Von Meide Wolt und Alfred Denzinger – Stuttgart. Weil auf zwei Kundgebungen im Frühjahr 2018 unter dem Motto „Solidarität mit Afrin – Deutsche Panzer raus aus Syrien“ zu lange Musik abgespielt worden sein soll, wurde die damalige Versammlungsleiterin, eine 54-jährige Erzieherin, am Donnerstag, 8. November, von der Amtsrichterin Schmidt in Stuttgart zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt. Eine Einsatzleiterin der Stuttgarter Polizei schilderte als Zeugin vor Gericht die Situation auf der Kundgebung zu Lasten der Angeklagten.
Die 47-jährige polizeiliche Einsatzleiterin unterstellte vor Gericht allen Versammlungsteilnehmern aufdringliches Verhalten, nannte sie „Hanselchen“ und brachte damit ihre Abneigung gegenüber den TeilnehmerInnen und den Inhalten der Versammlung öffentlich zum Ausdruck. Erst auf der Grundlage ihres Einsatzberichtes war es der Staatsanwaltschaft möglich, eine Anklage zu formulieren.
Einsatzleiterin mit Belastungseifer
Deutlich unbestimmter beschrieb die Polizeibeamtin ihr eigenes Vorgehen während des Einsatzes. Auf die Frage, ob sie die Angeklagte auf die Musik hingewiesen habe, antwortete sie vor Gericht: „Ich meine Ja, aber nageln sie mich jetzt nicht fest“. Unter anderem wurde der Angeklagten vorgeworfen, keine OrdnerInnen für die Kundgebung angemeldet zu haben. Ob überhaupt so viele TeilnehmerInnen bei der Kundgebung anwesend waren, dass das notwendig gewesen wäre, blieb unklar.
„Wir haben nicht durchgezählt“, so die Einsatzleiterin vor Gericht. In der Spitze seien es aber 30 TeilnehmerInnen gewesen. Richterin Schmidt wollte von der Zeugin wissen, ob sie gefragt habe, ob Ordner vor Ort seien. Das verneinte die Beamtin. Auf die Frage, ob sie die ganze Zeit vorort gewesen sei: „Soweit ich weiß, war ich die ganze Zeit vorort“.
Polizei fertigte rechtlich fragwürdige Fotos an
Weiter führte die Polizeizeugin an, die Versammlung habe sich nicht an den vorgeschriebenen Versammlungsbereich gehalten, da VersammlungsteilnehmerInnen auf der Straße Flyer verteilt hätten. Eine Polizeikollegin habe alles fotografisch dokumentiert. Es seien Lichtbildmappen erstellt worden (Anmerkung der Redaktion: Die rechtliche Grundlage für die polizeiliche Fotografiererei dürfte wohl fehlen. Hierzu gibt es mehrere einschlägige Urteile. So urteilte zum Beispiel das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am 23. Oktober 2018: „… dass die Polizei bei der Demo für die Demonstranten wahrnehmbar fotografiert hatte, sei rechtswidrig. (…) Es dürfe bei Kundgebungen erst gar nicht der Eindruck von staatlicher Überwachung entstehen. Fotografierende Polizeibeamte könnten einschüchternd wirken und Demonstranten von der Ausübung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abhalten.“).
Gemäß Auflagenbescheid der Versammlungsbehörde hätte eine Lautsprecherbeschallung maximal drei mal 10 Minuten pro Stunde stattfinden dürfen. Je 30 TeilnehmerInnen war ein Ordner verlangt.
Zu keiner Zeit Gefahr für die öffentliche Sicherheit
Rechtsanwalt Wolfram Treiber sagte vor Gericht: „Die Auflagen hätte es gar nicht geben dürfen. Die öffentliche Sicherheit war nie in Gefahr“. Es habe sich um reine Vermutungen gehandelt, und konkrete Hinweise auf entsprechende Gefahren habe es nie gegeben. Auflagen bei Kundgebungen seien in Baden-Württemberg nach mehreren Urteilen des Verwaltungsgerichts unüblich und stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar, so Treiber.
Des Weiteren machte er geltend, dass die Namen von OrdnerInnen auf einer Versammlung nicht offen gelegt werden müssen. Treiber stellte schließlich einen Antrag auf Einstellung zu Lasten der Staatskasse.
„Verurteilung der Versammlungsfreiheit“
Der Staatsanwalt, der seinen Namen nicht nennen wollte („sie können ja bei der Pressestelle anfragen“), beantragte eine Geldstrafe in Höhe von 1800 Euro. Alle Vorwürfe hätten sich bestätigt. Rechtsanwalt Treiber forderte Freispruch, da es sich um einen unzulässigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit gehandelt habe.
„Die Auflagen hätte es nie geben dürfen, deshalb kann auch nicht entsprechend verurteilt werden“, so Treiber in seinem Schlussplädoyer. Die Angeklagte sei als Versammlungsleiterin nur eingesprungen, weil ein anderer Leiter abgelehnt wurde. Schließlich schlussfolgerte er: „Wird nach einer Verurteilung dann auch zukünftig sie abgelehnt? Eine Verurteilung wäre eine Verurteilung der Versammlungsfreiheit.“
Richterin: „Auflagen waren rechtmäßig“
Der Prozess im Amtsgericht fand unter großer öffentlicher Anteilnahme statt und endete für die Angeklagte mit einer Geldstrafe von 900 Euro – 30 Tagessätze à 30 Euro. Außerdem wird sie die Gerichtskosten und die Kosten ihres Anwalts aufbringen müssen. Für das Urteil sei nur der zweifache Auflagenverstoß bezüglich der Beschallungsdauer maßgeblich gewesen. Die Auflagen seien rechtmäßig gewesen, so Richterin Schmidt in ihrer Urteilsbegründung.
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