Von Tape Lago – Ingelheim am Rhein. In der Ingelheimer Innenstadt demonstrierten am Samstag, 17. August, mehrere Hundert AntifaschistInnen und Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum gegen eine Gedenkdemonstration der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ Südwest. Unter dem Motto „Ingelheim nazifrei – Keinen Meter dem Faschismus überlassen“ blockierten und störten AntifaschistInnen den Naziaufmarsch unter starkem Polizeischutz. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit 380 Kräften vor Ort und setzte alles daran, dass die unerwünschten Neonazis aufmarschieren konnten.
Nach unserer Einschätzung standen rund 800 GegendemonstrantInnen 39 Neonazis gegenüber. Die Polizei meldete in einer Pressmitteilung am Ende des Demonstrationstages 600 TeilnehmerInnen bei der Gegendemonstration und 34 TeilnehmerInnen in den Reihen der Neonazis.
Zu der Demonstration gegen die extrem rechte Gedenkveranstaltung hatte ein breites Bündnis unter dem Motto „Aufstehen gegen Rechts – Ingelheim zeigt Gesicht“ aufgerufen – darunter das Ingelheimer Bündnis gegen Rassismus und Gewalt (InRage-Bündnis) und der Verein Rheinhessen gegen Rechts. Dem Aufruf schlossen sich mehrere Antifa-Gruppen aus Darmstadt, Frankfurt, Mainz, Alzey, Koblenz, Worms, Mannheim und Wiesbaden an, um ein starkes Zeichen gegen die Neonazis von „Die Rechte“ Südwest zu setzen.
Schulterschluss gegen die Neonazis
Bereits am frühen Nachmittag versammelten sich mehrere Hundert Menschen auf dem Sebastian-Münster-Platz zur Gegenkundgebung unter dem Motto „Ingelheim zeigt Gesicht“. Die RednerInnen erklärten, dass es notwendig sei, gegen Rechts aufzustehen und Zivilcourage zu zeigen. Auf dem Platz trug ein Großteil der TeilnehmerInnen blaue Luftballons in der Hand. Ein Zeichen der Hoffnung im Kampf gegen Rechts.
Auch Transparente mit Aufschriften wie „Gemeinsam gegen Rechts“ und „Wir zeigen Flagge für Vielfalt“ waren auszumachen. Bereits vor dem Ende der Gegenkundgebung stellten sich die GegendemonstrantInnen vor die Absperrgitter, um die Neonazis mit einem lautstarken Protest zu empfangen. Ein Schulterschluss von AntifaschistInnen und anderen BürgerInnen gegen die Neonazis.
Als die Anhänger der „Rechten“ kurz nach 14 Uhr am Bahnhof eintrafen, wurden sie mit lauten Anti-Nazi-Sprechchören empfangen. Auf dem Bahnhofvorplatz standen sich GegnerInnen und Neonazis gegenüber. Vor Beginn des Naziaufmarschs verteilten sich die Antifa-Gruppen in der Innenstadt und entlang der Naziroute, um diese zu blockieren.
Erste Antifa-Blockade mit Gewalt geräumt
Die AntifaschistInnen wollten den Neonazis um Florian Grabowski (Führer von „Die Rechte“ Landesverband Südwest / Kameradschaft Rheinhessen) und André Millenautzi (Stellvertreter/Schatzmeister „Die Rechte“ Südwest) keinen Meter bieten. Wie am 20. April, nahmen sich die Antifa-Gruppen vor, die Route der Neonazis zu blockieren und ihnen den Tag zum „Desaster“ zu machen. Um die Proteste gegen die Neonazis kleinzuhalten, sollen die Versammlungsbehörden die Demoroute der Neonazis geheim gehalten haben.
Kurz nach dem Start der extrem rechten „Gedenkdemonstration“ gegen 15 Uhr schaffte es eine Gruppe von AntifaschistInnen in der Römerstraße, auf die Naziroute zu gelangen. Sie blockierten die Straße. Als die Nazidemo die Höhe des Parkhauses am Bahnhof erreichte, gingen Polizeikräfte gewaltsam gegen die Blockierenden vor, um die Straße für die Neonazis frei zu bekommen.
Daraufhin setzten PolizistInnen Faustschläge und Tritte gegen die AntifaschistInnen ein. Sie schubsten die NazigegnerInnen und nahmen ihnen ihre Transparente weg. Dabei wurde ein Antifaschist verletzt und musste im Polizeikessel von Sanitätern behandelt werden. Als eine weitere Gruppe von GegendemonstrantInnen versuchte die Route der Neonazis erneut zu blockieren, drängten PolizistInnen sie zurück. Dabei wurden zwei Personen gewaltsam festgenommen und abgeführt. Währenddessen zog der Naziaufmarsch in einem Wohngebiet in der Selztalstraße über die Raiffeisenstraße weiter.
