Von Daniela Gschweng – Baden (Schweiz). Ausgerechnet da, wohin sich selten ein Kunstkritiker und auch selten ein Journalist verirrt, rückt man der „Fake-News“-Problematik zu Leibe. Berufslernende haben am Kunstlehrstuhl der Berufsfachschule BBB Baden (Schweiz) im März 2017 für einen Monat eine „Fake-News-Fabrik“ aufgebaut, die in Form eines Promo-Clips am 2. März 2017 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Die beworbene Firma „Empty Page“ arbeitet unermüdlich daran, negative Daten aufzuspüren und so zu filtern, dass der gute Ruf der Schweiz erhalten bleibt. Das Unternehmen freut sich jährlich über zweistellige Zuwachsraten und präsentiert „ganzheitliche und nachhaltige Lösungen“, betont der Promo-Film.
Eine Firma, die daran arbeitet, das Image der Schweiz zu verbessern
Mehr als 50 Mitarbeiter arbeiteten in Abteilungen wie „Bild- und Textzensur“ unermüdlich daran, Nachrichten, Bild- und Tonmaterial so zu verändern, dass kein negativer Eindruck zurückbleibe, beschreibt das Video weiter.
Das zumindest für die ersten Minuten täuschend echte Propagandaunternehmen ist ein Projekt des kubanischen Künstlers Adrian Melis, der sich künstlerisch mit verschiedenen Systemen und ihren Arbeitsweisen auseinandersetzt.
„Empty Page“ gibt es wirklich
Die Business-Floskeln, Logos, Ton und Schnitt sowie viele Arbeitsabläufe könnten von einer realen Firma stammen. Auch das Engagement der Mitarbeiter ist nicht bloß gespielt. „Empty Page“ gab es wirklich. Mit Recruiting, Firmenlogo, Büros und allem, was dazugehört.
Sanja Lukanovic, Kuratorin des einzigen Kunstlehrstuhls an einer berufsbildenden Einrichtung in der Schweiz, hat nicht nur Adrian Melis eingeladen, sondern auch sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um eine möglichst authentische Firma zu „gründen“. Vom Schreibtisch über das Mousepad bis hin zur Personalleiterin wurde alles so wirklichkeitsnah wie möglich gestaltet. Lernende aller Berufe haben sich für die Fake-News-Firma engagiert und waren für jeweils einen Tag „Teil von etwas Größerem“, so das Video. Sie haben Nachrichten sortiert, bearbeitet und archiviert.
„Bei uns ist es unwesentlich, den Inhalt einer Information zu erkennen“, sagt der CEO. Der Werbefilm, der bis zu diesem Punkt gut für eine reale Firma stehen könnte, wird zunehmend absurd. Spätestens, als die Abteilung „manuelles Schreddern“ vorgestellt wird, wo Angestellte Texte in kleine Schnipsel zerreißen, bemerkt der Zuschauer: Das kann nicht ernst gemeint sein.
„Protecting our own“
Das tägliche Brot der Mitarbeiter im Firmenalltag: mit viel Aufwand unleserliche Kopien von aktuellen schweizkritischen Texten zu produzieren, sinnlos Ausdrucke schreddern, um sie nachher willkürlich wieder zusammenzusetzen. Neulinge übten sich darin, verwackelte Fotos zu produzieren, Bilder zu manipulieren und ausgedruckte Texte durch „Korrekturen“ unleserlich zu machen. Angestelle der aufstrebenden Firma schwärzten Textstellen und bearbeiten Bilder, um das Image der Schweiz zu bewahren. „Protecting our Own“, das Motto der Firma, stand dabei über allem.
Die Abteilung „Alpkäse“ unterlegte einen Film, in dem dunkelhäutigen Menschen Lasten durch eine staubige Landschaft tragen, mit einem Text über die Schönheit des Appenzellerlands. Ein Gegensatz so krass, dass der Zuschauer lachen muss, was ihm gleich darauf im Hals stecken bleibt. „Wir schaffen es immer wieder, das Image unserer Nation zu verbessern“, versichert der „Empty-Page“-CEO Heinz Gatschet, der natürlich nicht wirklich CEO ist.
Propaganda mit „Schweizer Effizienz“
Neue Mitarbeiter wurden mit sinnlosen Routinearbeiten eingedeckt. Etwa Blätter auf dem Kopierer so umherzuschieben, dass die Kopie unscharf wird. Auch etwas ernsthaftere Aufgaben gab es. Etwa, negative Wörter in Texten zu finden und mit positiven zu überschreiben. Dass man den entstandenen Text dann nicht mehr lesen kann – egal, Mission erfüllt. Was bei der „Arbeit“ herauskam, sind unlesbare Texte, unsinnige News-Clips oder schlicht totaler Nonsens. Wie die Fake-News im realen Leben, nur das man hier bemerkt, dass mit viel Aufwand Schrott produziert wurde.
Überraschend dabei, dass es auf Sprache sonst eigentlich gar nicht so ankam. „Ich habe kaum ein Wort verstanden“, gestand Melis, der kein Deutsch spricht. Sehr beeindruckt war der zurückhaltende Künstler von „dieser Swiss Efficiency“, die die Angestellten von „Empty Page“ an den Tag legten.
Routineaufgaben für neue Mitarbeiter
Der Arbeitsablauf ähnelte in seiner Monotonie nicht zufällig dem modernen Büroalltag. «Am Anfang habe ich nur versucht herauszufinden, was zu tun ist», sagt eine Teilnehmerin. Sie kopierte zunächst die sinnlosen Aktionen der Arbeitskollegen. „Nach einer Weile hast du dann doch das Gefühl, dass du etwas machst, was etwas verändert“, sagt sie.
Auch wenn es zunächst so klingt: Das Projekt ist keine bierernste pädagogische Sache. „Es war wirklich witzig“, sagt Lukanovic. Auch deshalb, weil sich der Künstler Adrian Melis so viele absurde Aufgaben für die Mitarbeiter habe einfallen lassen.
Fotos: Daniela Gschweng
Trailer: https://vimeo.com/204399798
Projekt: http://kunstlehrstuhl-bbb.ch/aktuell/projekte/adrian-melis/
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