Von Tape Lago – Frankfurt. Unter dem Motto „Gleiche Rechte für alle!“ rief das NKS (Netzwerk Konkrete Solidarität) für Donnerstag, 10. Dezember, zu einer Demonstration auf. Mehr als 1500 Geflüchtete und UnterstützerInnen zogen durch die Frankfurter Straßen, um mehr Rechte für Flüchtlinge zu fordern. Die Demo, die friedlich begann, endete mit einer Hausbesetzung gefolgt von massiver Polizeigewalt am Tag der Menschenrechte.
Die Auftaktkundgebung begann um 17 Uhr auf dem Bahnhofvorplatz mit Redebeiträgen von Flüchtlingsorganisationen und Flüchtlingen. Eine Journalistin, die aus Afghanistan geflohen war, erzählte ihre Geschichte. Sie schilderte die Situation der Frauen in ihrem Land: „Erst vor Kurzem kam ich zusammen mit meinem Mann und unserer heute sechs Monate alten Tochter als Flüchtlinge nach Deutschland. Wir haben einen sehr langen, für viele tödlichen Weg vom Mittelmeer hinter uns. Kabul soll angeblich die sicherste Region in Afghanistan sein. Ich musste täglich mit ansehen, wie Menschen getötet wurden, und war Zeugin von unzähligen Anschlägen.“
Sie sei eine Frau, die im Krieg geboren wurde. Ihre Kindheit verbrachte sie ebenfalls in Unsicherheit. Sie wuchs mit dem Klang von Maschinengewehren auf und spielte mit Toten. Ihre Jugend war von Szenen der Gewalt geprägt. „In meinem Heimatland wirst Du als Frau gehängt, einfach nur, weil Du Frau bist. Deine Ohren werden Dir abgeschnitten. Frauen werden misshandelt und gefoltert. Frauen werden gesteinigt. Sie werden getreten und verbrannt und unter den Füßen von Männern zu Tode getrampelt. Frauen sind Opfer von Massenvergewaltigungen. Frauen und Kinder werden geköpft. Ihr einziges Verbrechen: Sie sind Frauen“ sagte sie.
Redner fordern Sicherheit und Freiheit für alle Geflüchtete
Kurz nach dieser emotionalen Rede, die Flüchtlinge und Unterstützerinnen aufwühlte, setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung in Richtung Sozialdezernat. Dort fand die erste Zwischenkundgebung statt. Geflüchtete und UnterstützerInnen nutzten die Gelegenheit, ihre Wut über die Asylpolitik der Bundesregierung zu zeigen. Bei der zweiten Zwischenkundgebung sprachen Vertreter des ehrenamtlichen Bildungsprojekts „Teachers on the road/Netzwerk Konkrete Solidarität“ und „United for Eritrea“.
Sie forderten unter anderem eine menschenwürdige Asylpolitik, die sichere Lebens- und Wohnbedingungen und sowie die Möglichkeit zu Bildung und Krankenversorgung beinhalten muss. Gleiche Rechte für alle – unabhängig von Herkunft, Religion oder sozialem Status. Die Redner forderten auch von der Bundesregierung Sicherheit und Freiheit für alle Geflüchtete in Deutschland. Während der kämpferische und laute Demonstrationszug seinen Höhepunkt erreichte, besetzten AktivistInnen gegen 20 Uhr in der Berger Straße im Stadtteil Bornheim ein Haus, das als Zentrum und Unterkunft für Flüchtlinge dienten sollte.
Redner fordern Recht auf Selbstbestimmung für Geflüchtete
Als die Demonstration, die von einem großen Polizeiaufgebot begleitet worden war, in der Berger Straße 133 ankam, waren bereits hunderte AktivistInnen und FlüchtlingshelferInnen vor Ort. Die Demonstration endete mit einer Abschlusskundgebung. „Project Shelter“ und die Interventionistische Linke Frankfurt bekräftigten ihre Positionen zur Asylpolitik. Sie zeigten außerdem ihre Solidarität mit Geflüchteten und forderten für sie ein grenzenloses Recht auf Selbstbestimmung.
„Refugees Welcome“ heißt für die Interventionistische Linke Frankfurt: „Auf Ursache und Konsequenz hinzuweisen, grenzenlose Solidarität zu üben und das Gemeinsame in der Selbstorganisation von Geflüchteten mit weiteren sozialen und politischen Kämpfen zu suchen! Es braucht selbstverwaltete Räume: Räume des Rückzugs! Räume des Austauschs! Räume des Empowerments! Räume in denen ein gutes Leben möglich ist! Bewegungsfreiheit, das Recht selbst zu bestimmen, wo, wie und mit wem man leben und wen man lieben will, ist ein Menschenrecht! Heute ist der Tag der Menschenrechte – und deswegen er richtige Anlass, um gemeinsam für gleiche Rechte für alle auf die Straße zu gehen! Lasst es uns entschlossen soldarisch und gemeinsam tun!“
Auf Hausbesetzung folgt ein massiver Polizeieinsatz
Nach Abschluss der Kundgebung hissten die HausbesetzerInnen Transparente mit der Aufschrift „Häuser denen, die sie brauchen. Refugees Welcome“, „This is our Shelter“. Auf Deutsch: „Flüchtlinge willkommen. Das ist unser Obdach“. Diese Aktion des zivilen Ungehorsams bestätigte die Besetzung des leer stehenden Hauses und rief die Polizei auf den Plan. So machten sich mehrere Hundertschaften sich auf dem Weg in die Berger Straße.
