São Paulo. Heute wird in São Paulo das Eröffnungsspiel der Fußball-WM angepfiffen. Und damit beginnt auch die nächste Runde der Proteste. Denn die Vorfreude der Brasilianer auf die WM im eigenen Land hält sich bei einem Großteil der Bevölkerung in Grenzen.
Die meisten Brasilianer sind der Meinung, dass die geschätzten über elf Milliarden Euro, die das Turnier kosten wird, besser in soziale Projekte investiert werden sollten. Seit Beginn der Massenproteste vor zirka einem Jahr haben Hunderttausende dagegen demonstriert, dass so viel Geld für Stadien, Sicherheitsmaßnahmen, Infrastruktur, Hotels und andere teure Prestige-Projekte ausgegeben wird. Für Bildungs-, Gesundheits- und Transportwesen ist dagegen zu wenig Geld da. Im Mai protestierten in Sao Paulo, dem Ort des WM-Eröffnungsspiels, 30 000 Anhänger der Bewegung obdachloser Arbeiter (MTST). MTST-Sprecher Luiz Giovani fasste die Beweggründe vieler Demonstranten so zusammen:
„Wir sind hier, um gegen die hohen Kosten zu protestieren, denn wir haben keine Wohnungen und keine Gesundheitsversorgung.“
Aktueller Kosten-Report – Fehlanzeige
Der Bericht „Matrix of Responsibility“ bezifferte im September 2013 die Kosten für den brasilianischen Staat auf 26,5 Milliarden Reais, das sind etwa 8,75 Milliarden Euro. Aktuellere Zahlen gibt es offiziell nicht. Inoffizielle Schätzungen gehen mittlerweile von 28 bis 30 Milliarden Reais, also bis zu 9,9 Milliarden Euro aus. Diese Summe beträgt fast fünf Prozent des Staatshaushaltes und doppelt so viel, wie der aktuelle Bildungsetat umfasst. Im Oktober 2007 hatte die Regierung Ausgaben in Höhe von lediglich 2,8 Milliarden Reais – weniger als eine Milliarde Euro – angekündigt. Allein die Baukosten für die Stadien betragen rund 8 Milliarden Reais (2,65 Milliarden Euro). Verglichen mit der ursprünglichen Kalkulation bedeutet das eine Kostensteigerung um 285 Prozent.
Während die ausländischen Mannschaften neue Busse zur Verfügung gestellt bekommen, können sich viele Brasilianer nicht einmal mehr die Fahrpreise leisten. Dazu kommen die Planungen für die Olymischen Spiele 2016. Die Kosten dafür werden offiziell auf etwa 12 Milliarden Euro geschätzt.
Diesmal sterben nicht nur Straßenhunde oder -katzen
Die Explosion der Kosten und das fehlende Geld für die Bevölkerung sind allerdings nicht das einzige Problem dieser WM. Die Armen des Landes sollen aus den Fernsehbildern, die in Kürze um die Welt gehen werden, verschwinden. Und das, wenn nötig, auch mit Gewalt.
Augenzeugen berichten von einer Polizei, die Favela-Bewohner und Straßenkinder gewaltsam vertreibt. Die Beamten gehen äußerst brutal vor. Sie setzen Tränengas, Gummigeschosse und Gummiknüppel ein, um Demonstrationen aufzulösen. Die Straßenkinder werden auf offener Straße erschossen, die Vertriebenen bekommen keinerlei Entschädigung. Fast könnte man sich an andere Zeiten in anderen Ländern erinnert fühlen.
Aus Sicht der Regierung richteten sich die Proteste nicht gegen die Fußball-WM. Die Demonstranten nutzten lediglich die Gelegenheit, “um Forderungen zu präsentieren, die legitim sind, aber wenig mit der WM zu tun haben”, sagte Präsidialamtsminister Gilberto Carvalho. Die Proteste schreckten die Regierung nicht.
Und was sagt die Welt dazu? Was sagen deutsche Politiker?
Außenminister Guido Westerwelle in Sao Paulo 2013:
„Unsere Partnerschaft gründet sich auf ein solides Fundament: Auf gemeinsame Werte und eine enge kulturelle Verbundenheit. Wir teilen die gleichen Vorstellungen von der Freiheit und Würde des Einzelnen, von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft, von Multilateralismus und der Geltung des Völkerrechts.“
So sieht das also der deutsche Staat? Und die deutsche Bevölkerung? Weiß sie, was geschieht? In den Medien wird dazu nur sehr wenig berichtet. Was auffällt, ist allerdings der fehlende Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Zur EM 2012 in der Ukraine und den dort verübten Massenmorden an Straßenhunden und -katzen gab es Boykottaufrufe und Bilder der – zweifellos ebenfalls verwerflichen – Taten. Und zwar massiv. Wo sind diese Aufrufe und die Aufklärung jetzt?
Was bringt ein Boykott?
Was ist also zu tun? Aufklären über das, was geschieht. Das Publikum zum Hinsehen zwingen, weil der Protest und die Bilder der Armen, der Protestierenden, der Sterbenden überall sind. Wir können die WM mit allen Übertragungen, allen Werbeaktionen, boykottieren. Damit entziehen wir den Machern unser Geld. Und wir sollten auf jeden Euro stolz sein, den wir ihnen entziehen.
Brechen die Einschaltquoten ein, gehen die Werbeeinnahmen zurück, bleiben Umsätze aus, werden sich die Firmen, die jetzt mit der WM werben, überlegen, ob sie das beim nächsten Mal wieder tun. Und dann, nur dann, wird sich etwas ändern. Denn es geht nur ums Geld. Und nur damit sind die Macher zu treffen.
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