Sitzblockade gegen den Naziaufmarsch
Nachdem die Neonazis durch leere Straßen aufmarschieren konnten und ihre menschenfeindlichen Parolen ohne Außenwirkung skandiert hatten, stießen sie in der Mühlstraße auf erbittertem Widerstand. Dort versuchte zunächst eine kleine Gruppe von GegendemonstrantInnen, den Naziaufmarsch zu stoppen. Doch die Polizei drängte sie zurück und hielt sie im Zaum. Währenddessen gelang es einer zweiten Gruppe von rund 100 AntifaschistInnen und UnterstützerInnen, die Naziroute zu blockieren.
Als ein Einsatzleiter der Polizei die NazigegnerInnen das dritte Mal aufforderte, die Straße frei zu geben, richteten die Blockierenden eine Sitzblockade ein. Sie saßen und lagen entspannt auf der Straße, bevor eine BFE-Einheit nach der vierten Durchsage der Polizei angriff. Es kam zu einer gewaltsamen Räumung. Dabei trugen Polizisten manche Blockierenden von einer Straßenseite wie Gegenstände weg und warfen sie auf der anderen Straßenseite auf den Boden. Es dauerte fast eine Stunde, bis die Neonazis weiter Richtung Innenstadt ziehen konnten.
Protest gegen „Gedenkzeremonie“
Bei der „Gedenkzeremonie“ für Rudolf Heß in der Innenstadt stießen die Neonazis erneut auf lautstarken Protest. Hitlers Stellvertreter Heß hatte sich am 17. August 1987 im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis in Berlin das Leben genommen. Doch aus Sicht der Neonazis sei Heß ermordet worden. „Geschichtsrevisionismus und Nazipropaganda“, so der Kommentar der NazigegnerInnen. Es war laut in der Friedrich-Ebert-Straße.
Die GegendemonstrantInnen skandierten Anti-Naziparolen und machten mit Trillerpfeifen und lautstarken Buhrufen Lärm, so dass die sichtlich verärgerten Neonazis kaum zu Wort kamen. Sie brachen die „Nazi-Gedenkzeremonie“ ab und zogen weiter zu dem Platz, der an das jüngste jüdische Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Dort bildeten mehrere NazigegnerInnen eine Menschenkette mit den Rücken zu den Neonazis, um den Platz zu schützen.
Abschlusskundgebung der Neonazis unmöglich
Als die Neonazis zum Bahnhof zurückkehrten, warteten dort bereits GegendemonstrantInnen, um unter lautstarkem Protest die Hitler-Fans zu verabschieden. Genervt von dem starken Anti-Nazi-Protest versuchten die Neonazis, PressevertreterInnen und GegendemonstrantInnen anzugreifen. Sie bedrohten und beleidigten JournalistInnen und Protestierende. Die Polizei schritt ein und drängte die Neonazis zurück.
So waren die Anhänger des Nationalsozialismus, die zuvor „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, „Nationaler Sozialismus jetzt“, „Alles für Volk, Rasse und Nation“ und „Nie wieder Israel“ durch leere Straßen skandiert hatten, gezwungen, um 18 Uhr ihre Veranstaltung für beendet zu erklären. Für Florian Grabowski und seine Kameraden sei diese „Gedenkveranstaltung“ eine politische Niederlage, zeigte sich eine Gegendemonstrantin überzeugt. Mit dem Verlauf der Gegendemonstration war sie offensichtlich zufrieden.
Ermittlungsverfahren gegen Neonazis
Die Polizei teilte nach den Versammlungen mit, dass sechs Straftaten registriert worden seien. Ein 60-jähriger Rechtsradikaler fiel demnach mit einer verbotenen Tätowierung auf, die den Straftatbestand „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ nach § 86a StGB erfülle.
Auch gegen den Anmelder des extrem rechten Aufzugs wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Skandierens volksverhetzender und ausländerfeindlicher Parolen eingeleitet. Zwei Strafanzeigen wegen Beleidigung wurden erstattet, gegen zwei weitere Personen wird wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt, weil sie polizeilichen Verfügungen nicht Folge geleistet haben sollen.
Bei der Gedenkdemo zum 32. Todestag des Nazis Rudolf Heß wurde „Die Rechte“ Südwest von der „Kameradschaft Rheinhessen“, der „Initiative Südwest“, dem „Nationalen Widerstand Zweibrücken“, der „Volksfront Germania“ aus Kaiserslautern und der „Division Mittelhessen“ unterstützt.
Folgende Antifa-Gruppen nahmen an den Blockaden und Gegendemonstration teil:
Antifaschistische Initiative Alzey
Antifaschistischer Aufbau Mainz
Offenes Antifaschistisches Treffen Mannheim
LAG Antifa – Linksjugend Solid RLP
Antifa United Frankfurt
Linksjugend Solid Alzey
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