Hunderte AktivistInnen, Flüchtlinge und UnterstützerInnen blieben vor dem Haus und blockierten die Straßen und Zugänge zum Grundstück. Die Polizei, die zuerst mit der Situation überfordert und nicht zu wissen schien, wie sie mit dieser Hausbesetzung umgehen sollte, wandte sich an die ABG FRANKFURT HOLDING GmbH, die Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Frankfurt. Sie ist Eigentümerin der leerstehenden Immobilie.
Wohngesellschaft besteht auf Räumung
Daraufhin kam Frank Junker, Geschäftsführer der ABG, zum Ort des Geschehens und verlangte gegen 22 Uhr die Räumung des besetzten Hauses mit allen Mitteln, nämlich auch mit Staatsgewalt. Die Frist zur Räumung betrug eine halbe Stunde. Trotz der Kooperationsversuche der AktivistInnen und SprecherInnen des NKS (Netzwerk Konkrete Solidarität) ließ Junker das besetzte Haus von der Polizei räumen.
Dabei gingen die Beamten rabiat gegen die AktivistInnen, PressefotografInnen und anderen JournalistInnen vor. Sie setzte Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Anschließend verschaffte sich die BFE-Einheit Zugang zum Haus. Sie behandelte 17 HausbesetzerInnen erkennungsdienstlich und erteilte ihnen Platzverweise. Bei den Protesten gegen die Räumung des Hauses wurden nach Angaben der VeranstalterInnen mehr als 30 Personen verletzt. Es sei ein Tag der Menschenrechte mit Menschenrechtsverletzungen gewesen.
Der Aufruf des Netzwerks Konkrete Solidarität zur Demonstration am 10. Dezember 2015 im Wortlaut:
Gleiche Rechte für alle!
Grenzen einreißen! Auf den Straßen. In den Köpfen.
Donnerstag, 10. Dezember, 17 Uhr
Frankfurt, Hauptbahnhof (Bahnhofsvorplatz)
Zwar hat sich die Bundesregierung zuletzt mit einer „Willkommenskultur“ gerühmt, die aus dem „Herzen der Menschen“ gekommen und „um die Welt gegangen“ (Merkel) sei. Zeitgleich brennen in diesem Land aber zahlreiche Flüchtlingsunterkünfte und es werden die „schärfsten Regeln zur Flüchtlingsbegrenzung“ (Seehofer) durchgesetzt, die in der Bundesrepublik jemals existierten. Dabei ist die Lebensrealität von Geflüchteten bereits jetzt von mangelnden Selbstbestimmungsrechten, desolaten Unterbringungssituationen und Isolation gekennzeichnet. Die fortschreitende Aushöhlung elementarer Grundrechte und die rigorose Rhetorik lassen nicht auf eine Besserung hoffen.
Am Tag der Menschenrechte wollen wir deutlich machen, dass wir keine rassistischen Gesetze akzeptieren. Wir fordern eine offene Gesellschaft und menschenwürdige Politik für alle. Jede*r – unabhängig von Herkunft, kultureller oder religiöser Zugehörigkeit, Geschlecht und sozialem Status – hat das Recht darüber zu entscheiden, wo sie*er lebt.
Deshalb fordern wir sichere Fluchtrouten, menschenwürdige Wohn- und Lebensbedingungen sowie kostenfreie Bildung und Krankenversorgung für alle! Selbstbestimmung, physisches und psychisches Wohl sind kein Privileg einzelner, sondern das Recht aller. Wir rufen daher zu einer Demonstration am 10. Dezember 2015 in Frankfurt/Main auf, die der rassistischen Politik eine laute Absage erteilt. Die Demo startet um 17 Uhr vor dem Frankfurter Hauptbahnhof (Bahnhofsvorplatz).
Um ein starkes Zeichen zu setzen, brauchen wir bereits im Vorfeld Dich, Euch und viele andere, die unseren Aufruf unterstützen. Wie das geht? Schickt eine Mail an teachers-ffm@nksnet.org mit der Betreffzeile „Aufruf 10. Dezember 2015“ und lasst euch als Institution, Organisation, Gemeinschaft oder Einzelperson namentlich in die Unterstützer*innen-Liste eintragen. Die Liste wird unter unserem Aufruf veröffentlicht. Verteilt Flyer, schickt den Aufruf an alle, die unsere Aktion unterstützen wollen. In Frankfurt, in der Umgebung, überall.
Grenzen einreißen! Auf den Straßen. In den Köpfen.
Zeigen wir, dass wir viele sind!
Auf eure Unterstützung baut das Netzwerk Konkrete Solidarität
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