Von Florian Vollert – Heilbronn. Der Versuch der Polizei, die junge Antifaschistin Katharina Kaupp einzuschüchtern, misslang. Ohne öffentliche Ankündigung hatten sich am Internationalen Frauentag 2014 in Heilbronn Neonazis versammelt. Etwa 400 Menschen stellten sich ihnen auf zwei Kundgebungen entgegen – so auch die Gewerkschaftssekretärin, die jetzt vor dem Heilbronner Amtsgericht stand. Die Polizei hatte sie als „Rädelsführerin“ ausgemacht und warf ihr vor, gegen das Versammlungsrecht verstoßen zu haben. Das Gericht stellte das Verfahren jedoch ein.
Der 8. März 2014 hatte es in Heilbronn in sich. Neben Infoständen und einer Versammlung zum Frauentag am Kiliansplatz gab es zwei Kundgebungen gegen eine Versammlung der NPD-Jugendorganisation und parteiloser Neonazis auf dem Berliner Platz.
Die Kundgebung der Neonazis wurde von Stadt und Polizei im Vorfeld verschwiegen. Antifaschistische Recherchen und ein Zeitungsartikel machten das Vorhaben trotzdem publik.
Etwa 400 Menschen auf zwei Kundgebungen empfingen die Neonazis mit viel Lärm. Die 30 Neonazis wurden mit einem städtischen Bus zum Berliner Platz gefahren, sonst hätte die Kundgebung vermutlich nicht stattfinden können. In anderen Städten in Baden-Württemberg wäre eine so zuvorkommende Behandlung für Neonazis nicht möglich gewesen.
Polizeibeamtin machte Gewerkschafterin als „Rädelsführerin“ aus
Ein juristisches Nachspiel hatte der Tag nun für die engagierte Gewerkschafterin Katharina Kaupp. Dabei ging es um eine spontane Demo vom Kiliansplatz zum Berliner Platz. Etwa 25 Personen waren beteiligt, aber nur eine Person sprach mit Ordnungsamt und Polizei, eben die Gewerkschaftssekretärin. Als Dank für ihre Auskunft wurde sie von einer Polizeibeamtin zur „Rädelsführerin“ erkoren. Der Assistent des Heilbronner Revierleiters, der den Einsatz leitete, erstattete Anzeige gegen Katharina Kaupp wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsrecht.
Wegen dieser Anzeige wurde vor dem Heilbronner Amtsgericht am 2. Oktober 2015 drei Stunden lang verhandelt. Am Ende stand die Einstellung des Verfahrens. Etwa 50 KollegInnen und FreundInnen der Gewerkschafterin waren vor Ort und verfolgten die dünne Argumentation von Polizei und Ordnungsamt. Selbst der Staatsanwalt schien wenig aus dieser Bagatelle machen zu können und beantragte die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit.
Solidaritätskundgebung vor der Verhandlung
Vor der Verhandlung gab es eine Kundgebung von Verdi, bei der gut 60 Personen ihre Solidarität mit der Angeklagten zeigten. Marianne Kugler-Wendt, Verdi-Geschäftsführerin, verwies auf die Blockaden in den achtziger Jahren vor den Pershing-Raketen auf der Waldheide, die von Heilbronner Gerichten nicht verfolgt wurden. Sie forderte Zivilcourage beim Engagement gegen Neonazis.
Johannes Müllerschön, Kreisrat und Landtagskandidat der Linken, hielt der Stadt vor, politisches Engagement klein halten zu wollen. Er berichtete von seinem eigenen Fall eines angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht, der ebenfalls eingestellt wurde.
Ein Vertreter der Organisierten Linken (OL) erinnerte an das Verhalten von Stadt und Polizei bei einem großen Neonazi-Aufmarsch 2011. Damals wurde für die Rechtsradikalen ein ganzer Stadtteil abgesperrt. Dagegen wurden Hunderte von GegendemonstrantInnen rechtswidrig in mehreren Polizeikesseln festgehalten.
Die Persönliche Erklärung der Angeklagten im Wortlaut:
Ich bin gerührt und dankbar über so viel Solidarität und freue mich, dass ihr alle da seid und mich unterstützt. Ich werde keine Angaben machen zu dem mir vorgeworfenen Vorfall, aber ich muss ein paar Worte sagen. Als Antifaschistin habe ich die Verantwortung, mich zu positionieren und nicht alles wortlos hinzunehmen.
