. Nach jahrelanger „Ermittlungsarbeit“ stellte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen 2012 ein, da das Massaker keine „von vornherein geplante und befohlene Vernichtungsaktion gegen die Zivilbevölkerung“ gewesen sei.
Anwältin Gabriele Heinecke stellte im Namen von Enrico Pieri, dem Sprecher der Überlebenden des Massakers, einen Klageerzwingungsantrag beim Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe und gewann. Zuvor wurden Gutachten und Zeugenaussagen eingeholt. Jetzt hat das OLG dem Antrag stattgegeben.
Urteil in La Spezia
Die Bundesrepublik Deutschland lieferte keine Deutschen zur Strafverfolgung an Italien aus. Deshalb verhandelte das Militärgericht in La Spezia im Juni 2005 in Abwesenheit der Angeklagten. Die zehn ehemaligen SS-Offiziere wurden zu lebenslangen Haftstrafen und Entschädigungszahlungen verurteilt. Der Klageschrift war klar zu entnehmen dass das Massaker von Sant’Anna di Stazzema eine „geplante Mordaktion“ war.
Literatur zum Weiterlesen: „Das Massaker von Sant’Anna di Stazzema“. Mit den Erinnerungen von Enio Mancini. Herausgegeben von Gabriele Heinecke, Christiane Kohl und Maren Westermann. Laika Verlag, 2014.
- Christoph Strecker
- Peter Grohmann
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