23.02.2014 – Pforzheim am Sonntag. 1400 Polizisten, die meisten mit Helm und Schlagstock, sichern knapp hundert Neonazis den Weg in Privatautos auf den Wartberg und ermöglichen ihnen, ein bizarres Ritual zu vollführen – 69 Jahre, nachdem die Alliierten die Stadt im von Deutschland entfachten Weltkrieg bombardieren ließen. „Nie wieder Faschismus“, müsste eigentlich jeder denkende Mensch als Schluss aus dem Leid der Opfer ziehen. Umso gespenstischer wirkt es, wie die Rechtsradikalen stumm mit ihren Fackeln in der Dunkelheit stehen. Manche verbergen ihr Gesicht scheinbar zufällig mit den Händen, andere blicken herausfordernd in die Kameras, wieder andere – vor allem Jüngere – vermummen sich ähnlich wie jene martialisch gewandeten Polizisten, die keine hundert Meter weiter eine Phalanx gegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Protestdemonstration bilden.
Feuerwerk steigt auf, und der Sprechchor „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ schallt herüber. „Die Linken sind ja auch vermummt“, antwortet eine Polizeisprecherin auf die Frage von Journalisten, warum die Beamten keine Anstalten machen, gegen die Vermummung der Nazis vorzugehen. Gerade so, als ob im Unrecht alle gleich wären. Die Polizei hatte es als eine Art Gnadenakt zelebriert, 18 per Presseausweis legitimierte und genau registrierte Berichterstatter mit weißer Armbinde ins abgesperrte Gebiet zu geleiten. Die Polizeisprecherin schärfte den Foto-, Text- und Radioreportern zuvor ein, als Gruppe beisammen zu bleiben, den Anweisungen der Beamten zu folgen und Wohlverhalten zu zeigen. Mit ihrem Benehmen auf dem Wartberg, erklärte sie streng, müssten sich die Medienvertreter „auch den Vertrauensvorschuss“ für ihre künftige Behandlung durch die Polizei verdienen. Kein Wort davon, dass es sich bei der Pressefreiheit um ein Grundrecht handelt (Artikel 5), das durch Gesetze geregelt ist und keinesfalls dem Wohlwollen einzelner Staatsbediensteter unterliegt.
Was bleibt ist auch an diesem Sonntag der Eindruck, dass die Behörden das Versammlungsrecht der Neonazis weit wichtiger nehmen als das Recht von Linken und Autonomen auf friedlichen Protest und Blockade. Rund 1000 Menschen beteiligten sich zunächst an einer Kundgebung auf dem Marktplatz, 800 von ihnen an einer Demonstration. Von diesen wiederum zogen rund 500 in einer Spontandemo zum Wartberg, etwa 300 entschlossen sich zu Blockaden.
Mehrfach wurden Demonstrierende eingekesselt, als sie auf unterschiedlichen Wegen versuchten, auf den Wartberg zu gelangen. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein, um Antifaschisten von der so genannten „Mahnwache“ der Neonazis fernzuhalten.
Die Demosanitäter mussten sechzig durch Pfefferspray Verletzte behandeln. Als reine Schikane erschien es, dass die Polizei die demonstrierenden Nazigegner auch dann noch auf dem Wartberg festhielt, als der Aufmarsch vorbei war und sie zwei Verantwortliche für ihre spontane Kundgebung benannt hatten, um mit den Beamten die Route der Demonstration zum Pforzheimer Hauptbahnhof abzusprechen. Bevor die Nazigegner dort ankamen, wurden sie nochmals eingekesselt. Viele Demonstrierende mussten sich am Sonntag durchsuchen und ihre Personalien feststellen lassen. Wegen angeblicher Übergriffe auf die Polizei und ihre Fahrzeuge droht einigen Kriminalisierung. Kein guter Tag also für Nazigegner, mag es ihnen auch gelungen sein, eine unbekannte Zahl von Neonazis vom Wartberg fernzuhalten. Doch was ist künftig die Alternative zu Protest und Blockade, wenn die Rechtsradikalen wie angedroht Jahr für Jahr am 23. Februar wiederkehren? Sie einfach als Spinner abtun und ignorieren, wie manche aus dem bürgerlichen Protestbündnis meinen? Wäre es wirklich vorstellbar, sie vor Ort auf dem Wartberg unwidersprochen gewähren zu lassen, während fernab auf dem Marktplatz die Glocken läuten und die Pforzheimer bei ihrer Kundgebung „Fackeln aus!“ fordern?
Im Grund stellt sich eine andere Frage: Ist es wirklich rechtens, das Gedenken an 17 000 tote Männer, Frauen und Kinder in Pforzheim zur Propaganda für eine verbrecherische Ideologie zu missbrauchen? Solange Gerichte diese Frage nicht verneinen, wird Pforzheim weiterhin jeden Februar von Neofaschisten heimgesucht werden.
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