Ich war dieses Jahr auf der Gedenkstättenfahrt in Ausschwitz. Die Fahrt wurde unter einem breiten Bündnis zum 80. Jahrestag der Befreiung unter dem Motto „Das Auschwitz nie wieder sei“ organisiert. Jeder der schon einmal in den Konzentrationslagern in Auschwitz war, weiß wovon ich spreche. Sonst kennt man die Bilder von den Lagern nur aus dem Fernsehen. Alles ist weit weg und daher kaum vorstellbar. Wenn man dort ist, die Berge von Haaren von ermordeten Jüdinnen und Juden sieht, die Schuhe und Koffer mit den Namen. An den Öfen vorbeigeht und das Ausmaß anschaut, sind es so grausame Bilder – ich war ohnmächtig und wütend und gleichzeitig fassungslos, wie so etwas passieren konnte und das unter den Augen von allen.
Dann habe ich mir vorgestellt, wie sich mein Großonkel gefühlt hat. Mein Großonkel war überzeugter Kommunist und in der KPD aktiv. Er war während der Nazizeit im Untergrund und weiter als Kommunist aktiv. Dann wurde er von den Nazis erwischt und kam ins KZ. Wohin weiß ich leider bis heute noch nicht. In meiner Familie wurde nie darüber gesprochen, weil er die Bilder nie vergessen konnte und es wohl zu schlimm für ihn war, sein ganzes Martyrium zu erzählen. Mein Opa, sein Bruder, erzählte mir wie durch die Deportation meines Großonkels die ganze Familie große Angst um ihn hatte und gleichzeitig auch davor selbst deportiert zu werden.
Aber das war nicht das einzige Verbrechen, was an meiner Familie verübt wurde. Es wurde die Tochter seiner Schwester umgebracht. Sie war noch ein Kind, als sie an einer Hirnhautentzündung erkrankte und als Folge der Krankheit erblindete. Durch die Blindheit wurde sie von den Nazis in ein sogenanntes Heim abtransportiert. Meine Tante wehrte sich gegen den Abtransport, doch ohne Chance. Bald darauf kam ein Brief, dass ihre Tochter verstorben sei. Dass dies kein gewöhnlicher Tod war ist klar, es war Mord.
Wenn ich mit meinem Opa über die Familiengeschichte und die Verbrechen des Naziregimes sprechen wollte, hat mein Opa selbst nie viel über die Nazizeit gesprochen. Aber eins hat er mir von Anfang an, als ich noch sehr klein war, beigebracht: Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen, und wir sind in der Verantwortung, dass so etwas nie wieder passiert.
Was mit mir als linker Gewerkschaftssekretärin in der Nazizeit passiert wäre, ist wohl jedem klar und zeigt die Gewerkschaftsgeschichte. Auch die in Heilbronn. Am 2. Mai 1933 wurden das Gewerkschaftshaus von der SS gestürmt und die Gewerkschaften zerschlagen. Von meiner Überzeugung als Gewerkschafterin und aus der Verantwortung der Gewerkschaftsgeschichte ist es meine Pflicht und meine Überzeugung, aktive Antifaschistin zu sein.
Jetzt in den 2000er lebe ich in einem Land, in dem jeden Tag Flüchtlingsheime brennen, auch in unserer Gegend. Die ganzen anderen Angriffe, wie Steinwürfe, rechte Schmierereien und sonstige Angriffe auf Geflüchtete oder Menschen mit Migrationshintergrund werden gar nicht alle erfasst und öffentlich gemacht. Es ist möglich, dass in Berlin Nazis in einer U-Bahn ein kleines Kind anpinkeln und Menschen nicht eingreifen. Vielleicht aus Angst, aber es waren viel mehr Menschen in der U-Bahn als Nazis, und das ist deshalb keine Entschuldigung.
Ich lebe in einer Stadt, in der ständige Rechte Hetzzettel gegen Geflüchtete in den Briefkästen liegen und man das Naziproblem verharmlost bis ganz abstreitet, in der es immer wieder zu Nazikundgebungen kommt. Warum stellt die Stadt den Nazis Stadtbusse zur Verfügung und fährt sie wie ein privates Taxi sicher zum Kundgebungsort? Dafür gibt es keine Verpflichtung.
Ich möchte in einer Stadt, in einem Land leben, in dem braune Hetze keinen Platz hat. Nazis – das sind nicht einfach Menschen, die eine andere Meinung haben oder eine andere politische Richtung. Nazis sind Verbrecher, Verbrecher an der Menschheit, da sie genau diese Taten begangen haben und die Nazis heute genau das Gleiche fordern und wieder tun würden. Und bereits jetzt viele Verbrechen verüben.
Deshalb muss endlich Schluss sein mit Zugeständnissen für Nazis. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Nazis in unserer Stadt und anderswo keinen Platz haben. Die großen Worte, „Dass Auschwitz nie wieder sei“, ist unsere Verantwortung. Antifaschismus heißt aktiver Widerstand, und in dieser Verantwortung stehen wir alle. Ich wünschte mir, dass die Behörden die Verfolgung rechter Straftaten ernst nehmen und nicht den Antifaschismus bekämpften. Ich werde die Worte meines Opas nie vergessen und immer offen und überall sagen und danach handeln. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!
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